Linz: „Médée“, Luigi Cherubini

4.5.2019 Premiere

Medea Alexis Colby wütet im Créon Tower

Als Koproduktion mit der Opéra de Nice und dem Theater Erfurt präsentierte das Landestheater Linz im Großen Saal seines Musiktheaters Cherubinis Médée in französischer Sprache mit Dialogen auf Deutsch nach der Neuedition aus dem Jahr 2008. Grundlage für Cherubinis Oper bildeten die antike Tragödie Medea von Euripides und Pierre Corneilles (1606-84) Drama Médée von 1635. Das Libretto verfasste François-Benoît Hoffman (1760-1828). Die Uraufführung der französischen Erstfassung mit gesprochenen Dialogen fand dann am 13.3.1797 im Théâtre Feydeau in Paris statt. Das Werk erlebte danach eine aufregende Aufführungsgeschichte. Für eine Produktion am Kärntnertortheater in Wien am 6.11.1802 erstellte Cherubini selbst eine gekürzte Zweitfassung, die in einer deutschsprachigen Übersetzung von Georg Friedrich Treitschke (1776-1842) gezeigt wurde. Der deutsche Komponist und Dirigent Franz Paul Lachner (1803-90) ersetzte schließlich 1854 die Dialoge durch Rezitative im Stil Richard Wagners, welche 1865 von dem italienischen Geiger und Komponisten Luigi Arditi (1822-1903) ins Italienische übersetzt wurden. Den endgültigen Siegeszug aber leitete erst Maria Callas 1953 ein, für die die „italienische“ Fassung der „Médée“ zur Paraderolle wurde.

Guy Montavon, Intendant des Theaters Erfurt, führte einige Striche in den Musiknummern und den langen Dialogen von François-Benoit Hoffman durch und verlegte die Handlung in die Zentrale eines Konzernes in einem Wolkenkratzer an der Wallstreet in New York. Während der Ouvertüre öffnet sich der Vorhang und wir erblicken ein von Annemarie Woods entworfenes Großraumbüro mit Computerarbeitsplätzen. Die Familienaufstellung erinnerte mich an die US-amerikanische Fernsehserie „Dynasty“ (1981-89), wobei die Rivalinnen Alexis Colby und Krystle Carrington sowie Blake Carrington bei Regisseur Montavon zu Médée, Dircé und Créon umgedeutet wurden. Médée und Jason haben sich zunächst als fremde Zuwanderer ein eigenes Imperium an der Wallstreet aufgebaut. Auf Grund einer Finanzkrise überschrieb der wendehalsige Karrierist Jason dieses aber an den Magnaten Créon und hofft, dass sich ihm an der Seite des Firmenchefs und seiner Tochter Dircé, die in ihrem hellen Outfit an Melania Trump erinnert, bessere Zukunftschancen eröffnen werden.

Im Businesslook von Annemarie Woods vergnügen sich die Angestellten dann auf der Hochzeit von Dircé und Jason in diesem Bürokomplex, der durch seine Transparenz keinerlei zwischenmenschliche Regungen aufkommen lässt. Jason verstößt Médée, verlangt von ihr aber, dass sie ihre beiden Söhne zurücklässt. Fulminant inszenierte Montavon schließlich das Ende der Oper, indem alle PCs im Créons-Tower abstürzen und Médée den Weltenbrand wie in Wagners Götterdämmerung entzündet, indem alle Beschäftigten und sie selber in den lodernden Flammen des Hochhauses zu Grunde gehen. Resümee: Eine interessante Adaption des Medea-Stoffes, der allerdings an einigen Stellen mit dem gesungenen Text nicht in Einklang steht.

Als Médée glänzte am Premierenabend die in der Schweiz geborene Berliner Kammersängerin Brigitte Geller. Sie bewies erstaunliches Durchhaltevermögen in den langen Gesangsphrasen und hielt das Publikum auch bei den deutschen Textpassagen mit ihrer stupenden Aussprache und Satzmodulation in Atem. Glaubwürdig zeigte sie die Zerrissenheit der liebenden Mutter und der hasserfüllten betrogenen Ehefrau auf, deren einzige Gedanken nur mehr auf Rache sinnen.

Sie erinnert Jason an ihre frühere Liebe und die Opfer, die sie ihm zuliebe gebracht hatte und fleht ihn in ihrer großen Arie „Vous voyez de vos fils la mère infortunée“ an, Mitleid mit ihr als verlassener Mutter zu empfinden. Ihr totales Scheitern in der fremden kalten Welt eines Finanzimperiums gipfelt schließlich im doppelten Kindsmord, nachdem sie zuvor Dircé einen roten Schal, den ihr Jason einst geschenkt hatte, und einen Revolver als Hochzeitsgeschenk übergibt. Dircé versteht diesen Wink Medeas und dass ihre Liebe zu Jason unter keinem guten Stern steht und sucht den Ausweg aus dieser Krise, indem sie sich erschießt. Allerdings wissen wir über Médée, dass sie auch eine Göttin und Zauberin war, sodass sie diesen roten Schal vergiftet haben könnte und sich Dircé, nachdem sie ihn mit den Händen berührt hatte, wie fremdgeleitet gezwungen sah, sich mit Médées Revolver zu töten. Jessica Eccleston war als Médées Begleiterin Néris die einzig wirklich sympathische Figur in dieser Oper. Die gebürtige Britin bewies mit ihrem Mezzosopran höchste Belcanto Qualitäten. Voller Mitgefühl verspricht sie ihrer Herrin in der berührenden Arie „Ah! nos peines seront communes“, begleitet von einem Solofagott, auf jeden Fall ihr Schicksal teilen zu wollen. Die gebürtige Salzburgerin Theresa Grabner ergänzte in der Rolle der Dircé dieses starke Damentrio. Ob sie bloß nach dem Willen ihres Vaters Créon einer kapitalsüchtigen Finanzpolitik geopfert wird, welche durch die Heirat mit Jason zu einer Fusion der beiden Imperien führen soll, bleibt offen.

Und diese Unsicherheit spielt sie überzeugend, indem sie die Feierstimmung für ihre bevorstehende Hochzeit mit Jason nicht in Freude versetzen kann. Bereits im ersten Bild plagt sie eine böse Vorahnung, die sie in ihrer Arie „Hymen! viens dissiper une vaine frayeur“, die von einer Soloflöte begleitet wird, furchtsam zum Ausdruck bringt. Der in Celje geborene slowenische Tenor Matjaž Stopinšek als Jason ließ seine Stimme heldenhaft wagnerisch erstrahlen, blieb aber in der Rollengestaltung hinter den drei Damen zurück. Was aber blieb ihm anderes übrig, denn die Rolle des Jason ist die eines schwachen Mannes, der zwischen zwei selbstbewussten Frauen steht. Im Duett mit Médée „Perfides ennemis, qui conspirez ma peine – O fatale toison! O conquête funeste!“ verwünschen beide das Goldene Vlies, das so viel Leid verursacht hat. Martin Achrainer als Créon, König von Korinth, wurde von der Maske gleich um einige Jahrzehnte künstlich gealtert. Er behandelt Médée abfällig und fordert sie mehrmals auf, das Land zu verlassen. Dann beweist er aber doch ein gewisses Maß an Diskussionskultur, indem er Médées letzten Wunsch, von ihren Kindern Abschied nehmen zu dürfen, gewährt. Sein stupender Bassbariton passte ideal zu dem eiskalten Firmenchef Créon, dem sich alle und alles unter zu ordnen haben. Die gebürtigen Koreanerinnen Margaret Jung Kim und Yoon Mi Kim-Ernst ergänzten als erste bzw. zweite Frau aus Dircés Gefolge mit ihren gut geführten Sopranen und szenischer Präsenz. In den stummen Rollen der beiden Söhne Medeas und Jasons wirkten am Premierenabend Matthias Körber und Raphael Naveau noch etwas schüchtern mit.

Unter der musikalischen Leitung von Bruno Weil bewies das Bruckner Orchester Linz wieder einmal mehr, dass es zu den führendsten Orchestern Österreichs zu zählen ist. Die ständigen Wechsel zwischen deklamatorischen, dramatischen und lyrischen Passagen wurden besonders plastisch heraus gebildet und auch die Gefühlslagen der handelnden Personen säuberlich modelliert. Bemerkenswert erklang auch das feine klagende Halbtonmotiv, welches in jedem Akt als ein Moment der Erinnerung wiederkehrt. Und besonders prächtig fiel auch das Gewitter zu Beginn des dritten Aktes aus, welches zugleich den inneren Konflikt Médées vor dem Mord an ihren beiden Söhnen vermitteln soll. Elena Pierini hatte den spielfreudigen Chor des Landestheaters Linz auf diesen höchst erfreulichen Premierenabend bestens vorbereitet. Das Premierenpublikum wurde von dem entfachten musikalischen wie szenischen „Weltenbrand“ förmlich mitgerissen und bejubelte die Produktion. Wie lange der Applaus gedauert hatte, entzieht sich dem zum Zug nach Wien eilenden Rezensenten! Ein Besuch dieser spannenden Produktion kann nur empfohlen werden!

Harald Lacina, 7.5.2019

Fotocopyright: Reinhard Winkler