Seit über 45 Jahren fährt der Rezensent in die Operette nach Wunsiedel, bei den Aufführungen der Operettenbühne Wien von Heinz Hellberg ganze zwanzig Jahre lang, mit bis zu 125 Freunden. Wenn jemand nach der Erstbestellung noch nachträglich eine Karte wollte, hatte er keine Chance, da die Aufführungen praktisch immer frühzeitig ausverkauft waren. Aus unerfindlichen Gründen wurde die mehr als erfolgreiche Operettenbühne gewechselt und erreichte nie mehr das bisherige Niveau, sowohl von den Aufführungen, als auch von den Sängern, wie zu den Höhepunkten der Operettenaufführungen mit Wiener Schmäh. Ich dachte, dass ich den Negativrekord mit gerade einmal knapp 50 mitfahrenden Freunden im letzten Jahr erreicht habe, weit gefehlt, diesmal waren es gerade einmal 36 Musikliebhaber, die noch nach Wunsiedel wollten. Und was ich in der Operette noch nie erlebt hatte, war an diesem Samstagnachmittag geschehen, riesige Lücken im Zuschauerraum, von ausverkauft keine Rede, nicht einmal gut verkauft. Dabei gaben sich die Landesbühnen Sachsen große Mühe, aber mit einer Operette, die nicht einmal den Operettenliebhabern bekannt ist, kann man natürlich nicht punkten. Es beschleicht einen fast das Gefühl, als wenn man die Operetten ganz aus dem Programm drängen will, denn im nächsten Jahr steht ein Musical auf dem Programm und das war es auch schon. Was Mörbisch, ehemals Mekka der Operette vorgemacht hat, will nun scheinbar Wunsiedel nachmachen. Es ist sehr schade, aber vermutlich werde ich, nach nunmehr 45 Jahren, in denen ich sehr viele Freunde nach Wunsiedel gebracht habe, die Segel streichen. Schade, aber es scheint so gewollt zu sein. Im nächsten Jahr ist der 200te Todestag von Johann Strauss, hier hätte sich eine spritzige Strauss-Operette mehr als angeboten, aber es ist wohl nicht zu ändern. Die Liebe zur Operette scheint im Entscheidungsgremium von Wunsiedel vollkommen untergegangen zu sein. Es ist eigentlich nur noch traurig. Aber jetzt zur Inszenierung der Lustigen Nibelungen von Oscar Straus, von dem eigentlich fast nur sein Walzertraum noch im Gedächtnis des Operetten-Publikums vorhanden zu sein scheint. Die Sachsen geben sich viel Mühe und das Publikum geht toll mit, der starke große Beifall klingt fast wie von einem ausverkauften Haus.
Die lustigen Nibelungen sind eine einzige große Parodie auf die Werke von Richard Wagner. Die – fast möchte man sagen – Verunglimpfung des Ringes der Nibelungen hat seinen Komponisten den österreichischen Operettenspezialisten Oscar Straus in alle Munde gebracht und seinen Ruhm begründet, den Durchbruch erlebte er aber erst mit seiner Operette Ein Walzertraum. Er schrieb über 50 Operetten und war einer der bedeutendsten Komponisten der sogenannten Silbernen Operettenära. Seine bekanntesten Werke waren Der tapfere Soldat, Der letzte Walzer und Die Perlen der Cleopatra. Seine Operette Die lustigen Nibelungen, welche 1904 im Wiener Carl Theater uraufgeführt wurde, war noch in der satirischen Tradition eines Jaques Offenbach. Mit schmissigen Märschen, leicht ins Ohr gehenden Couplets und schwungvollen Walzern, wurde diese parodistische Operette ein großer, nicht vorhersehbarer Sensationserfolg. Die Operette, die mit eingängigen Melodien Pluspunkte sammeln konnte, nahm überbordenden Nationalstolz, Begeisterung für den Krieg und das Kriegshandwerk mit ihrem Imponiergehabe aufs Korn und gab es teilweise fast der Lächerlichkeit preis.
Die Handlung geht auf die bekannten Personen aus Walhall ein und zieht sie einfach nur mit viel Freude durch den Kakao. König Gunther, der eigentlich als ein sehr ängstlicher, mit großem Respekt vor allem und jedem gezeichnet wird, hält um die Hand von Königin Brunhilde an. Ihm ist jedoch bekannt, dass sie einfach alle Freier im Zweikampf mit großem körperlichen Einsatz aus dem Weg räumt. Bald wird sie eintreffen und er, voller Furcht und Angst, bittet den Drachentöter Siegfried, der ein großer Geschäftsmann und Sektfabrikant geworden ist, ihm zu helfen. Dieser besiegt mit unter Zuhilfenahme einer Tarnkappe die Königin, die nicht weiß, wie ihr geschieht. Sie wird dadurch Gunthers Frau und Siegfried wendet sich Kriemhild zu, der Schwester des Königs. Da alle mit ihrer jeweils getroffenen Wahl unzufrieden sind, wird beschlossen Siegfried zu beseitigen und für diese grausame Tat ist der grimmige Hagen, der Onkel des Königs, gerade der Richtige. Da Siegfried jedoch inzwischen den Nibelungenschatz, der bei der Rheinischen Bank angelegt ist, praktisch verliert, da dessen Wert ins Uferlose zurückgeht, geht man von dem grausamen Plan ab, ordnet sich liebesmäßig alle etwas anders ein und lebt fröhlich und zufrieden weiter. Alles ein bisschen verworren, aber vom parodistischen und vom komödiantischen her, eine Sache für sich. Es macht einfach Spaß, diesen wilden und gleichzeitigen lustigen Nibelungen zuzusehen und sie zu begleiten.
Die Inszenierung und die Choreographie liegt in den Händen von dem in Beinwil am See geborenen Schweizer Regisseur und Choreographen Simon Eichenberger. Schnörkellos, jederzeit nachvollziehbar hat er dieses Stück auf die Felsenbühne Wunsiedel gebracht und die Schönheit des lebendigen Bühnenbildes entsprechend einbezogen. Eine klare, verständliche und nachvollziehbare Inszenierung dieses Stückes. Das Bühnenbild, von dem in Wien geborenen und in Berlin lebenden Stephan Prattes, fügt sich nahtlos ein, mit einfachen Mitteln viel erreicht, wobei die Dimensionen der riesigen Bühne erst einmal bewältigt werden müssen und dies ist vorzüglich gelungen. Die in den Niederlanden geborene Marrit van der Burgt ist für die Kostüme verantwortlich und sie schwelgt förmlich in farbigen, abwechslungsreichen, der damaligen Zeit angepassten Kostümen, die einfach nur ein Hingucker sind. Eine tolle Arbeit, die das Stück weiter aufwertet. Die musikalische Leitung liegt in den Händen des in Erfurt geborenen ersten Kapellmeisters Hans-Peter Preu. Er führt die Elbland Philharmonie Sachsen über alle Klippen der Musik, lässt sie aufbrausend ausspielen, sie aber genauso sängerdienlich zurücknehmen, um niemand zu übertönen. Frisch, flott spielen sie die herrliche Musik von Oscar Straus, ohne Fehl und Tadel. Was mich etwas gestört hat, einfach weil ich sie furchtbar finde, sind die Mikroports, ohne die es scheinbar heutzutage nicht mehr geht. Ein guter ausgebildeter Sänger braucht sie nicht. Und gleich zu Beginn beim Auftritt der Ringrichterin hallt deren Stimme von diesen Mikros unschön von allen Seiten. Ich glaube, ich werde mich nie daran gewöhnen, aber es ist leider nicht zu ändern.
Bevor ich zu den Hauptakteuren einer guten Operette, den Sängern komme, noch ein paar Worte zur Aufführung selbst. Bei den Operetten ist man es in Wunsiedel gewohnt, dass ohne Pause durchgespielt wird und das ist auch gut so. Leider macht man hier eine Umbaupause (wobei während dieser Pause praktisch nichts umgebaut wird). In seligen Voroperettenzeiten in Wunsiedel wurden kleinere Pausen durch das Orchester, welches schwungvoll aufspielte, überbrückt. Hier verlassen die Musiker auch ihren Platz und vertreten sich die Füße. Man sagt vorher zwar an, dass man nicht aus dem Zuschauerraum gehen soll (dies verstehen aber nicht allzu viele), hängt aber eine riesige Tafel auf, auf der steht Juhuuu! Pause! Das animiert natürlich so manchen Besucher, den Zuschauerraum zu verlassen, nach draußen zu gehen und dadurch zieht sich alles sehr lange hin. Man sollte in Wunsiedel einfach diese Pause weglassen, aber das ist halt nur eine Meinung von mir. Wenn alle das Rund verlassen würden, würde es sehr lange dauern, bis sich alle wieder zur Vorstellung einfinden würden.
Nun aber endlich zu den Sängern. Gunther, König von Burgund wird von dem aus dem sächsischen Kriebstein stammenden Bariton Johannes Wollrab verkörpert. Sein feiner und schöner gepflegter Bariton protzt zwar nicht mit stimmlicher Durchschlagskraft, aber passt sehr gut in die Rolle und darstellerisch ist er eine Nummer für sich. Sein Mienenspiel ist einfach nur überragend, er verkörpert den ängstlichen Duckmäuser auf das Trefflichste, er identifiziert sich mit seiner Rolle, die er weidlich und gekonnt ausschöpft. Eine ganz tolle Leistung, die mit viel Beifall belohnt wird.
Seine Mutter Ute, wird dargestellt von der schwedischen Mezzosopranistin Ylva Gruen die mit schöner warmer Stimme ihre gesanglich nicht so große Rolle sehr gut ausfüllt, ebenso wie ihr Gemahl, der Vater Dankwart, der von dem in Seoul in Südkorea geborenen Bass Do-Heon Kim dargestellt wird. Auch er mit gefälligem klangvollen Bass-Bariton gut in dieser Rolle. Den Drachentöter Siegfried verkörpert der in Burgstädt bei Chemnitz geborene Tenor Kay Frenzel. Er hat einen recht hellen, klaren, durchdringenden, manchmal etwas scharfen Tenor, der durchschlagend ist, aber ab und zu ein kleines bisschen gepresst klingt. Er passt jedoch in die Rolle des Superhelden hervorragend hinein und wirft sich auch mit allem, was er hat, in die Darstellung dieser Sagenfigur und füllt sie mehr als rollendeckend aus. Auch im Duett mit Kriemhild, der Schwester König Gunthers kann er gut punkten und beide Stimmen ergänzen sich trefflich. Kriemhild wird von der in St. Petersburg geborenen Sopranistin Anna Erxleben verkörpert. Sie besitzt einen klaren, zupackenden Sopran, der keinerlei Höhenprobleme hat und kann auch darstellerisch aus dem Vollen schöpfen. Die Königin von Isenland, Brunhilde wird von der in Quedlinburg in Sachsen-Anhalt geborenen lyrischen Koloratursopranistin Franziska Abram verkörpert. Ihr stimmschöner, zarter und warmer Sopran kann in jedem Fall gut gefallen, ebenso wie ihr ausgezeichnetes Spiel, nicht nur im Kampf. Sie ist auch von der Darstellung her ein Hingucker und bringt sich in ihrer Rolle voll zur Geltung.
Der Onkel Gunthers, der grimmige Hagen ist der in Weimar geborene Bass Michael König. Man merkt ihm richtig die Freunde an der Rolle des Bösen, der ja eigentlich gar kein Böser ist, an. Mit dunklem, geschmeidigem und auch durchschlagendem Bass ist er immer ein Fixpunkt auf der Bühne, die er auch körperlich gut vereinnahmt und die er darstellerisch richtiggehend auskostet. Sein großes Solo kurz vor dem Schluss wird zu einem der Höhepunkte der Aufführung.
Ein kleines bisschen albern ist das Zwiegespräch von ihm mit dem Vogel der von Antje Kahn dargestellt wird. Sie stellt auch einen Ringrichter und einen Butler dar und gestaltet ihre Rolle darstellerisch sehr eindringlich. Von ihrem schönen gepflegten Sopran hätte man sehr gerne noch etwas mehr hören wollen und sie geht in ihren Rollen richtiggehend auf und kostet sie bis zur letzten Silbe auch mit einem tollen Spiel weidlich aus.
Als der Held Volker bringt der aus Stuttgart stammende Tenor Leopold Bier Stimme und Darstellung ein und kann mit seiner zwar kleinen, aber doch prägnanten Rolle einen weiteren Pluspunkt in dieser Aufführung setzen. Er reiht sich prachtvoll in die Reihe der Sängerdarsteller ein. Als der recke Giselher ist die junge Berliner Sopranistin Anna Maria Schmidt zu sehen und zu hören. Was von ihr zu sehen ist, ist schon sehr beeindruckend, noch mehr ihr wunderschöner, weicher, zarter Sopran, von dem man gerne viel mehr hätte hören wollen, dies verbietet aber leider die doch recht kleine Rolle. Gerne würde man sie auch einmal in einer größeren Rolle erleben.
Auch wenn das Rund der Felsenbühne leider relativ schwach besetzt ist, hat diese Vorstellung einfach nur Spaß gemacht. Selten hat man bei einer Operette so viel und so herzlich gelacht. Es wäre dem Stück zu wünschen, dass es wieder öfter auf die Spielpläne kommen würde, vor allem, wenn es so dargeboten wird, wie an diesem sonnendurchfluteten, doch recht heißen Nachmittag, auf der einmaligen und wunderschönen Naturbühne in Wunsiedel.
Manfred Drescher, 27. August 2024
Die lustigen Nibelungen
Operette von Oscar Straus
Luisenburg-Festspiele Wunsiedel
Premiere: 22. August 2024
Besuchte Vorstellung: 24. August 2024
Inszenierung und Choreographie: Simon Eichenberger
Musikalische Leitung: Hans-Peter Preu
Elbland Philharmonie Sachsen