Luzern: „Die schöne Magelone“, Johannes Brahms

Aufführung am 12.02.2022

Wer hätte das gedacht, dass einem ein Liedzyklus mit einer antiquitierten mittelalterlichem Minne-Ritter-Geschichte so viel Freude bereiten könnte? Das deutsche Kunstlied des 19. hat es nicht leicht im 21. Jahrhundert. Es gilt in weiten Kreisen als obsolet, zu künstlich, nur Betagtere ansprechend. Und dann dies: Man sass im leider nur schwach besetzten grossen Saal des KKL, lauschte gebannt der vom aus Theater, Film und Fernsehen bekannten Hans-Jürgen Schatz vorgetragenen Erzählung aus der Feder Ludwig Tiecks. Der deutsche Dichter hatte diesen Text in der Epoche des Übergangs von der Klassik zur Romantik geschaffen. Hans-Jürgen Schatz brachte das Kunststück fertig, den Text mit einer grossen Natürlichkeit vorzutragen, verzichtete wohltuend auf eine ironische oder gar sarkastische Färbung des herrlich blumigen Textes, schien nur ab und zu ein ganz subtiles Augenzwinkern in seine Gestaltung einzuflechten. Grossartig. Die Vertonung der 15 von Tieck in die Erzählung eingefügten Lieder durch Johannes Brahms in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts ist von eindringlicher Kunstfertigkeit. Brahms, der selbst ein herausragender Pianist war, hat einen Klavierpart von überwältigendem Einfallsreichtum (und nicht unbeträchtlicher Schwierigkeit) geschaffen; das ist nicht blosse Begleitung für den Sänger, sondern kompositorisch wohldurchdachte Bereicherung. Das Klavier erzeugt eine ungemein atmosphärische Dichte, erhebt den Zyklus weit über die nackte Textbedeutung der Verse hinaus, führt in stimmungsreiche Tiefe. Sveinung Bjelands Interpretation an diesem Abend war von ereignishafter Kraft, Virtuosität und Akkuratesse. Der norwegische Pianist spielte mit grandioser Differenzierungskunst, erhob sich damit zum gleichwertigen Partner des Sängers. Es war eine wahre Freude, seinem Spiel zu lauschen, das komplett uneitel war und ganz im Dienst des Werks stand. Wohltuend war der dosierte Pedaleinsatz, ungemein fein abgestuft die Anschlagskultur. Zart hingetupfte Triller und kunstvoll austarierte Akkordfolgen machten das Zuhören zu einer ebenso spannenden Reise durch die Emotionen des Liebeslebens des Grafen Peter wie es der Tenor Daniel Behle mit seinem Gesang auszudrücken im Stande war. Daniel Behles wunderschön timbrierte Stimme begeisterte in allen Lagen, er verstand es, sie in der Tiefe gekonnt abzudunkeln und bruchlos in lichte Höhen zu führen. Dabei brachte er uns die Emotionen des gräflichen Ritters Peter gekonnt nahe: Verliebtsein, Emphase, Schmerz, das beinahe Erliegen der Verführungskünste Sulimas im Orient, die gefährliche Flucht aus dem Palast des Sultans, das Hoffen und Bangen während der Flucht, das Hohelied der Treue, wenn er seine Magelone wieder in die Arme schliessen kann. Einer der vielen Höhpunkte des Abends war das neunte Lied Ruhe, Süssliebschen: Die tröstliche Andächtigkeit aus der Stimme von Daniel Behle zusammen mit den betörenden Klängen von Sveinung Bejlands Klavierspiel führten zu einer bewegend entrückten Stimmung. Der Abend war ein Plädoyer für das Kunstlied, vorgetragen von drei herausragenden Interpreten: Dem Tenor Daniel Behle, dem Pianisten Sveinung Bjeland und dem Schauspieler Hans-Jürgen Schatz.

Kaspar Sannemann, 13.3.22