Wiesbaden, Konzert: „Hessisches Staatsorchester“, Brahms und Elgar

Endlich einmal die berühmte D-Dur Sinfonie Nr. 2 von Johannes Brahms zu dirigieren, war ein großer Wunsch des Gast-Dirigenten Yoel Gamzou beim Hessischen Staatsorchester Wiesbaden. Die 1877 uraufgeführte Sinfonie war von Anfang an einen großen Erfolg beim Publikum. Ihr Überschwang und das Lichtvolle waren von jeher stets Quell der Begeisterung. Die große Natürlichkeit und das Pastorale sind von besonderer Wirkung.

Yoel Gamzou dirigierte sehr engagiert und achtete aufmerksam darauf, der Sinfonie eine vielschichtig dynamische Gestalt angedeihen zu lassen. Ein verstörender Beginn, der in seiner Eigenart ungemein faszinierte. Sehr getragen, zeitlupenartig begann die Einleitung des ersten Satzes, um dann durch sprunghafte Accelerandi nach vorne katapultiert zu werden. Im einleitenden ersten Satz intonierten die Hörner sehr sauber, bis dann die Streicher in leichten Wellenbewegungen das Hauptthema intonierten. Die Celli und Kontrabässe sorgten dazu für ein warmes, profundes Fundament. Wunderbar arbeitete Gamzou die Kantilenen heraus, vor allem im elegischen zweiten Satz.  Dazu gab es manchen besonders markanten, ja scharfen Bläsereinwurf in den Posaunen. Immer wieder eine Freude die hoch präzisen Holzbläser, die vor allem im dritten Satz begeisterten. Aber auch die Kollegen im Blech, vor allem Trompeten und Tuba musizierten mit viel Spiellaune in der Schlusscoda, so dass das fanfarenartige Finale zu besonders großartiger Wirkung kam.

(c) Christian Debus

Zuvor gab es im vierten Satz einen besonderen Moment. Kurz vor der Reprise schrieb Brahms auffallend deutliche Quarten. Yoel Gamzou ist ein großer Verehrer der Musik von Gustav Mahler, dessen erste Sinfonie im ersten Satz vornehmlich durch das Intervall der abfallenden Quarte bestimmt ist. Daher verwundert es nicht, dass Gamzou sich nicht die Gelegenheit nehmen ließ, eben jene abfallenden Quarten sehr prominent hervorzuheben. Dies geschah derart deutlich, dass der Brahms für einen kurzen Moment wie Mahler anmutete! Insgesamt also eine in ihren gestalterischen Verläufen sehr eigene und persönliche Interpretation Gamzous, die vom Publikum gefeiert wurde.

Nach der Pause ging es weiter mit einem der Lieblingswerke des Dirigenten. 1898 schrieb der englische Komponist Edward Elgar eine seiner bekanntesten Orchester Kompositionen, die „Enigma Variations“. Dabei handelt es sich um ein zutiefst biographisches Werk, denn Elgar beschrieb in diesen 14 Variationen die wichtigsten Menschen und Tiere seines Lebensumfeldes.

So lernt der Zuhörer Elgars Frau Alice bereits in der ersten Variation kennen. Besonders berührend und bekannt ist die neunte Variation „Nimrod“. Gewidmet ist sie Elgars engem Freund August Jaeger, der Elgar aus einer tiefen Schaffenskrise führte. Jaeger zog als Vergleich Ludwig van Beethoven heran, dem es ähnlich erging und so sang Jaeger Elgar Beethoven Themen vor. Diese führten zur melodischen Inspiration Elgars für „Nimrod“. Und nicht vergessen werden darf Dan in der elften Variation! Wer war Dan? Elgar beschrieb dessen Missgeschick, ein Sturz in den Bach, aus dem er sich dann wassertriefend befreien konnte. Dan, die englische Bulldogge! Schlussendlich porträtierte sich Elgar selbst in der letzten Variation mit aller orchestralen Pracht!

Yoel Gamzou gab dem Hessischen Staatsorchester Wiesbaden Gelegenheit, mit seinem gestalterischen Potential, Elgars Freunde vielfältig zu charakterisieren. Die dynamische Bandbreite wurde harmonisch entwickelt, so dass das prachtvolle Finale zu großer Wirkung gebracht wurde. Gamzou ließ die Streicher kantabel aufspielen und bot auch den kompakten Blechbläsern reichlich Raum für klanglichen Effekt. Gamzou erzählte die Variationen in einem Guss. Immer wieder setzte er überzeugende Ruhepunkte, um daraus neue Spannungsmomente zu entwickeln. Die Holzbläser, wie z.B. die ausgezeichneten Klarinetten nutzten diese Augenblicke für ganz eigene Farbtupfer und intensive Phrasierungsbögen. Gamzou schaute tief hinter die Noten und gab auch der Melancholie Entfaltungsraum, was die Kontrastwirkung stärkte. Nicht alles überzeugte, am deutlichsten zeigte sich dies bei „Nimrod“. Die so beliebte Variation wurde im Tempo allzu flott wiedergegeben, was dem Aufbau dieses so ergreifenden Abschnittes viel Wirkung nahm.

© Karl Forster

Das Hessische Staatsorchester zeigte sich insgesamt gut aufgelegt und folgte aufmerksam den Intentionen seines Dirigenten. Manches Zusammenspiel in den Streichern klapperte gelegentlich, kleine Ungenauigkeiten in der Intonation mögen der knappen Probenzeit geschuldet sein. Davon abgesehen musizierte der Klangkörper kraftvoll und zupackend in der Tongebung, vor allem in den Tutti-Stellen. Auch die Solobeiträge in den Holzbläsern und Streichern (Viola, Cello) gefielen. Kraftvoll mit offensivem Zugriff begeisterte das auftrumpfende Schlagzeug.

Yoel Gamzou zählt sicherlich zu den Dirigenten seiner Generation, die besonderes Interesse verdienen, denn er ist mutig und eigen. Er riskiert viel und befragt die zu interpretierende Musik nachdrücklich auf deren tieferen Bedeutungsgehalt. Das ist selten und daher umso beeindruckender.

Viel Begeisterung für beide Darbietungen vom Wiesbadener Publikum.

Dirk Schauß, 3. Februar 2023


Staatstheater Wiesbaden

3. Februar 2023

Johannes Brahms – Sinfonie Nr. 2 D-Dur

Edward Elgar – Enigma-Variationen op. 36

Dirigent: Yoel Gamzou

Hessisches Staatsorchester