Deutschlandpremieren am 08. August 2019, besuchte Vorstellung am 09. 8. 2019
Abwechslungsreiche Tanzkunst
Im Jahr 2012 gründete der Choreograf und künstlerische Leiter Benjamin Millepied in Los Angeles die zwölf Mitglieder umfassende Company L.A. Dance Project, die bereits weltweit sehr erfolgreich gastierte. Aber erst jetzt kam es zur ersten Präsentation seiner Truppe in Deutschland.
Der im Senegal geborene Franzose Benjamin Millepied wuchs als Sohn einer Tänzerin fünf Jahre mit dortiger Musik und Rhythmus auf. In Bordeaux und Lyon begann er im Alter von acht Jahren seine tänzerische Ausbildung, bevor er mit 14 Jahren bereits an der School of American Ballet in New York angenommen wurde. 1995 wurde er Mitglied des New York City Ballet als Erster Tänzer, wo er alle großen Rollen seines Fachs tanzte. Von Beginn an lag ihm aber auch die Choreografie sehr am Herzen. Er arbeitete mit vielen bekannten Ensembles in aller Welt, u.a. mit dem San Francisco Ballet, der Berliner Staatsoper und dem Ballet der Pariser Oper, wo er 2013 zum Ballettdirektor ernannt wurde. Drei Jahre später trat der sensible Choreograf von dieser Aufgabe zurück, um sich wieder verstärkt auf die Entwicklung des L.A. Dance Projects zu konzentrieren, bei dem er seine Kreativität freier einsetzen kann.
Im kreativen Zentrum des L.A. Dance Project führt Millepied Künstler verschiedener Richtungen zusammen und nutzt es für seine Company als Grundlage für die Entwicklung, Unterstützung und Aufführung von höchst anspruchsvollem Tanz.
Für die Movimentos Festwochen hat Millepied drei kürzere Choreografien zusammengestellt, die Einblick über die Bandbreite seiner Arbeit und seines Ensembles geben.
Der Abend wurde mit seiner jüngsten 10-minütigen Arbeit „Homeward“ („Heimwärts“) nach dem jiddischen Lied „Aheym“ (Musik: Bryce Dessner) eröffnet. Drei Paare starteten – nach der Präsentation der leeren Bühne mit rasch wechselnden Videos zu stark hämmernden Akkordfolgen – zu einer gemäßigten Melodie mit weichen und Aufbruch suggerierenden Bewegungen in einen fröhlichen Tanz, der sich bis zum großen Wirbel der Anfangsmusik steigerte. Da fehlte mir ein wenig von der sehnsuchtsvollen Seite mit fast hoffnungslosem Touch, da es laut Programm „gespielt und getanzt für alle, denen ihre Heimat genommen wurde“ sein sollte.
Intensiver war die 2017 uraufgeführte Kreation „Orpheus Highway“, eine moderne Version der bekannten mythologischen Legende. Da passten Film und Tanz zu Steve Reichs Minimal Music „Triple Quartet“ bestens zusammen. Die Figuren auf der Bühne wurden durch den begleitenden Film gedoppelt. Nur an wenigen Stellen wichen Bühne und Film voneinander ab und ermöglichten damit, gedanklich einen anderen Schluss für das liebende Paar nach dem tödlichen Unfall zuzulassen. Aber der Tod auf dem Highway ist unumkehrbar; beide können sich nicht an das Gebot halten, sich nicht anzusehen, und drehen sich praktisch beide zueinander. Die Akteure lieferten mitreißende Szenen à la West-Side-Story, und das Solo-Paar gestaltete die herzzerreißenden Momente nach dem Unfall besonders eindrucksvoll, u.a. mit im Wechsel erschlaffenden und wieder erstarkten Gliedern der Eurydike. Das war der erste Höhepunkt des Abends.
Der zweite folgte mit „Bach Studios (Part 1)“ ohne jegliche Video-Einspielungen auf der nackten Bühne. Millepied ist offenbar ein besonderer Bach-Liebhaber, der die klaren Formen und musikalischen Strukturen tänzerisch umzusetzen weiß. Zu „Komm, süßer Tod“, hier anstelle von Gesang mit Cello gespielt, wurde ein herrlicher Pas-de-deux mit Spitzentanz-Elementen gezeigt.
Jede noch so kleine Bewegung war – wie bei den übrigen Stücken auch – besonders auf die Musik zugeschnitten, so dass jede musikalische Linie exakt nachvollzogen wurde. Bei „Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen“ aus der Matthäuspassion störte leider die viel zu laute Toneinstellung die Konzentration auf das Geschehen, aber die mehrmals auftauchenden, eindringlichen Figuren verschiedener „Pietàs“ sind mir haften geblieben. Das große Finale kam mit der Partita für Violine solo in d-Moll, das mit der berühmten Chaconne abschloss. Da zogen neun Tänzer mit viel verspielten Figuren und Hebungen noch einmal alle Register ihres Könnens und machten damit ihrem Choreografen große Ehre.
Das Publikum bedankte sich bei allen Mitwirkenden für einen besonders abwechslungsreichen, interessanten Abend mit begeistertem Applaus.
Marion Eckels, 10.08.2019
Fotos: © Matthias Leitzke
Weitere Vorstellungen der Movimentos Festwochen:
Russell Maliphant & Vangelis (London)
15. – 17.08.2019