Deutschlandpremiere am 10. Mai 2017
Uraufführung am 6. Mai, St. Pölten
Flamenco absurd
Am Festspielhaus St. Pölten, wo der spanische Flamenco-Choreograph Israel Galván derzeit als Artist in Residence wirkt, beendete er seine neueste Kreation „La Fiesta“ und brachte sie dort zur Uraufführung. An der Koproduktion sind neben den „Movimentos“ in Wolfsburg und Theatern in Spanien auch Häuser in Frankreich, Luxemburg und England beteiligt. Nur wenige Tage nach der Premiere konnte man sich nun in Wolfsburg davon überzeugen, dass das Konzept Israel Galváns gut zu dem diesjährigen Motto „Freiheit“ passt.
Als Sohn zweier „Bailaores“ (Flamenco-Tänzer) wuchs Galván mit dem traditionellen Flamenco eng verbunden in Sevilla auf zwischen Fiestas und Flamenco-Workshops. Jedoch entschloss er sich erst als 17-Jähriger, ebenfalls Tänzer zu werden. Nachdem er in den neunziger Jahren zunächst in der Compania Andaluza de Danza bei Mario Maya zu großer Karriere ansetzte, gründete er 1998 eine eigene Company, mit der er allmählich seine persönlichen Vorstellungen und Visionen von Flamenco-Erneuerung und -Erweiterung umsetzen konnte. Er nahm sich die Freiheit, mit Regeln des traditionellen Flamenco zu brechen, um den Tanz in völlig andere Dimensionen zu führen, ihm auch neue Inhalte und politische Botschaften zu geben. Er steigert die für den Flamenco typischen Bewegungen, Tanzschritte und Klänge in ihre Extreme und geradezu ins Absurde. Seine revolutionären Konzepte sind weiterhin heftig umstritten.
Das 90-minütige Werk „La Fiesta“ stellt zwar Freude an Musik und Tanz in den Mittelpunkt, aber auch allgemeine Tristesse des Lebens gehört dazu. Galván schart dazu acht sehr unterschiedliche Typen um sich, um gemeinsam eine Fiesta zu präsentieren, die die Stunde nach der eigentlichen Vorstellung zum Thema hat, in der sich Stress und Frust der Performance auf unterschiedliche Weise lösen. Da entwickeln sich kleinere Episoden aus hartem Rhythmus, der geklatscht, gestampft oder geklopft wird. Die Ausstattung von Peggy Housset gab den Protagonisten genügend Raum: Einige Podeste in verschiedenen Höhen, deren unterschiedliche Oberflächen und spezielle Bearbeitung die Geräuschvielfalt weiter differenzierten, zu der Galván als Choreograph und „Bailaor“ seine Mitstreiter animierte; da gab es von durchdringenden Schreien über Schöngesang bis zu sich steigerndem, erschütterndem Weinen alles, was Stimmband und Kehlkopf hergeben. Das allein schon war in seiner Absurdität eine große Leistung aller Akteure.
Höhepunkte des Abends waren die Soli von Galván sowie einer weiteren Tänzerin und eines Tänzers (leider wurden die Namen nicht extra genannt). Da lief bei Galván eine wahres Trommelfeuerwerk der Füße in allen Härtegraden ab; aber er nahm sich daneben die Freiheit, die klassischen vertikalen Formen des Flamenco zu durchbrechen, indem er auch eine phantastische „Bodenkür“ hinlegte. Auch das hat ihm zu Recht den Ruf eines Flamenco-Revolutionärs eingetragen. Die „Betrunkenen“-Nummer der Tänzerin war sensationell: Wie sie über die Podeste „torkelte“ wirkte so echt, dass es einem den Atem verschlug, ob sie das heil überstehen würde. Grandios!
Der Abend war allerdings nicht ausverkauft und nach der Hälfte der Aufführungsdauer (90 Minuten ohne Pause) begann eine vorsichtige, aber sich fortsetzende Abwanderung all derjenigen, die mit einer reinen Flamenco-Schau gerechnet hatten. Dementsprechend war auch der Schlussapplaus nicht so emphatisch wie sonst. Nach der Vorstellung hörte man, dass kein Abend so verlaufen würde wie der vorige, also immer noch mit „work in progress“ und Improvisation gearbeitet wird.
Marion Eckels, 11. Mai 2017
Fotos: Matthias Leitzke
Weitere Vorstellungen: 11. – 13. Mai 20017