Köln: „Das ist Wahnsinn!“

„Das ist Wahnsinn“, dieser Gedanke kommt einem vielleicht zuerst in den Kopf, wenn man hört, dass es nun nach ABBA, Udo Jürgens oder Udo Lindenberg auch ein Musical gibt, das sich den Hits von Wolfgang Petry widmet. Immerhin zählt der Schlagerstar aber mit über 20 Millionen verkauften Tonträgern in 40 Jahren zu den erfolgreichsten deutschen Musikern, so dass hier genug Hitpotential vorhanden sein sollte. Passend zur Schlagerwelt, werden seine größten Hits daher in eine Geschichte „um Freundschaft und Familie, Liebe und verpasste Träume“ gebracht, was, um es vorweg zu nehmen, überraschend gut funktioniert. Erzählt wird die Geschichte von vier Paaren, in verschiedenen Lebenslagen. Bei Sabine und Peter steht die Ehe kurz vor dem Aus, obwohl Peter seine Frau abgöttisch liebt. Um ihr ein besseres Leben zu ermöglichen fährt der Speditionsbesitzer daher auch oft und gerne selbst große Touren und merkt gar nicht, wie einsam sich seine Frau hierdurch fühlt. Auch Karsten und Gabi waren sicher schon mal glücklicher, haben es sich nun aber in ihrem routinierten Leben gut eingerichtet.

Ihr Sohn Tobi ist derweil frisch verliebt in Gianna und bekommt mit seiner Band ein erstes Engagement in Bahia del Sol. Und dann ist da noch der Kneipenbesitzer Wolf, bester Freund von Peter und heute mehr ein einsamer Wolf, hat er doch seine große Liebe Jessica, vor vielen Jahren im Urlaub kennen gelernt, bis heute nicht vergessen. Auch Jessica denkt noch oft an ihren Wolf zurück und ist heute die Besitzerin des Hotels Casa del Sol, in dem Tobi auftreten soll. Man kann es ohne große Spoilerwarnung erahnen, Happy End vorprogrammiert. Doch darum geht es nicht, denn den erfahrenen Autoren Martin Lingnau und Heiko Wohlgemuth gelingt es, diese Geschichten mit viel Herz und Humor zu erzählen. Besonders interessant ist, dass sich in dieser frei erfundenen Geschichte immer wieder Bezüge zu Wolfgang Petrys Leben finden lassen, die allerdings oft nur den eingefleischten Fans auffallen dürften. So heißt Tobis Band z. B. „Screamers“, der Name von Wolfang Petrys Band aus Schülertagen. In der Forsbacher Diskothek „Whisky Bill“ wurde Petry seinerzeit entdeckt, so dass auch diese Lokation in abgewandelter Form nicht fehlen darf. Etwas mehr ins Auge fallen da schon die vielen Holzfällerhemden im Stück, nicht nur zum „Ho Chi Kaka Ho“, dem „berühmten Holzfällerfest auf Bahia des Sol“. Zudem gelingt es Lingnau zusammen mit Sebastian de Domenico den bekannten Liedern zum Teil ganz andere, allerdings stets sehr passende Arrangements zu verpassen. Besonders gelungen sind hierbei zum einen die diversen Duette wie beispielsweise „Das stehn wir durch“ oder „Nichts von alledem“ wie auch zum anderen komplett überarbeitete Lieder wie das sehr ruhige „Ich will das alles nicht mehr“ in der Trennungsszene von Peter und Sabine. Musikalisch wurde hier aus den bekannten Ohrwürmern beste Musicalunterhaltung gemacht, mit Hits die teilweise viel besser sind als die Originale.

Das man für die Regie Gil Mehmert gewinnen konnte, kommt der Produktion auch sehr zu Gute, der mit passender Personenführung die acht Hauptrollen klar zeichnet und auch den ein oder anderen Gag treffend einbaut. Zuständig hierfür sind dann meist die kleineren Nebenrollen, wie der sympathische skandinavische Polizist mit nettem Dialekt, der Peter gute Ratschläge für die „Straße des Lebens“ gibt oder die Selbsthilfegruppe, in der über die Herabwürdigung der Frau durch das Wort „Weiber“ ausgiebig gesprochen wird. Fast zu einem kleinen Running-Gag entwickelt sich in Mehmerts Inszenierungen inzwischen ein Auto, welches durch die Darsteller des Ensemble schnell aus Einzelteilen zusammengebaut werde kann, ein solches gab es u. a. schon in seiner exzellenten und viel gespielten Inszenierung von „Sunset Boulevard“ oder auch bei der Uraufführung von „Kockin‘ on Heavens Door“ im letzten Jahr an der Essener Folkwang. Für das Bühnenbild entwarf Heike Meixner zudem einen dreigeteilten Lkw. Während sich die Zugmaschine und der Anhänger durch Drehung schnell in die verschiedensten Räume verwandeln lassen, von Peter & Sabines Hauseingang über Tobis Schlafzimmer und der Kneipe „Whisky Bill“ bis hin zur Hotelrezeption, so ist auf dem großen Anhänger die sechsköpfige Band unter der musikalischen Leitung von Hans Christian Petzold untergebracht. Im zweiten Akt wird aus dem Lkw dann auch flink einen kleine Hotelanlage. Dies ist alles sehr tourtauglich gestaltet, zieht das Musical ja nun schon etwas länger durch die deutschen Theaterhäuser. Für die teilweise sehr hübschen Choreographien zeichnet sich Simon Eichenberger verantwortlich.

Der sehr professionelle Umgang bei dieser Produktion setzt sich auch bei der Besetzung der Hauptrollen fort. Allein die Auftritte von Enrico de Pieri als Peter oder Thomas Hohler als Tobi sind das Eintrittsgeld schon wert. Wenn Thomas Hohler gleich zu Beginn (wenn auch in Köln) ein rockiges „Ruhrgebiet“ abliefert ist man gleich in guter Stimmung für den Abend. Die wohl bekanntesten Songs hat Enrico de Pieri als Peter auf seiner Seite. Während er bei „Der Himmel brennt“, „Scheissegal“ oder „Wahnsinn“ richtig rockig daherkommt, zeigt er auf der anderen Seite bei „Verlieben, verloren, vergessen, verzeihen“ und „Bronze, Silber und Gold“ jeweils im Duett mit Sabine seine gesanglichen Qualitäten auch in ruhigeren Liedern. Vera Bolten an seiner Seite harmoniert hierzu wunderbar und setzt mit „Ich will das alles nicht mehr“ auch eigene Akzente. Mischa Mang gibt einen rauen Barbesitzer mit großem Herz und der passenden markanten Stimme. Markus Dietz und Jessica Kessler sind ein wunderbares Ruhrpott-Paar, welches allein durch ihr ausgeprägtes Ruhrgebietsdeutsch für viele Lacher sorgt. Auch gesanglich bleibt hier kein Wunsch offen, auch wenn die Rolle des Karstens musikalisch einen eher kleinen Part einnimmt. Gleiches gilt auch für Carina Sandhaus als Jessica. Dorina Garuci gibt eine sehr temperamentvolle junge Italienerin ab, die aber auch beim ruhigeren Song „Tinte“ ihr ganzes Talent zeigen darf.

Um abschließend die in der Überschrift aufgeworfene Frage zu beantworten: Ja, es kann gut gehen aus Wolfgang Petry Songs ein eigenes Musical zu machen, was in diesem Fall daran liegt, dass man den ganzen Abend über spürt, dass hier in allen Bereichen richtig gute Arbeit gemacht wurde und das am Ende gar nicht mehr auffällt, dass die Lieder eigentlich gar nicht extra für dieses Stück geschrieben wurden. Den Zuschauer erwarten hier gut 2 ½ Stunden kurzweilige Unterhaltung, weit weg vom Schlager-Klischeedenken.

Markus Lamers, 09.03.2019
Bilder © Hardy Müller