„Champagner!“ – Das schien die frische, spritzige, leidenschaftliche Musik beim Neujahrkonzert am 1. Januar in der Lübecker „Musik- und Kongreßhalle“ auszurufen und in der Tat war dieses lebensfrohe Konzert der gelungenste Einstieg in ein Jahr, in dem es ja nur besser gehen kann! Seien wir ehrlich – schlimmer geht immer, aber es gab wohl an diesem ersten Tag des jungen Jahres keine Grußworte oder „Prosit Neujahr!“-Wünsche ohne die Hoffnung auf Frieden, Vernunft und Toleranz im Land und der ganzen Welt. So war es auch in Lübeck und da war das mitgerissene Publikum doch hörbar froh, wieder das seit Jahren so beliebte Wiener Programm erleben zu können. Ja, Beethovens „Neunte“ exakt ein Jahr zuvor war auch mal wieder ganz schön und feierlich, aber wozu haben die Lübecker den einen Wiener GMD, wenn Stefan Vladar nicht zum Neujahrskonzert die Korken musikalisch knallen läßt?
Man hatte den Eindruck, als hätte sich Vladar mit Thielemann abgesprochen, um Programm-Doubletten zu vermeiden, denn die Auswahl mit bekannten und selten gehörten Stücken unterschied sich bis auf das unvermeidliche inoffizielle Ende vollständig von dem der Wiener. Die Walzer- und Polkaklänge von der Live-Übertragung zu Mittag noch im Ohr, feierte die Zuhörerschaft der Hansestadt ein Konzert, das von Qualität und überspringendem Spaß her der Donaumetropole das Wasser bzw. den Schaumwein locker reichen konnte.
Es gab vor allem Stücke von Richard Strauss (Sohn) – nein, natürlich von Johann Strauss; der Fehler im Programmheft, den Vladar im Verlauf des Konzerts bald launig behob, hatte beim ohnehin vergnügten Publikum schon für Scherze gesorgt und man lobte in witziger Ironie die frohgemuten, unbekannten Einfälle desjenigen Komponisten, dessen „Elektra“ am 27. Januar im Theater Lübeck Premiere haben wird – in einer Inszenierung der legendären Kammersängerin Brigitte Fassbaender!
Klang zum Beginn des Walzers „Künstlerleben“ noch eine diesem Jahresbeginn angemessene Nachdenklichkeit an, so gewann das Stück doch rasch an Schwung und Vladar tanzte eher mit dem Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck, als daß er es dirigierte; seine Handbewegungen erinnerten im geschmeidigen Auf und Ab an die Donauwellen. Mehr als eine Prise Humor würzte diesen Abend und so erklangen schon „Im Krapfenwald´l“ (für die Nordlichter: „Krapfen“ werden in Süddeutschland und Österreich die auch dort am Jahreswechsel gern verzehrten „Berliner“ genannt) die Kuckucks- und Zwitscher-Vogelrufe; mit raschem Tempo saßen im Anschluß „Auf der Jagd“ die Reiter auf feurigen Lipizzaner-Rossen.
Die „Glocken-Polka“ und der Galopp aus Josef Hellmesbergers Ballett „Excelsior“ zauberten anmutige, goldene Tupfer in die „MuK“, die dadurch zumindest klanglich etwas Goldstuck aus dem Wiener Musikvereins-Saal erhielt.
Im „Vergnügungszug“ von Johann Strauss saß das Publikum dann endgültig im ganz großen Fiaker, der sich mit Hupen und Peitschenknallen den Weg durch die Wiener Gassen bahnte. Vladar zeigte mit Schaffnermütze und Trillerpfeife, wo es lang geht!
Der Walzer „Seid umschlungen Millionen“ gemahnt vom Titel her natürlich an Schiller bzw. Beethoven und tatsächlich wirkt dieses Stück in seiner großzügigen Anlage wie der Satz aus einer Wien-Symphonie.
Der vermeintlichen Enttäuschung, daß es nach der Pause laut Programmheft nur noch drei Stücke hätte geben sollen, begegnete k. u. k. Hofkapellmeister Vladar mit der Ankündigung, daß drei weitere zu hören sein würden – und es natürlich dann noch drei gäbe, aber das war ja ohnehin klar.
Zackig marschierte zuerst der „Zigeunerbaron“ in die Hansestadt und viele hätten bei der „I-Tipferl-Polka“ – ebenfalls von Johann Strauss (Sohn) – am liebsten mittanzen wollen, so sprangen die Funken auf die Lübeckerinnen und Lübecker über. Der luftig-leichte Duktus bestach durch winzige Generalpausen, die dem Stück eine ganz feine, besondere Struktur gaben.
Josef Strauss grüßte mit seinem Walzer „An der Elbe“ nicht nach Hamburg, sondern nach Dresden, das damals noch das „Elbflorenz“ war; der getragene, liebenswürdige Charakter gemahnte aber doch eher an die Donau als an die nördlichere Fluß-Schwester.
Johann Strauss´ „Feuerfest“ war tatsächlich eine frohe Feier von Klangfunken, die der Schlagwerker mit Schmiedeschürze aus dem Amboß schlug, nachdem zuerst ein winziges Goldschmiedewerkzeug und dann ein Holzhammer nur schwache Töne von sich gegeben hatten. Wie bei Siegfried während des Schmiedens seines Schwertes Nothung flogen dann die eisenharten Klänge von zwei Hämmern in den Saal – ein wiederum komödiantischer Auftritt, der viel Gelächter erzeugte!
Vom selben Komponisten erklangen dann die Polka Mazur „Fata Morgana“, die, eben noch tanz- und greifbar, am Ende sanft entschwebte; dann folgte die frisch-freche „Tritsch-Tratsch-Polka“ und der großartige Kaiserwalzer mit majestätischer Geste und glanzvollem Gepräge, dazu den sanft-warmen Celloklängen von Yina Tong.
Ein Neujahrskonzert mit Wiener Programm darf nicht ohne die drei obligatorischen Zugaben enden, sonst geht alles schief! Und so formulierte die schnelle Strauß-Polka „Ohne Sorgen“ gleichsam die Hoffnung aller Mitwirkenden an das Publikum – zumindest weniger Sorgen sollten es unbedingt sein!
Beim „Donauwalzer“ bekamen manche Tränen der Seligkeit in die Augen und zum zackigen Radetzky-Marsch klatschten die Lübecker dann erstmal alles weg, was an Schatten vom Vorjahr noch über den sieben Türmen der Hansestadt gehangen hatte.
Mit begeisterten Applaus dankten alle in der „MuK“ dem Orchester und seinem Dirigenten für diesen schmissigen Einstieg in das Jahr 2024. „Besser kann man es in Wien auch nicht haben!“, war die einhellige Meinung im Foyer zum anschließenden Sektempfang. Und so kann man sich nur begeistert dem freudigen Ruf anschließen: „Prosit Neujahr!“
Andreas Ströbl 3. Januar 2024
Lübeck, Musik- und Kongreßhalle
Neujahrskonzert 2024 mit klassischem Wiener Programm
Musikalische Leitung: Stefan Vladar
Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck
Photos: und Jan Philip Welchering