Die Uraufführung der komischen Oper Der Wildschütz oder Die Stimme der Natur von Albert Lortzing fand am 31. Dezember 1842 im Stadttheater von Leipzig statt. 1850 wurde die Oper dann in Gera aufgeführt.
Wie die Verhältnisse damals in Gera waren, das zeigt der Brief von Albert Lortzing, der im Programmheft zur jetzigen Aufführung in Gera abgedruckt ist: „…das leichtbebaute Schauspielhaus, vor dem Thore ganz einzeln dastehend, kann nicht geheizt werden, die Kälte ist daher fürchterlich, Dekorationen, Garderobe und Orchester entsetzlich, dazu ein immerwährender Lampendampf, denn da die Lampen einzufrieren drohen, werden sie höher und höhergeschraubt. …“
Glücklicherweise sind die Umstände im Theater Gera heute sehr viel komfortabler und angenehmer für die Zuschauer.Davon konnten wir uns überzeugen bei der letzten Aufführung.
„Eigentlich sollte Der Wildschütz oder Die Stimme der Natur von Albert Lortzing schon vor vier Jahren auf die Bühne in Gera kommen“, berichtet Thomas Wicklein, Erster Kapellmeister des Philharmonischen Orchesters Altenburg Gera, „Doch die „Corona-Schließungen“ änderten immer wieder alle Pläne. Nun können wir diese amüsante Oper endlich spielen. In Gera war dies jetzt die letzte Vorstellung, aber in Altenburg wird die Inszenierung demnächst im Theater-Zelt zu sehen sein“.
Die Inszenierung Der Wildschütz oder Die Stimme der Natur in der Regie von Michael Dissmeier hat ihre große Stärke vor allem in den Chorszenen, aber auch im Wechselspiel der Solisten mit dem Chor.
Grundsätzlich mischt Dissmeier Historisches und Modernes in der Bühnenpräsentation. Übrigens ist auch das Programmheft sehr lesenswert, weil es Einblicke in die Lebenswelt Lortzings und die Gedanken des Regisseurs gibt. So erfährt man beispielsweise, dass Lortzing zeitweilig sogar Milchkühe halten musste, weil er als Komponist nicht genug verdiente. Michael Dissmeier will in seiner Inszenierung auch diese gesellschaftskritische Seite deutlich machen.
Dass Michael Dissmeier weiß, wie er Komik auf die Bühne bringen kann, das hat er schon mit seiner Fledermaus-Inszenierung am DNT-Weimar bewiesen, wo er bis 2013 tätig war. Henriette Hübschmann entwickelt mit ihren Kostümen und dem Bühnenbild die passende Atmosphäre dazu. Damit es auch ein bisschen höfisch zugeht, wird von der Bühnenbildnerin alles mit Gold eingefärbt, das können die Zuschauer vor allem im 2. und im 3. Akt bewundern. Hier erleben die Theaterbesucher eine golden-barocke Pracht mit mythologischen Figuren.
Das goldene Bühnenbild korrespondiert mit den Accessoires der Akteure. Dazwischen nimmt der Zuschauer eine graue Figur wahr: den Lehrer Baculus, gespielt von Kai Wefer. Der ist hier ein etwas verkniffener Kleinbürger im grauen Anzug. Und es gibt jede Menge Perücken. Zum einen passen diese auf die Köpfe zu historischen Kostümen und zum anderen tragen sie die Sänger zu Gegenwartskostümen. Auch das ist ein hübscher Verwechslungs-Spaß!
Da die Handlung vielleicht etwas verworren wirkt, hier noch einmal eine kleine Übersicht: Ein Rehbraten soll die Verlobung des ältlichen Dorfschullehrers Baculus und seines jungen Mündels Gretchen krönen. Doch der dafür notwendige Wilderei-Ausflug in den Park des Grafen kostet Baculus um ein Haar Stellung und Braut. Gretchens Angebot, höchstselbst beim Grafen vorzusprechen, scheint angesichts seiner notorischen „Weiber-Gier“ nicht passend. Rettung verspricht ein Student, der bereit ist, als angebliche Braut zum Grafen zu gehen. Hinter diesem verbirgt sich niemand anderes als die verwitwete Schwester des Grafen. Das bedeutet den Beginn einer heillos-komischen Verwirrung. Der Höhepunkt ist erreicht, als sich Baculus bereit erklärt, sein Gretchen für „5.000 Taler“ an den Baron zu verkaufen! Am Ende gibt es natürlich eine schöne Auflösung, die alle glücklich macht.
Kai Wefer als Baculus, Schulmeister, singt einen eindrucksvollen Bassbariton mit vielen baritonalen Anklängen. Die Rolle des Gedemütigten und oft ratlosen und schlecht bezahlten Dorfschullehrers ist ihm auf den Leib geschrieben. Seine spielerischen Facetten reichen von cholerisch bis bemitleidenswert. Im 3. Akt zeigt er sich mit seinem Gitarrenspiel zu einem Lied von Wolf Biermann dann auch noch ganz lyrisch. Das Publikum ist auch begeistert von seiner „5000 Taler“-Arie und deren Präsentation.
Seine Braut Gretchen, gesungen von Julia Gromball, hat einen schön timbrierten Sopran. In ihrem Spiel verkörpert sie glaubwürdig eine junge Frau, die fürchtet übrig zu bleiben. Damit das nicht passiert, will sie auch einen älteren Mann heiraten. Mit dem Verlust der Lehrerstelle wegen der Wilderei gerät ihr Plan zum Desaster. Das abzuwenden macht sie zu Vielem bereit. Das Gefühlschaos bringt Julia Gromball voll auf die Bühne. Auch stimmlich setzt sie ihre Rolle brillant um.
Johannes Beck als Graf von Ebersbach präsentiert mit seinem Bariton einen sehr überzeugenden Adligen, der sich in allen Genüssen auskennt. Seine Spiel-Qualitäten sind überragend. Die barocke Opulenz verkörpert er ganz in seiner Person. Sein Appetit auf Frauen und Feiern ist der Inhalt seines Lebens. Für seine eigene Frau gibt es da wenig Platz.
Doch Carolin Masur als Gräfin und Gemahlin steht ihm stimmlich und schauspielerisch nicht nach. Sie wirkt ausgesprochen souverän und kann auch kontra bieten. Sie führt ihr eigenes Leben und umgibt sich mit einer mythologischen Welt. Sie vollzieht damit eine Flucht in eine andere Welt aus ihrer eigenen Wirklichkeit. In dieser Ehe lebt jeder in seiner eigenen Welt und hat seinen Spaß.
Auch Isaac Lee als Baron Kronthal und Bruder der Gräfin liefert mit seinem Tenor eine überzeugende Partie ab. Er beherrscht die hohen Töne und die Dynamiksteigerungen. Dabei zeigt er auch noch viel Volumen. Seine fließende und kraftvolle Tenorstimme begeistert das Publikum und es gibt mehrfach Szenenapplaus. Auch in seiner Rolle als hereingelegter Stallmeister wirkt er amüsant und überzeugend.
Miriam Zubieta als Baronin Freimann und Schwester des Grafen gewinnt mit ihrem Sopran die Ohren und Herzen des Publikums. Vor allem ihr Vokalisieren erstaunte die Zuhörer. Auch ihr Spiel war sehr überzeugend. Joanna Jaworowska als Nanette kann die Zuhörer mit ihrem Mezzosopran gewinnen. Johannes Pietzonka als Pankratius, der Haushofmeister, mimt den stets bemühten Alleskönner und singt einen trefflichen Bariton. Vor allem seine „Gerasche Mundart“ hat das Publikum köstlich amüsiert und ihn zum Liebling der Aufführung gemacht. Jeder seiner Auftritte ist ein Feuerwerk des Humors.
Die Choreinstudierung von Alexandros Diamanti ist ganz hervorragend und der Chor des Theaters Altenburg Gera vermittelt sowohl gesanglich als auch schauspielerisch eine witzig-spritzige Atmosphäre, die vor allem an Unterhaltung nichts zu wünschen übriglässt. Die Gruppenszenen sind von sprühender Vitalität und Lebensfreude geprägt.
Thomas Wicklein am Pult entfaltet mit dem Orchester ein musikalisches Feuerwerk. Schwungvoll und mit viel Dynamik führt er sein Orchester durch die Aufführung. Er bringt die prickelnden Facetten von Lortzings Komposition zum Klingen. Thomas Wicklein ist ein Dirigent mit viel Erfahrung. Seit 35 Jahren arbeitet er im Theater Altenburg Gera.
Fazit: Die Inszenierung in der Regie von Michael Dissmeier lebt von schier überquellender Spielfreude und dem notwendigen Ernst, um den Verwechslungs-Spaß zum Blühen zu bringen. Das Publikum applaudierte lang, anhaltend und begeistert von so viel Sanges- und Spielfreude.
Larissa Gawritschenko und Thomas Janda, 15. April 2024
Der Wildschütz oder Die Stimme der Natur
Albert Lortzing
Theater Altenburg / Gera
Aufführung am 14. April 2024
Regie: Michael Dissmeier
Musikalische Leitung: Thomas Wicklein
Philharmonischen Orchesters Altenburg Gera