Siegfried Wagners „Der Friedensengel“ – Videomania in Bayreuth

Da spielen sie schon einmal eine ultraseltene Oper von Siegfried Wagner – und dann versemmeln sie‘s auf eine Weise, wie es nicht einmal von der ISWG, der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft, erwartet werden konnte. Dass Peter Paul Pachl kein Regisseur, sondern ein Dramaturg ist, ist ja bekannt, dass er Videos liebt nicht minder, aber an diesem Abend treiben sie‘s denn gar zu toll. Denn keiner, ich betone keiner der Sänger ist wirklich gut. Rebecca Broberg ist sozusagen die einhörige unter den Tauben, während die nach der letztjährigen SW-Produktion Sonnenflammen hoch gelobte Julia Reznik als „lyrischer Sopran“ vor allem laut flackernde Unverständlichkeiten von sich gibt und der angepriesene Tenor Giorgio Valenta v.a. das lagrimoso beherrscht. Kommt hinzu der Sound, der vom Bayreuth Digital Orchestra, also einem Apparat produziert wird: er ist zu leise und die Streicher klingen in den hohen Lagen nur noch steril.

Zudem werden wir vom ersten bis zum letzten Takt mit Videos bombardiert, die vermutlich nur ppp sehen will – aber was soll man machen, wenn man sonst keinen an die Regie lässt? Höhepunkt vons Janze: minutenlang kopulierende Maikäfer und Schnecken, langgezogene Ausschnitte aus einem Nunsploitation-Movie der frühen 70er, vulgo: einem Nonnensadopornofilm, daneben kitschige Naturbilder und am Anfang, Gott weiß warum, Filme von Kriegen, Diktatoren und demokratisch legitimierten Präsidenten. Hinzu kommt eine weitere üble Dosis politischer Polemik, wo sie nicht hingehört: Jens Spahn wird mit einem miesen Mediziner vom Schlage des Arztes in Wozzeck verglichen, der ernstzunehmende Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hinter einen durchsichtigen Totenschädel gesetzt. Was soll der reaktionäre Unsinn? Die Frage kann beantwortet werden: Pachl folgt seinem infantilen Assoziationstrieb und mischt in haltloser Weise Unpassendes mit Unpassendem und allzu Naheliegendes mit allzu Naheliegendem. Kulturwissenschaftler und Leute, die sich insgeheim für ihren schlechten Geschmack schämen, nennen das inzwischen, wenn sie‘s gut finden, „trash“. Wäre ich Sänger, würde ich mich weigern, als Tonproduzent vor einer von allem Wesentlichen ablenkenden Bilderwand missbraucht zu werden. Denn das Eigentliche, die Oper, die man gern einmal – nach der sage und schreibe ersten szenischen Aufführung seit der Uraufführung im Jahre 1926 – auf einer Bühne kennenlernen würde, wird verraten.

So erwies man dem Komponisten, den man angeblich so vehement vertritt, wieder einmal einen Bärendienst. Auch und gerade ein Siegfried Wagner hat das Recht, mit musikalisch und szenisch erstklassigen Aufführungen bekannt gemacht zu werden. Wenn man‘s, aus welchen Gründen (finanziellen und äshetischen) auch immer, nicht kann, sollte man es bleiben lassen.

Und da wundern sich die Leute, dass Siegfried Wagners Werke ansonsten nirgendwo gespielt werden.

Ps: Zu Beginn lesen wir, bevor uns die pantomimischen Gesellen auf der Bühne von der an sich schönen Musik ablenken, die Jahreszahlen 1914, 1984 und 2024. Die Oper wurde 1914 vollendet, aber was sollen uns die anderen Ziffern sagen? Wird ppp 2024 die letzte Siegfried-Wagner-Oper verhunzen? Auch dies bleibt ein Geheimnis der sog. Regie – aber es ist eh schon alles egal.

Pps: Ich darf mit Fug und Recht eines Opernfreunds auf Renate Wagners Beitrag in unserem KONTRAPUNKT verweisen.

Frank Piontek, 22.8.2021