Zerstörung eines Kulturguts: „Il barbiere di Siviglia“ in Basel

Jede Regisseurin, jeder Regisseur hat das Recht, seine Ideen und Vorstellungen auf der Bühne, im Film zu verwirklichen. Jede Regisseurin, jeder Regisseur hat die Pflicht, Vorstellungen und Vorgaben von Autoren und Komponisten der jeweiligen Werke nicht über alles Mass zu verfälschen. Dies gilt ganz speziell für das Musiktheater, wo musikalische Vorgaben das Mass aller Dinge sein sollten, sein müssen. Wenn nun ein Regisseur hingeht und die Musik als reine Untermalung für seine Ideen verwendet, verletzt er diese Pflicht auf grobe, nicht akzeptierbare Art; gleiches gilt für eine Regisseurin!

Der russische Regisseur Kirill Serebrennikov, in Personalunion verantwortlich für Regie, Bühne und Kostüme, hat den Barbier als Kritik, als Betrachtung über modernes Kommunikationsverhalten missbraucht und dabei das musikalische Werk des Komponisten Rossini über alle Massen strapaziert, verfälscht und die Musik als Soundtrack wie im Film verwendet.

Der russische Regisseur überfährt Rossinis geniale Oper wie weiland die Panzer der UdSSR Ungarn und die Tschechoslowakei, das damalige Regime aus politischen Gründen, Serebrennikov aus Selbstverliebtheit, Narzissmus, vielleicht Unkenntnis. In einem Interview aus dem Jahre 2016 drückt er aus, dass er eigentlich eher ernsthafte Stoffe liegen. Lustspiele für Film oder Schauspiel hätte er abgesagt, die Oper aber biete andere Möglichkeiten:

Sie eröffnet mir die Auseinandersetzung mit meinen eigenen Vorurteilen!

Seine Regiearbeit strotzt vor Allgemeinplätzen, ist überladen mit Nebensächlichkeiten, unnötiger Aktivität auf der Bühne. So stören zum Beispiel zwei Hauptdarsteller das eingängige Vorspiel mit Zwischenbemerkungen und Selfies mit dem Dirigenten, Klatschen am falschen Ort und ähnlichen Gags. Solche Visualisierungen von Ouvertüren sind ein absolutes No Go.

Die leise, nächtliche Szene vor dem Fenster Rosinas verkommt zu lautem Geschrei, einem miserablen Gesang und ist alles andere als ein Liebeslied, eine zarte Cavatine. Dies und noch mehr spielt sich auf der Vorbühne, näher noch dem Publikum als der hochgedrehte Orchestergraben. Dazu kommen noch die Einspielungen der Handytexte, so dass ein jederextrem abgelenkt wird.

Dies nenne ich, im Gegensatz zu den Lobhudeleien anderer Kritiken, Zerstörung eines Kulturgutes, gleichzusetzen mit der Überflutung von Abu Simbel, um nur ein Beispiel zu erwähnen. Auch wenn ein Künstler von einer totalitären Regierung unter Arrest gesetzt wird, darf dies einen Kulturberichterstatter aus Sympathie, falsch empfundener Solidarität, nicht davon abhalten, objektiv die Arbeit dieses Künstlers zu beurteilen, und dies umso mehr, als es sich in diesem Fall nicht um ein Eigenprodukt Serebrennikovs handelt, sondern um die Interpretation eines in der Musikgeschichte verankerten Werkes.

Peter Heuberger 18.10.2019

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