Basel: „Il barbiere di Siviglia“

17. Oktober 2019

(Premiere Komische Oper Berlin: 9. Oktober 2016)

Zerstörung eines Kunstwerkes

Jede Regisseurin, jeder Regisseur hat das Recht, seine Ideen und Vorstellungen auf der Bühne, im Film zu verwirklichen. Jede Regisseurin, jeder Regisseur hat die Pflicht, Vorstellungen und Vorgaben von Autoren und Komponisten der jeweiligen Werke nicht über alles Mass zu verfälschen. Dies gilt ganz speziell für das Musiktheater, wo musikalische Vorgaben das Mass aller Dinge sein sollten, sein müssen. Wenn nun ein Regisseur hingeht und die Musik als reine Untermalung für seine Ideen verwendet, verletzt er diese Pflicht auf grobe, nicht akzeptierbare Art.

Der russische Regisseur Kirill Serebrennikov, in Personalunion verantwortlich für Regie, Bühne und Kostüme, hat den Barbier als Kritik, als Betrachtung über modernes Kommunikationsverhalten missbraucht und dabei das musikalische Werk des Komponisten Rossini über alle Massen strapaziert, verfälscht und die Musik als Soundtrack wie im Film verwendet.

Seine Regiearbeit strotzt vor Allgemeinplätzen, ist überladen mit Nebensächlichkeiten, unnötiger Aktivität auf der Bühne. So stören zum Beispiel zwei Hauptdarsteller das eingängige Vorspiel mit Zwischenbemerkungen und Selfies mit dem Dirigenten, Klatschen am falschen Ort und ähnlichen Gags. Partitur Anweisung Rossinis zu dieser Szene 1, wäre:

Introduktion (Fiorello, Graf, Chor): „Piano, pianissimo“
Cavatine (Graf): „Ecco ridente in cielo“

In der Auffassung des Regisseurs verkommt diese Szene zu lautem Geschrei, ein miserablen Gesang und ist alles andere als ein Liebeslied, eine zarte Cavatine.

All dies und noch mehr auf der Vorbühne, näher noch dem Publikum als der hochgedrehte Orchestergraben. Dazu kommen noch die Einspielungen der Handytexte, so dass man/frau extrem abgelenkt wird. Was soll zum Beispiel der Auftritt Almavivas, in der Rolle des Gesangslehrers Don Alonso im zweiten Akt, ("Pace e gioia il ciel vi dia") verkleidet als Conchita Wurst.

Dies nenne ich, im Gegensatz zu den Lobhudeleien anderer Kritiken: Zerstörung eines Kulturgutes, gleichzusetzen mit der Überflutung von Abu Simbel, um nur ein Beispiel zu erwähnen. Auch wenn ein Künstler von einer totalitären Regierung unter Arrest gesetzt wird, darf dies einen Kulturberichterstatter aus Sympathie, falsch empfundener Solidarität, nicht davon abhalten, objektiv die Arbeit dieses Künstlers zu beurteilen, und dies umso mehr, als es sich in diesem Fall nicht um ein Eigenprodukt Serebrennikovs handelt, sondern um die Interpretation eines in der Musikgeschichte verankerten Werkes.

Aber es gibt auch positive Aspekte in dieser Produktion – das erfreut.

Das Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von David Parry interpretierte die Komposition Rossinis mit viel Gefühl, perfektem Timing und ausgezeichneter Dynamik. Wunderbar und subtil das Spiel der Soloflötistin Julia Habenschuss und des Solohornisten Jean-François Taillard.

Der Chor des Theater Basel, löste seine Aufgabe mit brillantem Gesang, hervorragend intoniert mit ausgezeichneter Diktion. Michael Clark war mit seinen Chormitgliedern sichtlich zufrieden.

Herausragend war gestern Abend die Interpretation des Doktor Bartolo durch das Basler Ensemblemitglied Andrew Murphy und der Rolle des Figaro durch den jungen Armenier Gurgen Baveyan.

Murphy gab seinen Bartolo, und dies ist der Regie zu verdanken, nicht als alten Trottel, sondern ist ein intelligenter Antiquar. Und erst so wird seine hervorragend interpretierte Arie "A un dottor della mia sorte", oder seine Arietta "Quando mi sei vicina" glaubhaft. Seine Diktion, seine Intonation, seine Gestik und Mimik, seine Körpersprache war über die ganze Länge der Oper überzeugend, so wie wir das in Basel von Andrew Murphy gewohnt sind.

Die Interpretation Baveyans als Intrigant Figaro, als Mephisto, war schon sehr speziell, individuell und gefiel dem Premierenpublikum. Seine kraftvolle Baritonstimme war klar, seine Intonation, seine Körpersprache und Diktion makellos. Trotz dem üblich enormen Tempo der Cavatine "Largo al factotum" war der gesungene Text gut zu verstehen.

Weniger überzeugte als Sänger und Schauspieler der Australier Alasdair Kent als Conte Almaviva. Er wurde zwar als leicht indisponiert angesagt, aber seine Stimme ist klein, ohne Körper, ohne viel Kraft. Dies kann nicht nur seiner Indisposition zuzuschreiben sein, sonst hätte er absagen müssen. Eine seiner Rollen ist "Fenton" in Verdis Falstaff. Am Abend zuvor hörte ich im Theater Freiburg einen Fenton, einen hervorragenden Fenton, interpretiert durch den amerikanischen Tenor Joshua Kohl. Wenn ich die beiden Stimmen vergleiche, kann ich mir nicht vorstellen, dass Kent dem Freiburger Fenton auch nur nahe kommt.

Auch nicht voll überzeugen konnte mich die russische Mezzosopranistin Vasilisa Berzhanskaya in der Rolle der Rosina. Ihr Diktion und Interpretation entspricht den üblichen Ansprüchen und ist immer hörbar, leider, denn auch in Ensembleszenen wirkt sie etwas vordergründig, dafür ist ihre Cavatine "Una voce poco fa" etwas sehr poco, leise. Auch überzeugte ihr Gestik, Mimik und Körpersprache nicht voll. Dies liegt aber eventuell daran, dass ihre Ausbildung in Russland stattfand. Es ist mir aufgefallen, dass viele Sängerinnen und Sänger aus dem Osten zwar gut singen, aber ausbildungsbedingt mittelmässige Schauspieler sind. Ich muss anfügen, dass ich Frau Berzhanskaya in der Rolle der Angelina in Rossinis Cenerentola hier in Basel wesentlich besser erlebt habe. Als müssen meine negativen Bemerkungen der Personenführung der Regie zuzuschreiben sein.

In weiteren Rollen sind zu sehen und hören: Als Fiorello: Dmytro Kalmuchin, als Ufficiale: Vivian Zatta und als Berta: Kali Hardwick .

Das zahlreich erschienene Premierenpublikum applaudierte verhalten, belohnte aber einzelne Sängerinnen und Sänger mit Bravi Rufen und feierte mit stürmischem Applaus den Opernchor des Theaters mit seinem Leiter Michael Clark, das Sinfonieorchester Basel und den Dirigenten
David Parry.

Peter Heuberger, Basel

Foto © Priska Ketterer

P.S.

Der Regisseur bekommt dafür unseren absoluten Negativpreis, die vielgefürchtete, weil selten vergebene OPERNFREUND Schnuppe