Premiere am 09.04.2016
Die Welt steht auf dem Kopf
Das Oldenburger Publikum wird sich gern an die Spielzeiteröffnung der Saison 2004/2005 erinnern: „The Fairy Queen“ von Henry Purcell war ein phantasievolles, pralles Theatererlebnis, basierend auf dem „Sommernachtstraum“ von William Shakespeare. Fast dreihundert Jahre nach Purcell hat ein anderer Engländer den Stoff zu einer Oper verarbeitet. „Ein Sommernachtstraum“ von Benjamin Britten wurde 1960 in Aldeburgh uraufgeführt. Auch musikalisch sind beide Werke verbunden, denn Britten nahm durchaus Bezug auf barocke Form- und Stilelemente, nicht zuletzt durch die Besetzung des Feenkönigs Oberon mit einem Countertenor. Brittens vielschichtiges Werk wurde nun in Oldenburg in einer liebenswerten Aufbereitung gezeigt.
Ist Paris die Stadt der Liebe? Regisseur Tom Ryser scheint in seiner Inszenierung eher Oldenburg dafür zu halten, zumindest für die Stadt der Liebeswirren. Denn das Bühnenbild von Stefan Rieckhoff zeigt eine Oldenburger Stadtansicht, die allerdings auf den Kopf gestellt ist. Auf den Kopf gestellt sind auch die Gefühle der beiden Paare Lysander und Hermia bzw. Demetrius und Helena, weil der Feenkönig Oberon wegen eines Streits mit Titania seinen Adlatus Puck mit allerlei Zaubereien beauftragt. Aber Puck vermasselt seine Mission und löst ein wahres Chaos der Gefühle aus. Am Ende muss Oberon es wieder richten – und auch die Stadt Oldenburg wird aus ihrem Kopfstand erlöst.
Rysers Inszenierung bewegte sich dabei in ruhigen Bahnen und erzählte die Ereignisse dieser Sommernacht in einer unspektakulären, sehr märchenhaften Art und Weise, ohne die sexuellen Abenteuer drastisch vorzuführen. Weiter als bis zur Unterwäsche ging es nicht. So blieb auch dank der phantasievoll ausgestatteten Bühne der poetische Zauber des Elfenreichs gewahrt. Hatten Ryser und Rieckhoff bei ihrem „Falstaff“ vor zwei Jahren auf die Farbe Grün gesetzt, so war es diesmal Rot. Oberon und Titania erschienen in knallroten, sehr hübschen Kostümen, ebenso Puck mit einem drolligen Bowler-Hütchen. Auch die Beleuchtung des Zuschauerraums war rot. Die theaterbesessenen Handwerker rund um den später in einen Esel verwandelten Bottom (eigentlich besser bekannt als Zettel), waren hier zu Müllwerkern mutiert, die den Dreck auf Oldenburgs Strassen in Säcke stopfen.
Ryser ließ sie durchaus munter agieren, aber das hätte doch etwas witziger und pointierter ausfallen können. Diese Szenen sorgten denn doch für einige Längen. Umso quirliger waren die des mit David Bennent prominent besetzten Pucks. Wie ein Derwisch wirbelte er über die Bühne und konnte sich vor Schadenfreude über das von ihm verursachte Chaos kaum wieder einkriegen. Und im Finale des zweiten Aktes fühlte man sich beim Chor der Elfen fast in „Hänsel und Gretel“ versetzt. Gleichwohl – die Inszenierung ist in ihrer soliden, eher der Poesie als der Drastik verpflichteten Art gut gelungen und trägt über drei Stunden.
Fast das gesamt Opernpersonal des Oldenburgischen Staatstheaters stand auf der Bühne und konnte mit einer homogenen Leistung auf hohem Niveau überzeugen. Jede Rolle konnte stimmig besetzt werden. Leandro Marziotte war (mit etwas zurückhaltendem) Countertenor der Oberon, Alexandra Scherrmann die attraktive, sehr stimmgewandte Titania. Hagar Sharvit und Philipp Kapeller waren als Hermia und Lysander ebenso glaubhaft wie Valda Wilson und Daniel Moon als Helena und Demetrius. Wunderbar gestalteten sie das Quartett der Erwachensszene. Die Riege der Handwerker wurde von Thomasz Wija als Bottom stimmstark angeführt. Paul Brady gab den Theseus wie einen Operetten-Bonvivant, Yulia Sokolik war seine zickige Hippolyta.
Die Elfenschar wurde erfolgreich aus dem Jugendchor KlangHelden rekrutiert. Am Pult des Oldenburgischen Staatsorchesters stand Vito Cristófaro, der vor allem auf die Schönheit der Musik setzte, weniger auf die kantigen Momente. Mit seinen breiten Tempi stand er im Einklang mit dem ruhigen Fluss der Inszenierung. Suggestiv ließ er im Orchester die Seufzer der Nacht erklingen. Insgesamt brachte er Brittens kunstvolle Komposition mit ihren Glissando-Klängen durchaus zum Leuchten. Keine sensationelle, dafür aber sehr liebenswerte Inszenierung.
Wolfgang Denker, 10.04.2016
Fotos von Stephan Walzl