Premiere am 04.05.2019, besuchte Aufführung: 08.05.2019
Zu Herzen gehende Töne
Maria Louisa, die frisch gekrönte Kaiserin von Böhmen, bezeichnete Mozarts La Clemenza di Tito nach der Uraufführung 1791 als „una porcheria tedesca“ – eine „deutsche Schweinerei“. Vielleicht hat es ihr nicht gefallen, dass ein Herrscher auf die Bestrafung der Attentäter und auf sein eigenes Liebesglück verzichtet. Aber die „Milde“ des Titus wurde in manchen Inszenierungen ohnehin kritisch hinterfragt – auch in Oldenburg 2006, als Regisseur Anthony Pilavachi die scheinbar Begnadigten vergifteten Wein trinken ließ.
Für die Neuproduktion zeichnet Laurence Dale verantwortlich. Derartige Überraschungen gibt es in seiner Inszenierung keine. Zur Ouvertüre wird ein Video projiziert, das u. a. die Namen römischer Kaiser auflistet. Es waren bewegte Zeiten. Allein im Jahr 69 n. Chr., dem sogenannten Vierkaiserjahr, saßen nacheinander vier Personen auf dem römischen Thron, bevor mit Vespasian und dann mit dessen Sohn Tito wieder Stabilität einkehrte. Dale bindet den historischen Kontext durchaus in seine Inszenierung ein, legt aber das Schwergewicht auf die emotionale Zerrissenheit der Hauptfiguren Tito, Vitellia und Sesto. Und das gelingt hervorragend, denn Macht und Mord, Liebe und sexuelle Hörigkeit, Verzweiflung und Hoffnung sind die Themen, die in ihrer ganzen Zeitlosigkeit in Mozarts lange unterschätztem Werk (erst Jean-Pierre Ponnelle hat das Stück 1969 in seiner Kölner Inszenierung dem Repertoire wiedergeschenkt) enthalten sind.
Dale verliert sich bei seiner Personenführung nicht in vordergründigen Aktionismus, sondern erzählt die Geschichte in ruhigen Bahnen und scheut dabei auch nicht vor statischen Momenten zurück. Besonders im zweiten Teil, wo sich die bekenntnishaften Arien häufen, sichert er den Sängerinnen und Sängern Ruhe für die musikalische Ausführung. Das funktioniert, weil die sängerischen Leistungen so ausdrucksvoll und fesselnd sind, dass kein Leerlauf entsteht. Das soll nicht heißen, dass nicht viel auf der Bühne passiert. Der Brand Roms (mit Feuerwehrleuten im Hintergrund), die Bergung der Verletzten, das Krankenlager von Tito, der den Brandanschlag überlebt hat, und die großen Volksaufmärsche – das alles wird in eindrucksvollen Sequenzen verdeutlicht. Unterstützend wirkt das Bühnenbild von Matthias Kronfuß, das mit spiegelnden Wänden und mit paralleler Handlung im vorderen und hinteren Teil der Bühne arbeitet.
Bei den Solisten ist Ann-Beth Solvang an erster Stelle zu nennen, die als Sesto mit ihrem klangvollen Mezzo Töne findet, die wahrhaftig zu Herzen gehen. Ihre Arie „Parto, ma tu ben mio“ (mit obligater Klarinette) gerät zu einem Höhepunkt. Sie kann die Zerrissenheit, die Gewissensqualen, den jugendlichen Überschwang und auch die sexuelle Hörigkeit des Sesto glaubhaft vermitteln. Kein Wunder, denn die Verführungskünste von Vitellia, die dabei gekonnt ihre langen Beine einsetzt, zeigen ihre Wirkung. Dabei scheint Vitellia keinen klaren Lebensplan zu haben. Sie taumelt zwischen Rachsucht und Machtstreben, zwischen Kalkül und Gewissensnot ebenso wie zwischen ihrer Liebe zu Tito und zu Sesto. Narine Yeghiyan gibt der Figur mal furienhafte, mal verzweifelte Züge und verdeutlicht das mit ihrem höhensicheren und in allen Lagen durchschlagskräftigen Sopran. Auch Tito ist nicht frei von Selbstzweifeln. Philipp Kapeller gibt diesem Kaiser ein stimmiges Profil und gestaltet seine lange Arie „Ma che giorno“ mit lyrischem und substanzreichem Tenor. In den weiteren Partien überzeugen Erica Back als Annio, Martyna Cymerman als Servilia und Ill-Hoon Choung als Publio. Auch der von Markus Popp einstudierte Chor zeigt sich in großer Form.
Eine hervorragende Leistung liefern Hendrik Vestmann und das Oldenburgische Staatsorchester ab. Da paaren sich Detailgenauigkeit und dramatischer Impetus zu einer Wiedergabe, die den Spannungsbogen über die gesamte Aufführung hält. Mit vielen Akzenten wird Mozarts Musik hier zum Ereignis.
Wolfgang Denker, 09.05.2019
Fotos von Stephan Walzl