Oldenburg: „Peter Grimes“, Benjamin Britten

Zuletzt wurde Peter Grimes von Benjamin Britten in Oldenburg vor 22 Jahren gespielt. Das war damals eine sehr gelungene Produktion. Gleiches kann man auch über die aktuelle Inszenierung von Hinrich Horstkotte sagen. Der ist auch gleichzeitig sein eigener Ausstatter und schuf ein beeindruckendes Bühnenbild: Eine düstere Halle, die als Gerichtssaal, Kirche oder Kneipe dient. Wenn die Rückwand sich öffnet. fällt der Blick auf ein trostloses Strand- und Meerpanorama, das oft in dunstige Nebelschwaden gehüllt ist oder von schwarzen Sturmwolken bedroht wird. Die unheimliche Atmosphäre der schicksalhaften Urgewalt der Natur ist geradezu greifbar. Dass im letzten Bild noch ein kleines Boot über die Bühne gezogen wurde, war allerdings überflüssig.

© Stephan Walzl

Die düstere Geschichte um den kontaktarmen Sonderling Grimes, dessen dunkle, seelische Abgründe ihm selbst und erst recht der Gemeinschaft des kleinen englischen Fischerdorfs verschlossen bleiben, hat er zu einem spannenden, ungemein intensiven Opernabend geformt. Die starre Dorfgemeinschaft, die jeden Außenseiter unerbittlich ausgrenzt, hat Horstkotte als Kollektiv glänzend charakterisiert, dabei aber auch die einzelnen Figuren individuell gezeichnet. Peter Grimes steht als gebrochener Charakter, der langsam in den Wahnsinn gleitet, im Mittelpunkt. Aber auch der Kapitän Balstrode, die verklemmte Ellen Orford oder der allzu forsche Ned Keene zeigen eigenständiges Profil.

Bereits im Jahr 2002 war Thomas Bönisch für die Chöre verantwortlich. Auch in diesem Jahr waren Chor und Extrachor sowie das Oldenburgische Staatsorchester die zentralen Leistungsträger dieses großen Opernabends. Zu welch machtvoller Klangpracht Bönisch seine Choristen steigern konnte, war einfach überwältigend. Erschütternd erschallten die „Grimes“-Rufe, wuchtig erklangen die Sturmszenen. Wenn die Sängerinnen und Sänger wie ein antiker Chor frontal ins Publikum sangen, war das an Intensität kaum zu steigern. Auch das von Vito Cristofaro geleitete Oldenburgische Staatsorchester lief zu Hochform auf. Das bezieht sich nicht nur auf die vielen orchestralen Zwischenspiele, die mit ihrer Schilderung der Natur und gleichermaßen der Seelenzustände von Peter Grimes eine zentrale Bedeutung haben. Britten expressive Musik wurde mit klanglicher Schärfe und mit explosiver Dramatik umgesetzt. Mit ungestümer Wucht drehte das Orchester in den Sturmszenen auf, mit fragiler Zartheit überzeugte es in den lyrischen Momenten. Eine klangliche Oase der Ruhe und des Wohllauts war das Frauenquartett (Sally du Randt, Paola Leoci, Elena Harsányi, Marie-Sophie Janke).

© Stephan Walzl

Die Titelpartie wurde von Roman Payer mit hochemotionalem Engagement und sehr differenziertem Ausdrucksvermögen gestaltet. Seine Stimme liegt zwar eher beim Charakter- als beim Heldentenor, aber er überzeugte mit einer durchgehend psychologisch fundierten Interpretation. Sally du Randt war mit ausgeglichenem Sopran als Ellen Orford der ruhige Gegenpol. Nachdrücklich aus dem gut disponierten Ensemble ragten Kihun Yoon als Kaptitän Balstrode und Leonardo Lee als Ned Keene hervor. Die Nichten und die Wirtin Auntie waren bei Paola Leoci, Elena Harsányi und Marie-Sophie Janke bestens aufgehoben. Mit zwei Pausen war es ein langer, aber absolut lohnender Opernabend.

Wolfgang Denker, 11. März 2024


Peter Grimes
Oper von Benjamin Britten

Oldenburgisches Staatstheater

Premiere am 9.3.2024

Inszenierung: Hinrich Horstkotte
Musikalische Leitung: Vito Cristofaro
Oldenburgisches Staatsorchester

Weitere Vorstellungen: 12., 20. März, 7., 27. April, 5., 15., 22., 30. Mai, 2. Juni 2024