Frankfurt: „Die Banditen“, Jacques Offenbach

Nanu, tatsächlich schon Pause? Das Publikum blickt verdutzt im inzwischen wieder hell erleuchteten Saal umher. In der knappen Stunde seit der von Karsten Januschke schwungvoll und transparent mit dem auf Kammergröße reduzierten Orchester präsentierten Ouvertüre ist noch nicht allzu viel passiert. Sehr gefällig hat das Bühnenbild von Etienne Pluss eine malerische Gebirgslandschaft mit einem verschlungenen Pfad und in die Tiefe gestaffelten Baumattrappen gezeigt. Das hätte glatt als typischer Kulissenaufbau aus dem 19. Jahrhundert durchgehen können, wenn sich nicht vorne am Bühnenrand eine Autobahnbrücke aus Beton befände, bei der hinter einem Gazevorhang ganz oben regelmäßig Lichter von vorüberfahrenden Fahrzeugen dezent aufscheinen. Eine echte Brechung erhält dieses ansonsten ziemlich genau dem Libretto entsprechende Bühnenbild dadurch aber so wenig wie durch die Kostüme von Irina Bartels. Sie zeigt im ersten Akt eine Räuberbande wie aus dem Bilderbuch mit Filzhüten, Kopftüchern und langen Mänteln. Auch diese hübsch klischeehafte Einkleidung bedient sich zwar moderner Textilien, interpretiert sie aber im historischen Kontext der Geschichte.

Bilderbuchräuber in einer Bilderbuchlandschaft / © Barbara Aumüller

Diese Geschichte kommt sehr langsam in Schwung, muß doch zunächst die Grundkonstellation von Personen und Situationen ausgebreitet werden. Der Räuberhauptmann Falsacappa sieht sich mit der Unzufriedenheit seiner Bande konfrontiert und plant als großen Coup den Raub von drei Millionen Euro (hier hat das Produktionsteam natürlich die Währung aktualisiert), welche das Herzogtum Mantua anläßlich einer arrangierten Hochzeit dem Königreich Spanien überbringen soll. Nebenbei schließt sich noch ein zuvor von der Bande ausgeraubter „Biobauer“ (noch so eine folgenlose Aktualisierung) den Räubern an, weil er sich in die Tochter des Chefs verliebt hat. Die Präsentation des Personals bietet die Gelegenheit zu schwungvollen Solo- und Ensemblenummern, die musikalisch in lockerer Perfektion präsentiert werden. Die Rollen sind typgerecht besetzt. Gerard Schneider leiht dem Räuberhauptmann seinen saftigen Tenor, Elizabeth Reiter gibt seine Tochter als rotziges Girlie mit klar profiliertem, frischem Sopran. In der Hosenrolle ihres Geliebten zeigt Kelsey Lauritano nach dem fabelhaften Cherubino im Figaro zum Beginn der Spielzeit erneut die ideale Verbindung von burschikosem Spiel und einer attraktiven Mezzostimme. In bester Verfassung präsentiert sich auch der Chor, der präzise und differenziert die Vorgaben aus dem Orchestergraben aufnimmt und zudem noch sehr gekonnt die Choreographien von Katharina Wiedenhofer umsetzt. Diese Choreographien sind auch für den weiteren Verlauf das bestimmende Mittel, um die Musikstücke zu beleben. Soweit einzelne Bandenmitglieder individualisiert werden, beschränkt sich ihre Funktion auf die von Stichwortgebern für die Hauptpartien. Sie sind insgesamt mehr mimisch als musikalisch gefordert und fügen sich mit Engagement und großer Spielfreude in die choreographischen Vorgaben. Ansonsten bleibt die Regie von Katharina Thoma unangestrengt und unauffällig. Es wird eben gezeigt, was das Libretto vorgibt.

Der Prinz von Mantua (Peter Marsh) im Kreise seiner Geliebten / © Barbara Aumüller

Farbe, Schwung und satirischen Witz bekommt man dann nach der Pause zu sehen. Hier gelingen der Regisseurin und ihrem Team einige treffende szenische Pointen, etwa das Hereinschieben der steifen, augenzwinkernd klischeehaft ausstaffierten spanischen Delegation, der Auftritt unfähiger italienischer Carabinieri oder das Liebeslotterbett des Prinzen von Mantua (Peter Marsh in gewohnt souveränem stimmschauspielerischen Einsatz), dem nacheinander ein ganzer Chor von Geliebten entsteigt. Peter Bronder, der den Frankfurtern von vielen Charakterrollen in guter Erinnerung ist, nutzt seine Solonummer als die Staatskasse plündernder Schatzmeister zu einem kleinen Kabinettstück. Was seinem Tenor inzwischen an Höhe fehlt, macht er mit umwerfender Bühnenpräsenz wett.

Wird der erste Akt überwiegend von den Räubern bestimmt, so wimmelt es in den beiden Folgeakten nur so von Personal. Wirtsleute, Mantuaner und Spanier bevölkern die Bühne, insgesamt führt der Besetzungszettel weitere 17 Solisten auf, die hier nicht einzeln gewürdigt werden können. Sie machen alle ihre Sache großartig, singen, spielen und tanzen fabelhaft und fügen sich zu einem quirligen, sehr gut gelaunten Gesamtbild. In den Sprechsequenzen (man hat sich für eine deutsche Übersetzung entschieden), derer eine Operette zahlreiche hat, fällt der englisch-amerikanisch-neuseeländisch-australische Akzent der Hauptdarsteller auf. Gelegentlich muß man auf die englischen (!) Übertitel schielen, um die Sprechtexte vollständig zu erfassen. Womöglich hätte hier eine anderenorts übliche Mikrophonierung geholfen.

Das Ensemble tanzt / © Barbara Aumüller

Was bleibt davon am Ende? Eine auf musikalisch herausragendem Niveau präsentierte Petitesse, ein schwungvoller, nur milde satirisch gewürzter Operettenabend, der von einem hörbar begeisterten Publikum am Ende verdientermaßen gefeiert wird. Man kann die Produktion als im besten Sinne werktreu bezeichnen, ohne verkopfte Meta-Ebenen und ohne verkrampfte Aktualisierungen. Genügt das nicht? Womöglich hat Barrie Kosky mit seinen überdrehten Offenbach-Inszenierungen an der Komischen Oper Berlin den Erwartungshorizont an derartige Aufführungen verschoben, gleichsam die Preise verdorben. Denn bei allem Schwung und aller handwerklichen Geschmeidigkeit bleibt von diesem Premierenabend wenig Erinnernswertes haften. Ein Stück, das zur Karnevalszeit paßt.

Michael Demel, 31. Januar 2024


Die Banditen
Opéra-bouffe von Jacques Offenbach

Oper Frankfurt

Premiere am 28. Januar 2024

Inszenierung: Katharina Thoma
Musikalische Leitung: Karsten Januschke
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

Trailer

Weitere Aufführungen: 1., 10., 16., 18., 22. Februar sowie 1., 10. und 15. März.