Wenn Oper wie Urlaub ist
Donizettis „Liebestrank“ gehört wohl vermutlich zu den populärsten Werken des Meisters und ist auch ständiger Gast auf deutschen Bühnen. In Köln zeigt man nun eine Übernahme aus Madrid und Valencia und am Ende des Abends hält es ein restlos begeistertes Publikum vollkommen zurecht nicht mehr auf den Stühlen im Staatenhaus: Zu sehen ist eine Produktion, die sommerliche Leichtigkeit, Humor und jede Menge „Italianitá“ auf die Bühne bringt und sich dabei auch musikalisch ihre Meriten verdient.
Regisseur Damiano Michieletto hat die Oper aus dem biederen Bauernmillieu kurzerhand an einen heutigen italienischen Strand verlegt und diese Aktualisierung funktioniert ganz wunderbar. Bühnenbildner Paolo Fantin hat dafür eine leicht in die Jahre gekommene „Bar Adina“ auf die Bühne gestellt, um die herum die Geschichte des einfachen Bademeisters Nemorino seinen Lauf nimmt. Palmen, eine Hüpfburg, Sandstrand und ausgezeichnet stimmige Kostüme von Silvia Aymonino versetzen den Zuschauer binnen Minuten in das Gefühl von Strandurlaub in Italien und zaubern in das sonst eher triste Staatenhaus sommerliches Flair.
Dabei präsentiert sich eine quirlige und lebendige Szenerie, mal bevölkert von Rentnerehepaaren, die sich morgendlicher Gymnastik hingeben, selbstverliebten Jungs, die Adina alle ihre Sonnencreme anbieten, spielenden Kindern, sonnenden Damen und biertrinkenden Herren. Die Zahl der kleinen und teils auch wirklich komischen Geschichten ist schier endlos und erweckt den Strand zum Leben. Angenehm zu sehen ist dabei, dass es nie in Klamauk abdriftet oder der Spaß nur seinen Selbstzweck kennt. Die Regie nimmt das Werk ernst und erzählt die Geschichte schlüssig und dabei ausgesprochen unterhaltsam. Freilich muss man zugeben, dass der Liebestrank nicht zu den komplexesten Werken der Operngeschichte gehört, aber gerade deshalb ist es angenehm zu sehen, wie leicht und locker die Regie das Werk ins heute holt und wie facettenreich die Umsetzung auf der Bühne stattfindet. Besonders erfreulich ist, dass dank einer hervorragenden Personenführung die Protagonisten nie aus dem Fokus geraten und das ist auch gut so, denn hier punktet diese Produktion mit einer exzellenten Besetzung.
Der Tenor Dmitry Ivanchey als Nemorino spielt die Rolle des bemitleidenswerten Bademeisters mit viel Herzblut und Wärme. Mitleid beim Publikum ist vorprogrammiert und wenn der Sänger seine große Arie „Una furtiva lagrima“ schmachtet, dann liegen ihm die Herzen des Publikums zu Füßen, denn Ivanchey spielt nicht nur gut, nein, seine Stimme ist perfekt für die Rolle. Weich und mit der richtigen Leichtigkeit, um sich in einen süffigen Donizetti-Klang einzupassen. Ihm zur Seite als Adina steht Katrin Zukowski. Vor fünf Jahren noch im Opernstudio, überzeugt diese Sängerin mittlerweile in vielen großen Partien und setzt mit ihrer Adina ein echtes Ausrufezeichen. Szenisch auf den Punkt vermag auch sie genau richtig mit ihrer Stimme in Koloraturen wie in lyrischen Passagen, in Höhen, wie in Tiefen mit hoher Akkuratesse ihre Rolle mit Leben zu füllen. Insik Choi als Belcore zeigt den souveränen Marine-Macho und untermauert dies mit seinem wohlklingenden satten Bariton. Der Dulcamara von Omar Molinari ist weniger Quacksalber, denn halbseidener Drogendealer, Geschäftemacher und kommt mit leicht mafiösem Touch daher. So bekommt Nemorino auch nicht die Flasche Wein, die ihn benebelt, sondern es wird kurzerhand mit LSD gedealt. Das klingt gewagt, ist aber absolut stimmig im Setting des Abends und Molinari weiß die Facetten seiner Figur ganz hervorragend mit viel Spielfreude changierend zwischen Charme und Abgebrühtheit zu präsentieren und vermag zielsicher die Pointen in seiner Rolle zu platzieren. Stimmlich liefert er ein absolut solides Rollenporträt. Maya Gour fügt sich mit ihrer Interpretation der Gianetta stimmlich wie szenisch in ein grandioses Ensemble ein.
Opernfreunde freuen sich auf die Zeit, in der das Interim im Staatenhaus mit seinen teils gewagten Platzierungen des Orchesters ein Ende hat, denn die an diesem Abend gewählte Positionierung des Klangkörpers – leicht versteckt links neben der Bühne – ist leider nicht ideal. Da kann sich Matteo Beltrami mit am Pult eines blendend aufgelegten Gürzenich-Orchesters noch so mühen, aber immer wieder kommt es zu zwar verschmerzbaren, aber dennoch erwähnenswerten Wacklern zwischen Bühne und Orchester. Beltrami wählt die Tempi flott, geht mit viel Schwung an die Partitur, weiß sehr genau im Orchester die filigranen Momente des Werks zu muszieren und hat aber gerade in den großen Ensembles keine Chance aufgrund seiner Positionierung direkten Kontakt (außer über Monitore) mit den Singenden aufzunehmen, so zumindest der Eindruck aus dem Auditorium. Letztlich ist diese Problematik aber nicht ganz neu und was nützt das Jammern? Im Sommer geht es zurück an den Offenbachplatz – wir freuen uns drauf und was wäre es für eine Freude, diese Produktion dann noch einmal mit der klassischen Positionierung des Orchesters hören zu können. Vielleicht kommt es ja dazu.
Am Ende des Abends bleibt aber trotz der winzigen Eintrübungen ein rundum erfreulicher Eindruck zurück. Der Kölner Liebestrank besticht durch einen großen, ungezwungenen Spaß und jeder, der nicht gerade die Ästhetik der Uraufführung für einen gelungenen Opernabend braucht, wird sich von der Spielfreude und dem charmanten Flair begeistern lassen. Musikalisch ist der Abend ohnehin exzellent – also nichts wie hin: So einfach kommt man in den Italienurlaub.
Sebastian Jacobs 8. November 2023
Der Liebestrank
Gaetano Donizetti
Oper Köln
Besuchte Premiere: 5. November 2023
Regisseur Damiano Michieletto
Musikalische Leitung: Matteo Beltrami
Inszenierung: Damiano Michieletto
Gürzenich-Orchester Köln