Mit Wiederentdeckungen ist das ja immer so eine Sache – manche Dinge lohnen es, manche sind zurecht in Vergessenheit geraten. Im Bereich der Operette hat die Komische Oper in Berlin in der Ära Barrie Koskys so manchen Schatz gehoben und Werke wie „Ball im Savoy“ oder „Märchen im Grand Hotel“ bereichern hier und dort die Spielpläne und verdrängen die allerorten flatternden Fledermäuse und sich verlustierenden Witwen. Nun in Köln also eine solche Ausgrabung mit „Eine Frau von Format“. Nur wenige kennen das Werk und selbst der Komponist Michael Krasznay-Krausz dürfte wohl kaum bekannt sein – so ist zu diesem Werk nichts im Reclam-Operettenführer zu finden, nichts in Pipers Enzyklopädie und selbst das Internet weiß erstaunlich wenig zu Werk und Komponist. Daher eine kurze Einordnung:
Michael Krasznay-Krausz wurde 1897 in Pancsova, Österreich-Ungarn, geboren und stammte aus einer jüdischen Familie. Er begann früh mit dem Komponieren und studierte in Budapest bei Victor von Herzfeld und Zoltán Kodály. Nach der Aufführung seiner Oper „Marika“ 1919 in Budapest zog er nach Wien und wandte sich ab 1923 der Operette zu – dies auch sehr erfolgreich. Neben „Eine Frau von Format“, die 1927 nicht zuletzt wegen der Besetzung der Titelrolle mit Fritzi Massary ein Sensationserfolg in Berlin wurde, komponierte er darüber hinaus weitere Operetten wie „Bajazzos Abenteuer“ und „Pusztaliebchen“. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 verließ er Berlin und kehrte 1938 nach Budapest zurück, wo er 1940 verstarb, seine Musik missfiel den Machthabern aufgrund der Abstammung des Komponisten und so gerieten der Komponist und seine Werke in Vergessenheit.
In Köln betreibt man mit der Rekonstruktion und Überarbeitung der „Frau von Format“ ein wenig Musikarchäologie, war das Material in der Ausgangslage kaum vorhanden. Dirigent Adam Benzwi zeichnet für die neuen musikalischen Arrangements verantwortlich, die er auch teils mit wahrer Tastenakrobatik am Klavier selbst spielt. Die Musik ist gefällig, hat auch die ein oder andere schwungvolle Nummer, es ist Musik der Zeit, der 1920er Jahre, ein bisschen Tango, ein bisschen Jazz, ein bisschen Revue – all das hat das Stück, wenngleich die ganz großen Ohrwürmer fehlen.

Der Abend hat viel Licht, aber auch Schatten: Auf der einen Seite zaubert das Kölner Haus opulentes Operettentheater auf die Bühne, dass erstmal schön aussieht. Bühnenbildner Dieter Richter hat hierzu ein raffiniertes zweigeschossiges Karussell gebaut, dass sich mittels einiger Kniffe als ausgesprochen wandelbar zeigt. Auch die unfassbar prächtigen und detailverliebten Kostüme von Sarah Mittenbuhler sind eine wahre Augenweide.
Die Handlung wiederum ist eher schlichter Natur, ist schnell erzählt: Es geht wild zu im fiktiven Fürstentum Silistrien, das zwischen zwei weiteren europäischen Mächten – Ungarn und der Türkei – um einen Handelsvertrag buhlt. Während der ungarische Botschafter Graf Géza von Tököli bereits um die Gunst der silistrischen Fürstin Petra wirbt, sorgt die Ankunft des türkischen Botschafters für Aufsehen: Es handelt sich um eine Frau namens Dschilli Bey. Es kommt, wie es kommen muss und so spielt das Werk mit Geschlechterrollen und kulturellen Klischees und bietet eine Mischung aus Intrigen, Verwechslungen und überraschenden Wendungen.

.Und hier offenbart sich der Zwiespalt, denn auf der einen Seite sieht man Operette, wie man sie erwartet, aber Programmheft verkündet die Regie die „feministische Operette“. Zunächst eins vorneweg und das macht einen Bericht über diesen Abend eben so schwer: Das Ensemble auf der Bühne kämpft sich mit unglaublicher Energie durch das Stück und gerade Wolfgang Stefan Schweiger in der Partie des Grafen Tököli und vor allen Dingen der junge Tenor Richard Glöckner leisten Großartiges. Problematisch ist an diesem Abend, dass er sich viel mehr Substanz verordnet, als er tatsächlich hat. Nun haftet der Operette natürlich immer das Klischee der Sichtigkeit an und dies ist nie ganz von der Hand zu weisen. Aber was passiert nun hier? Die Regie möchte ein „genderfluides Showspektakel“ entfachen, möchte die Rolle der Frau beleuchten und man fragt sich als Zuschauer: Warum? Und wo passiert das denn? Liest man das Interview mit dem Regisseur im Programmheft prasseln viele, aktuelle und auch wichtige Themen auf den Leser ein: Gender, Queerness, Feminismus – Themen, die immer wieder für Aufregung und teils (populistische) Empörung sorgen. In dieser Produktion wird aber nun teils hanebüchen mit diesen Begriffen umgegangen. So prangt Nina Hagens Formulierung „unbeschreiblich weiblich“ omnipräsent über der Bühne und so plakativ dieser Schriftzug ist, so plakativ ist auch das, was von der Regie verordnet wird. Der Abend blüht auf, wenn die Akteure einfach mal spielen können, wenn sie sich um den Überbau nicht scheren müssen, wenn sie Operettencharme im besten Sinne versprühen. Ein verbales Scharmützel hier, eine kleine Tanzeinlage dort, ein bisschen Boulevard – alles könnte so schön sein. Er verliert, wenn in den teils platten Dialogen versucht wird auf Komik zu machen und ein Brückenschlag von den 1920ern, in denen der Abend eigentlich spielen soll, in die Gegenwart geschlagen wird und so verpufft nicht nur eine Pointe. Ein Beispiel gefällig? Bitte sehr:
Lya: Papa, ich hatte etwas mit einem Postboten.
Generalkonsul Zuntz: Ups!
Lya: Nein, DHL.
Ja, das muss man erstmal sacken lassen. Was dann aber im Endeffekt feministisch sein soll, ist, dass die Männer in diesem Werk als die Trottel dastehen (gut, dass das in „Fledermaus“ oder „Lustiger Witwe“ ja gänzlich anders ist) und es starke Frauen gibt. Ja, die gibt es und das ist auch gut so, denn sonst würde dem ohnehin schon flachen Plot jegliche Spannkraft fehlen. Und auch der queere oder genderfluide Gedanke wird so arg strapaziert, dass man ihn auf Dauer über wird. Männer in (teils phantastischen) Kleidern, Glitzer und Bling-Bling sind omnipräsent und natürlich trägt Kapitän Penesch opulente Pfauenfedern, wenn es zum Pride-Ball geht. Offensichtlich machen queere Menschen das so – wirklich? Ja, da jagt ein Klischee das andere und darf den ganzen Abend auch so bleiben – von einer im Programmheft beschriebenen Brechung sieht man so gut wie nichts und man wähnt sich zeitweise in einer „La Cage aux folles“-Vorstellung. Immer wieder krampfen sich Dramaturgin Svenja Gottsmann und Regisseur Christian von Götz schnell in ihren Dialogen einen aktuellen Bezug herbei, egal ob es um Pressefreiheit in der Türkei geht, ob es um die Verfolgung Homosexueller in Russland und Ungarn geht – all das wird eilig herbeigeschafft um als Losung des Abends zu verkünden „The future is female“ und Operettenseligkeit ist die einzige Erlösung. Den Zusammenhang verstehen Sie nicht? Das ist auch leider nicht so einfach, denn so erhält das an sich löbliche Ansinnen einer Operettenausgrabung einen faden Beigeschmack, nämlich den, dass man dieses Werk mit Schlagwörtern versehen hat, die es nicht einzuhalten vermag. Vielmehr entsteht hier der Eindruck, dass man ein Werk künstlich mit etwas auflädt, das aktuell sein könnte, im Endeffekt aber so bieder und altbacken daherkommt. Dass Zuschauer den Saal nach der Pause nicht wieder betreten haben, spricht Bände. Und wollte man diesen Abend wirklich feministisch oder queer-politisch durchleuchten, so würde der Ansatz nicht nur an einer Stelle Baden gehen: Dass der Bordell-Besitzer Zuntz als charmanter Kölscher Tunichtgut dargestellt wird, sollte jede Feministin auf die Barrikaden bringen – das nur als kleines Beispiel.
Schade ist, dass dieser so verkorkste Überbau im krassen Kontrast zum dem sichtlichen Spaß der Akteure auf der Bühne steht, denn die spielen durch die Bank weg erstklassig. Wolfgang Stefan Schweiger als Graf Tököli beweist komödiantisches Talent, dass er so bisher nur selten in Köln zeigen konnte und bietet Star-Sängerin Annette Dasch als direktes Gegenüber einen tollen Konterpart. Sieschmeißt sich wiederum ebenfalls mit großer Verve in die Rolle und spielt die türkische Botschafterin Dschilli Bey.Dasch beeindruckt vor allen Dingen mit ihrem Spiel, dass mal mit strenger Androgynität arbeitet, mal eine innere Zerrissenheit zwischen Staatsraison und Herz zeigt. Mal unterspielt sie den Operettenton bewusst, steigt aus der Rolle aus, verlangt von der Dramaturgie neue Texte (die sich das Publikum übrigens auch gewünscht hätte) und gibt dem emanzipatorischen Ansinnen der Regie einen gewissen Spielraum. Urkomisch kommt Kammersängerin Dalia Schaechter in der Rolle des Kanzlers Negrutzky daher. Selten hat man dieses Urgestein des Kölner Hauses, die sonst in den großen Partien Verdis und Wagners zu Hause ist, so erlebt: Schratig, verschroben, mit Spielwitz – und Akzent. Dass diese Rolle von einer Frau und somit als Hosenrolle angelegt wurde, ist auch ein Kunstgriff des Inszenierungsteams, denn so wird auch die Rolle der Baronin Manulescu von einem Mann gespielt – ein kurzer Geschlechtertausch. Gerade die Baronin, von Tobias Hieronimi als Grande Dame angelegt hat natürlich einen Witz, steht sie in Bissigkeit und Attitüde den Großen der Travestie in nichts nach. Vielleicht Star des Abends, aber auf jeden Fall Liebling des Publikums, istder junge Tenor Richard Glöckner der die turbulente Partie des Baron Pista mit aller gebotenen Leichtigkeit verkörpert. Charme, eine feine, schöne Tenorstimme und eine immense Spielfreude bringen ihm am Ende des Abends sogar das ein oder andere Bravo ein. Stefan Sevenich als Generalkonsul Zuntz bringt das Kölsche Element in den Abend und das funktioniert in der Metropole am Rhein ja eigentlich immer. So sitzen die Pointen bei ihm und er präsentiert – wie erwähnt – souverän den kölschen Tunichtgut mit Schmalzlocke und liebenswertem klüngeligem Schmier, was beim Publikum gut ankommt. Giulia Montanari als Lya, Martin Koch als Kapitän Penesch, sowie Claudia Rohrbach als Fürstin liefern ebenfalls solide Porträts ihrer Figuren. Flankiert werden die Singenden vom einem kleinen, feinen Tanzensemble. Der Chor der Kölner Oper singt klangschön und zeigt sich ebenfalls mit viel Spielfreude auf der Bühne. Vollkommen überflüssig ist die Etablierung des Tramps, eines Charlie Chaplin-Verschnitts verkörpert von Verena von Götz, der Regisseursgattin, die auch noch die szenisch nicht minder entbehrlichen gemeinsamen Kinder, im Besetzungszettel als „die Streuner“ angegeben, auf der Bühne beaufsichtigen darf. Abgesehen von kleinen Umbauhilfen, fragt man sich als Zuschauer schon, warum ein Regisseur die eigene Familie derart prominent auf der Bühne unterbringen muss. Vermutlich, weil er es kann – im patriarchal geprägten Theatersystem

Am Ende des knapp dreistündigen Abends zeigt sich das verbliebene Publikum freundlich gestimmt, bedenkt die musikalische Seite mit viel Beifall, einzelne Bravos sind zu hören, für das Inszenierungsteam bleibt der Applaus verhalten und ist insgesamt auch schnell beendet. Für den Zuschauer bleibt ein zwiegespaltener Eindruck, denn die opulente Optik, die Freude der Darsteller am Spiel, am „Rollentausch“ ist da und man wünscht sich viel mehr Anarchie, mehr Lust, mehr Wildheit, mehr Tempo. Was bleibt ist aber der Eindruck einer dicken Staubschicht auf mühseligen Dialogen, Plattitüden und verordneten Überschriften: Feminismus ist, wenn Männer Trottel sind – so einfach platzt der Traum einer feministischen Operette. Schade drum.
Sebastian Jacobs, 12. Mai 2025
Eine Frau von Format
Operette in drei Akten von Michael Krasznay-Krausz
Oper Köln
Premiere am 11. Mai 2025
Inszenierung: Christian von Götz
Musikalische Leitung: Adam Benzwi
Gürzenich-Orchester Köln