Köln: „Giulio Cesare in Egitto“, Georg Friedrich Händel

Wie oft wird man nach einem Opernbesuch von Freunden oder Bekannten gefragt, wie es gefallen hat und wie oft ist die Antwort „ganz schön“, wenn man zufrieden war, aber nicht in die Tiefe gehen will. Dabei ist doch das Schöne mitunter das, was uns in der Oper so wichtig ist, was uns an ihr – neben aller Dramatik – doch erfreut. Das Schöne nur als banale Begrifflichkeit abzutun ist falsch, viel wichtiger ist es, dies auch zum Maßstab reichen zu lassen. Aber darf heute – in diesen Tagen – etwas einfach nur schön sein? Darf das Schöne heute einfach gelten und uns aus der Tristesse, der Sorge, der Anspannung befreien? Darf das Schöne gelten, oder ist es eben so, wie geisteskranke Klimaaktivisten meinen, dass man das Schöne bekämpfen, verschandeln oder bekleben muss? Kann man in einem Opernabend sitzen, der einfach nur schön ist und darf man dabei kein schlechtes Gewissen haben, dass man sich gerade einfach nur an künstlerischer Perfektion erfreut? Ja! Man darf!

Man mag sich wundern, warum dieser mehr oder weniger philosophische Vorsatz zu einer Kritik gereicht wird, aber dies sei nun begründet: Die Kölner Oper hat mit ihrer neuen Produktion von Händels „Giulio Cesare“ einen Abend geschaffen, der eben im besten Sinne schön ist. Es ist nicht das eingangs gemeinte „ganz schön“, sondern Regisseur Vincent Boussard, Bühnenbildner Frank Philipp Schlössmann und Kostümbildner Christian Lacroix haben einen Abend geschaffen, der durch die ebenfalls genannten künstlerische Perfektion absolut sehenswert ist und dessen so ausgefeilte Ästhetik beeindruckend ist und den Zuschauer förmlich einsaugt.

(c) Karl und Monika Forster

Boussard zeigt einen hochsinnlichen und tiefgründigen Abend, der mit einer phantastischen Bildsprache in seinen Bann zieht. Ein unglaublich raffiniertes Zusammenspiel aus fahrbaren Wänden, Spiegeln, dezenten Projektionen und Licht und nur einigen wenigen Requisiten entfalten einen wunderbaren Zauber, der durch die prachtvollen Roben von Lacroix geadelt wird. Immerwieder entstehen kleine und große Räume, mal Ebene am Nil, mal enger Seelenraum. Dabei erzählt Boussard die Geschichte recht konventionell, zeichnet die Figuren klar und deutlich und lässt sich von den Ideen des barocken Theaterspektakels inspirieren. Auch dezente Anklänge an Ägypten geben Kolorit. Ausgesprochen interessant ist seine Zeichnung des Tolomeo, der – ja, das mag merkwürdig klingen – als pubertierender Buffo ein groteskes Zerrbild zum Staatsmann Cäsar gibt. Dabei scheut die Inszenierung auch das Zotige nicht, strapaziert jedoch die Komik nicht und zeichnet die Figuren und deren Miteinander in gestochen scharfer Konturierung. Dabei greifen Spiel, Licht, Musik und Bühne so ineinander, dass man sich vollkommen in diesem berauschenden Spektakel verliert, denn die Flut aus Bild und Klang lassen einen nur staunen, nur eintauchen in diese ganze Schönheit.

(c) Karl und Monika Forster

Musikalisch zeigt der Abend ebenfalls einiges ausgesprochen bemerkenswertes: Allen voran sei in der Titelpartie Raffaele Pe genannt, ein Countertenor, wie man ihn selten hört. Kraftvoll, nie schrill oder unangenehm, mit unglaublicher Acuratesse in den noch so schweren Koloraturarien spielt er einen wahrlich heldenhaften Feldherrn. Bemerkenswert auch Sonia Prina als Tolomeo, die frech und voller Lust sich in die der Figur verordnete Groteske wirft, die mit Verve und sattem Klang ihre Partie auf die Bühne bringt. Anna Lucia Richter als Sesto ist sicherlich ein Glücksfall für die Partie. Voller Leichtigkeit zeigt sie ihren glasklaren Sopran, spielt mutig und frisch, reizt die Dramatik ihrer Partie szenisch, aber nie mit übertriebenem Gewicht in der Stimme aus. Adriana Bastidas-Gamboa ist eine auffallend junge Cornelia. Sie singt bravourös, obgleich man dieser Mutterfigur durchaus etwas mehr Kraft in der Tiefe wünschen würde. Dennoch überzeugt sie im Spiel und zeigt in ihren Arien, wie wandlungsfähig sie ist und dass auch Barockmusik ihr durchaus liegt. In der besuchten Vorstellung gab Gulia Montanari zudem noch ihr Rollendebüt als Cleopatra und man darf der jungen Sängerin hierzu voller Überzeugung gratulieren. Szenisch zieht sie zwischen stolzer Herrscherin und raffinierter Verführerin alle Register und weiß mit ihrer klangschönen Stimme im lyrischen wie in den noch so kompliziertesten Koloraturen zu überzeugen. Immer wieder lässt sie in der Höhe aufblitzen, wie sauber und akkurat sie auch in dieser Lage singen kann.

(c) Karl und Monika Forster

In den kleineren Partien überzeugt vor allen Dingen Matthias Hoffmann als Achilla. Von der Regie zu einer Art Hofnarr des Tolomeo gemacht, gibt er schauspielerisch alles und vermag auch musikalisch zu überzeugen. Auch Regina Richter als Nireno und Sung Jun Cho als Curio liefern absolut überzeugende Leistungen ab.

Das Gürzenich-Orchester unter Ruben Dubrovsky musiziert einen feinen, aber kraftvoll stringenten Händel. Ausgewogen und in idealen Tempi verschmelzen Sänger und Orchester zu einem – trotz der wirklich schwierigen akustischen Verhältnisse des Staatenhauses bei so einer verhältnismäßig klein besetzen Orchester – vortrefflichen Klangerlebnis.

So wundert der Zuschauer sich nach dreieinhalb Stunden, dass der Abend schon zu Ende ist, aber dies sei ausdrücklich erwähnt: Selten hat man an der Kölner Oper einen derart perfekten Abend erlebt, bei dem einfach alles von einer unglaublichen Stimmigkeit, von Lust an Spiel und Musik und einer so im besten Sinne hermetischen Ästhetik getragen wird.

Sebastian Jacobs, 14. Mai 2023


Giulio Cesare in Egitto

Georg Friedrich Händel

Staatenhaus Köln

Premiere: 6. Mai 2023

Besuchte Vorstellung: 10. Mai 2023

Inszenierung: Vincent Boussard

Musikalische Leitung: Ruben Dubrovsky

Gürzenich-Orchester Köln