Leipzig: „Rachmaninow“

Vorstellung am 15.12.2016

TRAILER

Auch wenn die beiden Choreografen ( Uwe Scholz für das 3. und Mario Schröder für das 2. Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow) ihren Tanzschöpfungen keine eigentliche Geschichte unterlegen (zum Glück!), ist dieser Abend des Leipziger Balletts emotional geradezu unheimlich berührend. Beiden Künstlern gelingt das Kunststück, die spätromantisch-schwelgerische Musik des Russen Rachmaninow nicht durch den optischen Eindruck des Tanzes zu erdrücken, sondern auch dem akustischen Erleben seinen gebührenden Raum zu lassen. Bühne und Musik, Tanz und musikalische Bewegung ergänzen, ja befruchten und befeuern sich gegenseitig. Dem Zuschauer, der Zuschauerin bleibt trotz den starken Eindrücken die Möglichkeit zu eigenen Gedanken, eigenen Geschichten offen.

Der 2014 im Alter von nur 45 Jahren verstorbene Uwe Scholz kam 1985 mit 26 Jahren als Ballettdirektor und Chefchoreograf ans Opernhaus Zürich, wo er bis 1991 Ballettdirektor war. In Zürich fand 1987 auch die Uraufführung seiner Choreografie zum 3. Klavierkonzert von Rachmaninow statt. Zehn Jahre später überarbeitete er sie für das Leipziger Ballett (das er von 1991 bis zu seinem Tod geleitet hatte). Im Gedenken an Uwe Scholz – anlässlich dessen 10. Todestages – wurde die Choreografie wieder ins Repertoire des Leipziger Balletts aufgenommen und der jetzige Ballettdirektor, Mario Schröder, erweiterte den Abend mit seiner Choreografie zum 2. Klavierkonzert Rachmaninows.

Uwe Scholz galt als grandioser Umsetzer von Musik in Bewegung, in Tanz. Er erfüllte praktisch jede Note, jede Temporückung, jeden Rhythmus mit Gestik, Schritten, Körperlichkeit, Ausdruck – und doch wirkt das alles nie plump den musikalischen Duktus verdoppelnd, sondern ist schlicht und einfach in sich stimmig. Die Leipziger Compagnie und die zugezogenen SchülerInnen der Staatlichen Ballettschule Berlin tanzen das alles mit begeisternder Präzision, stupender Sauberkeit und Synchronität in den Gruppenszenen (immerhin sind manchmal bis zu 50 Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne!). Für die Gestaltung der Bühne und der Trikots hatte sich Scholz von Wassily Kandinsky inspirieren lassen und drei seiner abstrakten Gemälde als riesige Projektionen für die rückseitige Bühnenwand verwendet ("Zeichenreihen", "Etagen", "Zarter Aufstieg"). Äusserst raffiniert gelangen die Übergänge von einem Satz zum nächsten, indem farblich bereits gegen Ende des vorangehenden Satzes einer oder mehrere Tänzer in Kostümen mit den neuen farblichen Schwerpunkten auftauchten. Der erste Satz war geprägt von warmem Gold und Bronze, der zweite von kühlerem Petrol, der dritte schliesslich von lichtem Weiss-Gelb. Wunderbar nur schon der Anfang, wo zuerst im Licht nur ein einzelner Tänzer zu sehen ist (Oliver Preiß), der dann quasi als Spiritus Rector durch die Choreografie führt und die gesamte Truppe erweckt. Mitreissende, manchmal fast martialische Auftritte des gesamten Corps de ballet wechseln mit virtuosen Soli, zärtlichen Pas de deux, de trois, Kleingruppen. Raumgreifende Sprünge, raffinierte Hebefiguren und perfekter neoklassischer Spitzentanz erzielen faszinierende Konzentration und Sogwirkungen – und stets in perfektem Einklang mit der Musik.

Diese Spannung, dieser Einklang mit der Musik bleibt auch nach der Pause zu RACH 2 erhalten. Bei Mario Schröder wird mehr auf der Sohle getanzt als bei Scholz, raffiniert fließende Bewegungen, virtuos die Körper durchströmende Energie, atemberaubende Formationen prägen den ersten Satz. Bei Schröder ist wenig von einem eigentlichen Bühnenbild zu sehen, dafür ein aussergewöhnlich spannendes Ineinanderwirken von Körperlichkeit und Licht (Bühne, Kostüme, Video: Paul Zoller, Licht: Michael Röger). Wie da die Scheinwerferkegel das Dunkel durchschneiden, kreisende Scheinwerfer die Tänzer einfangen, diese immer wieder das Licht suchen oder fürchten, das Licht als Schutz, Heimat oder Bedrohung wahrnehmen, das alles ist mit unglaublicher Intensität umgesetzt. Der zweite Satz, dieses traumhaft schöne, gefühlvolle und elegische Adagio Rachmaninows ist vom Licht und der tänzerischen Gestaltung her ein Traum. Sieben Lichtkegel für sieben Paare, aber nicht immer sind alle sieben Kegel hell – mal einer, mal zwei, mal drei, mal fünf. Doch die Paare führen ihren Tanz immer weiter, auch wenn sie nicht im Scheinwerferlicht stehen. Am Ende dieses langsamen Satzes steht dann das Verglimmen des Lichts, die Vergänglichkeit, die Erschöpfung. Mit graziler Leichtigkeit – auch hier wieder kongenial zum Allegro scherzando der Musik – beginnt der dritte Satz. Hier nun lotet Schröder den gesamten Bühnenraum aus, schafft verschiedene Ebenen, mit Vordergrund, Zentrum und Hinterbühne, exploriert die Diagonale. Wenn sich dann das romantische Thema noch einmal in seinem ganzen Schwulst aus dem Orchestergraben aufbäumt, bleibt die Bühne leer. Besser kann man der Musik nicht Raum geben! Zum Ende hin sind die Tänzer dann alle wieder da, die Lichtbatterie senkt sich, die schwarzen Mäntel werden angezogen, ein letztes Aufbäumen, dann liegen alle wie zu Beginn im Dunkeln da.

Die exzellente und reife tänzerische Leistung des Leipziger Balletts und die Kraft der beiden Choreografien machen den Abend zu einem bewegenden Erlebnis. Doch das Gesamtkunstwerk entsteht durch das Verschmelzen von Tanzkunst, Bühne und Musik. Und letztere kommt nicht etwa aus der Konserve, nein sie wird live gespielt von einem der führenden Klangkörper Europas, dem Gewandhausorchester unter der Leitung von Anthony Bramall. Das Orchester bleibt den beiden Werken nichts an magischer Klangsinnlichkeit und Farbigkeit schuldig. Das Glück vollkommen macht der Solist am Klavier, Wolfgang Manz. Was für eine Leistung die beiden gewaltigen "Brocken" der romantischen Klavierliteratur gleich hintereinander zu spielen, mit einer Selbstverständlichkeit, einer Sicherheit und einer interpretatorischen Feinfühligkeit, die nur noch staunen, genießen und schwelgen lässt.

Bilder (c) Oper Leipzig / Ida Zenna

Kaspar Sannemann 17.12.2016