Leipzig: „Rusalka“

Vorstellung am 03.12.2017

TRAILER

„Wehe dem, der sich den Menschen nähert“, singt Olena Tokar als Rusalka gegen Ende des zweiten Aktes, als sie erkennen muss, dass ihr Verlangen nach dem Menschsein kläglich und schmerzhaft gescheitert ist.

Und wie sie das gestaltet ist schlicht und einfach zutiefst berührend: Sie legt die ganze Trauer und Enttäuschung dieses nixenhaften Wasser- und Naturwesens in ihre Stimme, mit einer Empfindsamkeit sondergleichen. Ein zartes Vibrato unterstreicht dabei ihre Zerbrechlichkeit, die Verwundbarkeit der Seele, die sie unbedingt zu erlangen suchte. Wie emphatisch schwang sich ihre Stimme doch im ersten Akt – im berühmten „Lied an den Mond“ – noch nach oben, wie gebrochen ist sie nun am Ende des zweiten und am Anfang des dritten Aktes, wo sie in ihrer Verzweiflung nochmals Hilfe bei Ježibaba (dieser Mischung aus Knusperhexe und Baba Jaga,) sucht. Verschüchtert, beschämt und beschmutzt tritt Rusalka also im Schlussakt auf, ihr hoffnungsvolles Verlangen des Beginns ist verflogen, Olena Tokars Stimme verschmilzt wunderbar mit den impressionistischen Orchesterfarben, welche vom Gewandhausorchester unter der Leitung von Christoph Gedschold so überwältigend klar und stimmungsvoll evoziert werden.

Ein weiterer Pluspunkt dieser durch und durch stimmigen, atmosphärisch dichten Premiere: Die Stimmen der Solistinnen und Solisten sind punkto Dynamik und Klangfarben perfekt auf die ausgeklügelte Balance zwischen Graben und Bühne abgestimmt, so dass die Kommentare des Orchesters zu den Gefühlsregungen der Protagonisten deutlich zu vernehmen sind und die Zuhörer im soghaften, mystischen Fluss dieser genialen Komposition Dvořáks mitreißen. Diesem mystischen Fluss trägt auch die Inszenierung durch Michiel Dijkema (Regie und Bühne) Rechnung, welche das Märchen schlackenlos und ohne aufgepfropfte Regiemätzchen direkt und atmosphärisch stimmig erzählt und der Intelligenz des Zuschauers und der Zuschauerin das Entschlüsseln der Parabel, das Erkennen der Metaphern überlässt. Nur schon die Gestaltung der Bühne ist ein Erlebnis: In der Mitte ein großer Teich, umgeben von einer Moorlandschaft. Viel Himmel, wunderbar stimmig ausgeleuchtet durch das Lichtdesign von Michael Fischer, ein Hexenhaus auf gigantischen Hühnerfüßen (der Regisseur hat sich mit den Quellen rund um Baba Jaga intensiv befasst), ein Mond, der aus lauter Leuchtdioden zusammengesetzt ist, mal märchenhaft pinkfarben strahlt, dann wieder wie die Liebe Rusalkas zum Prinzen auf- und verglüht.

Die Festgesellschaft im zweiten Akt fährt mit Schwimmwesten ausstaffiert in einem Floß über den Teich, für des Prinzen Jagdtruppe steht ein mit Suchscheinwerfern ausgestattetes Geländefahrzeug zur Verfügung, der Heger transportiert das erlegte Wild in einem Kleintransporter. Innerhalb dieses Settings nun erzählt Dijkema das Märchen stringent, nachvollziehbar und mit einer genau der Musik abgehörten Personenführung und Charakterzeichnung. Fantastisch der Einfall, die Fremde Fürstin am Ende des zweiten Aktes als verkleidete Ježibaba zu entlarven, sie, welche die Menschen so abgrundtief hasst und dem Scheitern Rusalkas in der Menschenwelt damit gewaltig nachhilft. Prächtig und dramaturgisch stimmig gearbeitet sind die Kostüme von Jula Reindell, welche entscheidend zur märchenhaften Atmosphäre der Inszenierung beitragen. Umwerfend verspielt und in ihrer schweinischen Art überaus sympathisch auch die drei Waldfeen (Magdalena Hinterdobler, Sandra Maxheimer und Sandra Fechner mit zauberhaft intonierten Sirenengesängen): In ihrer fettleibigen Nacktheit gleichen sie Doppelgängerinnen von Bubbles DeVere aus LITTLE BRITAIN, traumatisieren den Küchenjungen mit ihrer sexuellen Begierde wahrscheinlich bis zu seinem Lebensende (gut, sie nehmen ihn dann auch gleich mit – oder er folgte ihnen freiwillig – in ihre Erdlochvulkane …).

Das spukhafte Hexenhaus mit seinem Eigenleben auf den Hühnerfüßen darf man gerne noch ein zweites Mal erwähnen: Zu Beginn des dritten Aktes sitzt es nämlich auf dem Boden, erhebt sich dann zu roten Höllenschwaden wieder auf seine Füße und verschwindet polternd von der Bühne. Klasse! Während der Ouvertüre sieht man den Prinzen auf der Jagd, sein Bad im Teich und die Begegnung mit Rusalka ebendort. Hier ist der Prinz noch ganz wie aus dem Märchenbuch, von stattlicher Gestalt, mit blondem, langem Haar und Krone. Am Ende dann lässt ihn der Regisseur um Jahrzehnte gealtert wieder am Teich nach Rusalka suchen, völlig wahnsinnig geworden, das Haar struppig, der Bart ergraut, die Kleider verschmutzt. Peter Wedd singt ihn mit angenehm timbriertem Tenor, die Stimme nicht allzu groß, dafür schön und sauber geführt und nie forcierend, eine hervorragende Leistung! Karin Lovelius ist eine durchtriebene und stimmlich exzellente Ježibaba: Sie scheint Rusalka zu Beginn mit viel Empathie für deren Wünsche nach dem Menschsein zu begegnen, nur um dann umso gnadenloser ihr Ziel der Vernichtung des menschlichen Prinzen zu verfolgen.

Als Fremde Fürstin zeigt Kathrin Göring (im nuttigen Look) gekonnt dosierte stimmliche Erotik und dramatische Wucht. Auch ihre Stimme fügt sich wunderbar in den Orchesterklang ein, genauso wie die des Wassermannes von Tuomas Pursio, der mit seiner sanften Bassbaritonstimme weit mehr als nur väterliche Gefühle für Rusalka offenbart. Einige Passagen mögen bei ihm vielleicht etwas zu vibratoreich geklungen haben, doch wurde dadurch der Effekt des Mitleidens verstärkt. Als Küchenjunge glänzt Mirjam Neururer mit herrlicher Naivität im Spiel und glasklarer Stimme. Jonathan Michie ist ein glaubhafter und stimmschön gestaltender Heger und Patrick Vogel lässt mit seinem wunderschön intonierten Jägerlied aus dem Off aufhorchen. Auch der Chor der Oper Leipzig (Einstudierung: Alexander Stessin) hat seinen verdienten Anteil an dieser zu Recht vom Premierenpublikum heftig applaudierten RUSALKA – zum Schlussapplaus erhebt sich Rusalka zuerst alleine, der Prinz, den sie als irrlichterndes Geisterwesen eben noch mit ihrem Todeskuss ins Jenseits befördert hatte, liegt nur noch als Skelett neben ihr. Ein dezentes Augenzwinkern darf auch bei ernsten Stoffen (bei RUSALKA geht es ja um die Entfremdung zwischen Natur und Menschen) durchaus sein!

Kaspar Sannemann 4.12.2017

Copyright: Kirsten Nijhof, mit freundlicher Genehmigung Oper Leipzig