Leipzig: „Tosca“

Vorstellung am 01.10.2017

TRAILER

Aber selbstverständlich darf man TOSCA parodieren – und innerhalb eines anderen Formats könnte auch ich darüber lachen. Doch wenn TOSCA als Oper von Puccini auf dem Programm eines Opernhauses steht, sollte auf der Bühne diese Oper auch ernst genommen werden. Dies war in der Inszenierung von Michiel Dijekma aus dem Jahr 2011, die gestern Abend eine Wiederaufnahme erlebte, leider nicht der Fall, weil die Regie vom anfänglichen Naturalismus der ersten beiden Akte im dritten Akt zu einer veritablen Persiflage kippte. Zwar beliess der Regisseur die Handlung in den Kostümen (Claudia Damm) und mit den wenigen Versatzstücken auf der Drehbühne im Jahr 1800, den historischen Vorgängen rund um Napoléons Sieg bei Marengo. Der erste Akt begann eigentlich noch ganz manierlich: Eine gigantische Wand von brennenden Opferkerzen und eine riesige weissen Marienstatue verorteten die Kirche S.Andreea della Valle.

Angelotti (sehr prägnant gesungen von Randall Jakobsh) musste sich zwar auf seiner Flucht in einen engen Kasten zwängen und nicht in die Seitenkapelle der Attavantis, das störte aber nicht weiter. Auch die Mesnerszene war ganz witzig inszeniert (wunderbar trottelig gespielt von Jürgen Kurth). Der Mesner wurde beim Stibitzen von Lebensmitteln aus Cavaradossis Korb von eben diesem überrascht, so dass das "Che fai?" eine ganz besondere Bedeutung bekam. Später wurden die Eifersüchteleien Toscas rund um das von Cavaradossi gemalt Porträt der Magdalena ebenfalls mit viel Sinn für Plausibilität dargestellt. Einem wahrhaftigen Coup de théâtre gleich dann das Te Deum: Hinter der Kerzenwand stieg eine gigantische Orgel auf, bestückt mit allem an menschlichem Personal (in üppigsten Roben), das die katholische Kirche aufzubieten hat. Das hatte was, zumal der Chor der Oper Leipzig von dieser Höhe herab ein überwältigendes Klangvolumen entwickeln konnte. Für den Chor war also diese zu den Seiten und nach oben offene Bühne sehr vorteilhaft, nicht jedoch für alle Solisten. Der Scarpia von Tuomas Pursio hatte mit diesem nicht gerade sängerfreundlichen Raum keine Probleme, sein Bass-Bariton kam mit markanter, sonorer Präsenz über die Rampe.

Er war ein stimmlich und von der Erscheinung her attraktiver Bösewicht, bei dem die Abgründe und der Sadismus unter einer polierten Oberfläche versteckt waren. Im zweiten Akt dann zeigte er sein dämonisches Wesen in einer Art "Credo" zu Beginn, liess die Nähe zu Verdis Jago offensichtlich werden. Danach wurde die Kerzenwand von einem schwarzen Vorhang verdeckt, denn was nun folgte, war alles andere als christlich: Scarpia brachte einen Schürhaken am offenen Feuer zum Glühen, bedrohte damit erst Tosca und reichte ihn dann seinen Folterknechten, die den in eine Kiste eingesperrten Cavaradossi damit brandmarkten. Auch Schläge in die empfindlichsten Teile des Mannes waren auf offener Bühne zu erleben. Und natürlich durfte Tosca mehrmals zustechen, bis Scarpia tot am Boden lag. Das alles hätte man ja noch mit einem Anflug Schauder und Gänsehaut hingenommen, doch dann folgte der unsägliche dritte Akt auf der Engelsburg. Keine Morgenstimmung zum Gesang des Hirtenmädchens (Henrike Henoch). Im Hintergrund stand immerhin eine der Glocken, denen Puccini in diesem Vorspiel so wundersame Reverenz erweist, einsam herum. Die Kiste, in welcher Cavaradossi im zweiten Akt gefoltert wurde, öffnete sich, Nebelschwaden stiegen auf. Heraus kam aber nicht das Hirtenmädchen, sondern der alte Petrus himself war es, der mühselig aus der Kiste kraxelte.

Er sang die Worte des Kerkermeisters (Frank Wernstedt). Cavaradossi ist also bereits im Himmel gelandet oder was? Nun, wenigstens liess sich der Himmelspförtner Petrus nicht bestechen und wies Cavaradossis Ring zurück, als dieser ihn um Stift und Papier bat. Tosca erschien frisch umgezogen auf der Kasematte, die beiden sangen davon, dass die "irdische Qual" bald vorbei sei. Das Erschiessungskommando der vermeintlichen Scheinhinrichtung bestand aus Engeln, die vom Bühnenhimmel schwebten und Cavaradossi abknallten. Tosca stieg hoch zur Kiste, verschwand hinter dem geöffneten Deckel im Nebel, die Bühne drehte sich und Tosca stürzte aus mehreren Metern Höhe auf den Bühnenboden. Da wäre die Oper eigentlich zu Ende, doch der Vorhang öffnete sich noch einmal: Cavaradossi lag erschossen auf dem Boden, Tosca tot daneben. Der Applaus bewegte Cavaradossi dazu, sich zu erheben. Doch seine Tosca rührte sich nicht. Er ging zu ihr hin, rüttelte am leblosen Körper, wie sie es vor wenigen Minuten in der Oper bei ihm gemacht hatte, doch sie bewegte sich nicht. Erst allmählich rappelte sie sich dann zum Gaudi des Publikums auf. Lustig…

Marcus Bosch leitete an diesem Abend das wie stets hervorragend spielende Gewandhausorchster. Wuchtig erklangen die Akkorde des Scarpia Motivs zu Beginn. Bosch bevorzugte vor allem im ersten Akt eher getragene Tempi, was die vielen Konversationsstellen etwas zähflüssig machte, jedoch viele instrumentale Feinheiten der Partitur erklingen liess. Xavier Moreono als Cavaradossi verfügte über eine angenehm warm timbrierte Stimme, weich geführt, ohne Drücker, ohne Forcieren. Vielleicht insgesamt eher etwas zu brav, aber das ist mir allemal lieber als ein tenoraler Brüller. Karine Babajanyan in der Titelrolle stellte eine ganz natürliche Frau dar, welche durch unglückliche Zufälle, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort war, in diese dramatischen Verwicklungen hineingezogen wurde. Sie war keine eifersüchtig rasend Furie, keine überkandidelte Diva. Immer wieder blühten aus ihrer stimmlichen Zurückhaltung wunderschöne Phrasen auf, manchmal mit etwas viel Vibrato, und oft schien sie mit den vorgegebenen Tempi nicht ganz klarzukommen. So blieb der Scarpia von Tuomas Pursio (unterstützt von seinen Schergen Spoletta (Sven Hjörleiffson) und Sciarrone (Jean-Babtiste Mouret) der eigentliche Star des Abends.

Immerhin, der Mehrheit des Publikums schien es, gemessen am lang anhaltenden Applaus, sehr gefallen zu haben. Viele Zuschauer hörten jedoch nicht so genau hin, unterhielten sich miteinander über dies und jenes oder kramten ausgerechnet während der von Xavier Moreono mit viel Schmelz vorgetragenen Cavatine "E lucevan le stelle" lautstark in ihrer Handtasche um nach Taschentüchern zu suchen. Das Putzen der Nase erfolgte danach nicht minder störend vernehmlich während des sanft intonierten "O dolci mani …".

Kaspar Sannemann 5.10.2017

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