Leipzig: „Siegfried“

in diesem Leipziger SIEGFRIED, vieles lässt aber auch aufhorchen, neu entdecken, vermag zu fesseln. Unter dem Aspekt des „Neu Entddeckens“ muss man das Dirigat des GMD und Intendanten der Oper Leipzig, Ulf Schirmer, betrachten. Die von ihm gewählten Tempi überraschen mit einer klugen Disposition von Schnelligkeit und Getragenheit und allem, was dazwischen liegt. Da gibt es Passagen, die fordern von den Sängern (im Siegfried kommen die Sängerinnen erst im dritten Akt) einen fast Rossinisch-übereilten Parlandorhythmus, welcher den Scherzo-Charakter dieses Teils des RINGS betont, dann wieder wird vom exzellent spielenden Gewandhausorchester beinahe epische Breite gefordert. Akzente setzen vor allem die (von meinem Platz aus) dominierenden tiefen Blechbläser, unter die sich aber immer wieder herrlich weich intonierte Streicherphrasen und wunderschön ausgefeilte und filigrane Begleitfiguren mischen. Vor allem die Einleitung zum dritten Akt gelang mit herausragender Intensität. Fulminant und hinreißend musiziert war das, man saß gebannt im Sessel, wurde regelrecht hineingezogen in den Strudel der Leitmotive. Ebenfalls wunderbar klangmalerisch gestaltet war der erste Akt, mit dem Eintauchen in die Unheimlichkeit des Zauberwaldes, oder auch das Waldweben im zweiten Akt.

Von Fesselndem ist von der Protagonistenseite her zu berichten: Thomas Mohr ist ein überragender Siegfried, steht die drei (langen!!!) Akte dieser Gewaltspartie ohne jegliche Ermüdungserscheinungen durch, vollführt die Wandlung vom naiven Kraftprotzknaben des ersten, zum heiß entflammten Liebhaber im dritten Akt mit feurigem, hell und klar fokussiertem Tenor, und vor allem verfügt er über die mühelose Strahlkraft in der Höhe. Tolpatschig, kraftmeierisch und naiv agiert er in seiner unmöglichen Hochwasser-Latzhose (Kostüme: Nicola Reichert) in den ersten beiden Akten, schüchtern und dann immer selbstbewusster staunend im weißen Hemd und der Bügelfaltenhose im dritten Akt. Dan Karlström als Mime ist schlicht und einfach umwerfend. Noch stärker in seinem Spiel (und auch freier im Notentext) als letzten Monat in Genf. Stimmlich wiederum absolut top. Hier in Leipzig darf er den Mime als hinterfotzige „Mutti“ geben, macht Spiegeleier, während Siegfried aus den Trümmern des Schwertes Nothung das neue sagenhafte Schwert schmiedet, schwingt sich aufs Damenfahrrad, wenn er sich auf den Weg zu Fafners Neidhöhle macht, nimmt den vergifteten Sud in der Thermoskanne mit.

Ganz großen Eindruck hiterließ an diesem Abend auch Iain Paterson als Wanderer. Der Beginn relativ eindimensional, doch schon bald, im dritten Teil der Rätselszene, legt er gewaltig an Intensität zu, wenn er von der Götterwelt berichtet oder wenn er im dritten Akt Erda um Rat fragt. Einen smarten Alberich gab es von Tuomas Pursio zu hören, vor allem in der Konfrontation mit seinem Bruder Mime im zweiten Akt verlieh er dem Nibelungen viel Profil. Randall Jakobsh sang eine soliden Fafner, mit der geforderten schwarzen Tiefe. Wunderbar klar und sauber intonierte Bianca Tognocci den Waldvogel off stage). Und dann endlich, im dritten Akt, kommen auch die gewichtigen Frauenstimmen auf die Bühne: Erst die Erda, welche von Nicole Piccolomini mit markant strömender, hoch dramatischer Altstimme gesungen wird. Beeindruckend. Und schließlich last but by far not least: Daniela Köhler als überwältigend stimmstarke Brünnhilde. Eine Brünnhilde, wie sie im Buche steht. Strahlend erregt in der Stimme (und in den Augen!!!) bei der Begrüßung des Sonnenlichts, die „Heil dir“ Rufe erregten geradezu Gänsehaut – und weckten bestimmt einige Zuschauer aus dem Schlaf. Eine berauschende Stimme einer Sängerin von der man hoffentlich in Zukunft noch viel Spannendes hören und sehen wird. Zusammen mit dem wunderbaren Tenor von Thomas Mohr ersangen sich Siegfried und Brünnhilde einen veritablen Triumph. Dieser Zwiegesang am Ende war geradezu gigantisch!

Und doch war es kein ungetrübter Genuss, was nicht an am Sänger und der Sängerin lag, sondern an der Inszenierung von Rosamund Gilmore. Frau Gilmore kommt ursprünglich vom Tanz her und meinte wohl, sie müsse die handlungsarme Oper mit Choreografien aufmotzen. Nun weiss man allerdings, dass Wagner Balletteinlagen in Opern verabscheute und nur widerwillig für Paris das Bacchanale im TANNHÄUSER einfügte. Aber wenn dann hier am Ende um das Liebespaar Siegfried und Brünnhilde gymnastische Übungen oder gar der Versuch einer Apotheose veranstaltet werden, wirkt das nur peinlich. Es begann allerdings schon im ersten Akt, als bei den Rätselszenen hinter Mimes zugemüllter Behausung auf einer grünen Wiese die Ballettänzer wie Würmer aus dem Boden schossen und die Rätsel verdoppelten oder illustrierten oder was auch immer. Ansonsten war die Personenführung in Ordnung, nichts Spektakuläres, aber dank der intelligenten Sänger ganz stimmig umgesetzt. Im zweiten Akt war der Auftritt Fafners bärenstark: Fafner in der Puppe eines gigantischen Bankiers (so aus dem 19. Jahrhundert) auf einem riesigen roten Sofa, um ihn herum wimmelten ein Dutzend Fafner-Bankier Klone. Herrlich, comicartig, sinnig.

Die Bühne von Carl Friedrich Oberle zeigt im ersten Akt drei große Betonelemente mit Öffnungen, im zweiten Akt nur noch zwei, dafür verbunden mit einer Art efeuumrankten Brücke, wie ein Dornröschen-Schloss, im dritten Akt zuerst eine verkohlte Ruine, als sie sich dann für die Schlussszene auf dem Brünnhildenfelsen drehte, vermeinte man die auseinanderbrechende Fassade des Palazzo Vendramin (in dessen Seitenflügel Wagner starb) in Venedig zu erkennen. Aber warum? SIEGFRIED war ja nun nicht gerade Wagners Schwanengesang … Nun gut, ästhetisch immerhin war es ansprechend, auch dank des wunderbaren Lichts von Michael Röger. Und man muss ja nicht immer alles verstehen…

Kaspar Sannemann 16.4.2019

Bilder (c) Tom Schulze