2.4.2017
Magdalena Kozena und Rolando Villazon nach ihrem bedauerlichen „Schiffbruch“
Das Licht geht aus im Saal, doch noch bevor der Dirigent (in diesem Fall eine Dirigentin) an sein Pult läuft, hören wir: „meine Damen und Herren, wir bitten Sie Ihr Handy auszuschalten“ – auf Französisch, Englisch und Deutsch. So zeigt sich, wie sehr die Opéra de Dijon unter der Leitung ihres Direktors Laurent Joyeux immer mehr Besucher aus dem In- und Ausland anzulocken weiß. Ein wichtiger Punkt hierfür sind internationale Koproduktionen, so wie dieser „Ulisse“, der vor einem Monat in Paris im Théâtre des Champs-Elysées in Premiere ging und der in der nächsten Spielzeit am Staatstheater in Nürnberg wieder gespielt wird.
Das Produktionsteam besteht – wie so oft heute – aus einem akribisch arbeitenden Dirigenten, aus der Barockspezialistin Emmanuelle Haïm mit ihrem auf Originalinstrumenten spielenden Ensemble Le concert d’Astrée, und der Regisseurin Mariame Clément, von der man erwartet, dass sie solch „alte Klamotten“ aktualisiert (beide waren in dieser Spielzeit auch im Theater an der Wien zu Gast). An Stelle einer „zeitlosen“ Produktion – so wie man es bei diesem Sujet und der Musik Monteverdis erwarten könnte – wird Homers „Odyssee“ in ein Hier und Heute inszeniert. An Stelle von Sand, Steinen, Wasser und etwas Feuer, wie es sie in der unvergesslichen Inszenierung von Pierre Audi noch gab (und die nach zwanzig Jahren immer noch gespielt wird), gibt es ein Mischmasch aus Fernsehen und Comic, Fastfood und Coca Cola, mit einer Anhäufung von Requisiten so wie wir das schon lang nicht mehr gesehen haben. Die Kostüme der Ausstatterin Julia Hansen reichen von griechischen Roben (Homer), über mittelalterliche Trachten (Monteverdi) zur heutigen Bademode und sind im großen Ganzen unverständlich und geschmacklos. Das war natürlich Absicht, denn im Programmheft meint die Regisseurin, dass sie kein banales „Regietheater“ machen will, sondern „pop“. Wir sind also vorgewarnt.
Im Prolog tritt „die Zeit“ als ein abgestürzter Rennfahrer mit Krücken auf (Michael Schumacher?). Doch wenn Callum Thorpe anfängt zu singen „Mortal cosa son io, fattura humana“, vergisst man zum Glück das hässliche Kostüm. Der englische Sänger ist in Hochform und war vor zwei Wochen ein von uns sehr gelobter Masetto und Commendatore in Marc Minkowskis „Don Giovanni“ in Versailles (siehe die Merker-Rezension). Dann setzt Maarten Engeltjes ein: der junge Niederländer, den wir zum ersten Mal hören, hat eine ganz besondere Counter-Stimme – der Abend fängt gesanglich also gut an!
Es folgen die Barockspezialistinnen Anne-Catherine Gillet und Isabelle Druet, die im ersten Akt wieder als Mélantho auftritt. In ihrem Duo mit Eurymaque wurde viel gestrichen, damit das Ganze als Techtelmechtel eines Kellners mit einem Stubenmädchen inszeniert werden kann, wo Schürzen fliegen, Füße geküsst werden und man – wie es anscheinend nun in wirklich jeder Oper passieren muss – ordentlich aufeinander „herumreitet“. Doch Isabelle Druet und Emiliano Gonzales Toro als Eurymaque schaffen es dabei gut zu singen und den Kontakt zur Dirigentin nicht zu verlieren. Auch die etwas undankbare Rolle der Amme Euryclée ist mit Elodie Méchain ausgezeichnet besetzt.
Doch bei der großen Auftrittsarie der Penelope, „Di misera regina non terminati mai dolenti affanni“, weiss man nicht was man hört. An der Akustik des großen neuen „Auditoriums“ kann es nicht liegen, auch nicht an dem Orchester (nur zwanzig Mann) – es liegt an der Sängerin… Wir erinnern uns noch genau an das Debüt von Magdalena Kozena in Paris vor zwanzig Jahren: eine junge, schüchterne Frau aus dem „Ostblock“, die, wenn man sie ansprach, immer scheu auf die Erde schaute. Perfekt als „Mélisande“ – doch nie hätte man vermutet, dass sie einmal eine solche Karriere machen und Platten mit den Berliner Philharmonikern aufnehmen würde. Sie versteht sich offensichtlich gut mit der Dirigentin Emmanuelle Haïm, mit der sie in dieser Spielzeit eine lange Tournee mit Arien von Rameau und Charpentier macht. Kozena spielt wunderbar, als Voll-Blut-Frau, als Königin – nur ihren Gesang hört man kaum. Das lag vielleicht an der Tagesform oder an der Tatsache, dass sie im Liegen singen musste – es wurde jedoch im Laufe des Abends nicht besser. Damit warf sie zumindest keinen Schatten auf den, den alle sehnlichst erwarteten. Rolando Villazon feierte mit der Rolle des Mannes, der nach zwanzig Jahren nach Hause zurückkehrt, sein Come-back als Sänger in Paris – die Stadt, in der er lebt und wo man ihn fünfzehn Jahre lang nicht mehr gehört hat.
All diese Jahre wurde pausenlos über seine Stimmkrise geschrieben, mit der er fantasievoll und konstruktiv umging. Er hat Bücher geschrieben, die auch ins Deutsche übersetzt wurden (so wie sein letztes, „Lebenskünstler“, das vor einigen Wochen bei Rowohlt erschien). Er hat Opern inszeniert, Talkshows moderiert, sich für Nachwuchskünstler engagiert etc – alles mit viel esprit, Humor und Intelligenz. Als wir ihn persönlich zum letzten Mal live singen hörten, vor zehn Jahren in der Metropolitan Opera, waren wir kritisch: er musste die Vorstellung zwei Mal kurz unterbrechen, um zu husten und ein Glas Wasser zu trinken.
Aber da hat man ihn in dem ganzen, großen Saal noch gehört. Jetzt singt er eine Oktave tiefer und man hört ihn kaum noch in der neunten Reihe. Es ist als ob sich Asche auf seine einst so wunderbar leuchtende Stimme gelegt hätte – ein Drama. In Paris waren die Publikumsreaktionen und die Rezensionen absolut vernichtend. Le „Monde“ schrieb über einen „Schiffbruch, nach dem der Sänger nicht einmal mehr der Schatten seiner selbst sei“. Das scheint mir in Anbetracht dieser Vorstellung übertrieben, denn Villazon hat die Rolle in Dijon ohne Ausfälle gesungen und dabei ganz wunderbar gespielt. Der „ewige Clown“ lebt noch in ihm und er weiß noch immer jeder Phrase ein funkelendes Leben ein zu hauchen.
Vielleicht etwas zu viel Leben in dieser Rolle: Monteverdi ist ja nicht Rossini. Da hat die Regisseurin ihm sicher nicht geholfen. Sie schreibt, sie hätte sich für diese Inszenierung durch die Filme von Tarantino und „The history of violence“ von David Cronenberg inspirieren lassen (deswegen literweise Theaterblut). Vielleicht hätte sie sich besser „Le Mépris“ („die Verachtung“) von Jean-Luc Godard ansehen sollen. Nicht wegen der berühmten Eröffnungsszene, in der Brigitte Bardot uns fragt, ob wir ihren Hintern auch wirklich schön finden. Sondern wegen der intelligenten Dialoge von Alberto Moravia. In einer Schlüsselszene sagt der Regisseur Fritz Lang, der das Leben des Odysseus verfilmen soll, auf dem Dach der Villa Malaparte auf Capri: „Was stellen Sie sich vor, Odysseus ist kein moderner Neurotiker“. Vielleicht hätte mit etwas weniger Neurotik auf der Bühne Villazon ein besseres Come-back gehabt. Die Premiere in Paris war eine absolute Katastrophe. Dafür ging es in Dijon schon recht glatt und gab es warmen und anhalten Applaus. Vielleicht wird es in Nürnberg noch eine gute Vorstellung. Wir wünschen es ihnen und sind gespannt!
Bilder (c) Vincent Pontet / TCE
Waldemar Kamer (Paris) 4.4.2017
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