Florenz: „Le Braci“, Marco Tutino

Aufführung am 15.11.2015 , Premiere 5.11.2015

Ein Bass-Haudegen überzeugt auf ganzer Linie

"Le Braci" ist eine Uraufführung von Marco Tutino, nach einem Roman von Sándor Márai, welche erstmalig beim Festival della Valle d’Itria aufgeführt wurde und als Co-Produktion nun auch im Florenzer Opernhaus zu sehen war. Das Stück dauert circa hundert Minuten und wird ohne Pause gegeben. Es ist eine Gruselgeschichte, die Marco Tutino zu dieser Oper inspirierte.

Der alte General Henrik erwartet seinen Jugendfreund Konrad nach mehreren Jahren zum ersten mal wieder und möchte klären, was bei einem Jagdausflug vor vielen Jahren wirklich passiert ist. Die Verstrickungen werden immer dichter und die Perspektive wird regelmäßig geändert. War es ein Mordkomplott gegen ihn aus Eifersucht, weil beide Freunde damals die gleiche Frau liebten, welche Henrik letztendlich heiratete? Die Auflösung immerhin überrascht – sei hier aber nicht verraten für diejenigen, welche eventuell noch den Roman zu lesen planen.

Die Oper an sich ist klanglich sehr stark an Debussy angelehnt. Mit großen Orchester wird sie eher für die Dialoge angelegt als für die lange Linie. Hin und wieder unterbrechen atonale Klänge die "wabernde" Orchesterkulisse. Sieben Solisten agieren auf der Bühne, mit diversen Zeitsprüngen zurück zum Tag der Jagd.

Leider ist die Musik über weite Strecken nur mehr oder weniger aufregend. Sie zeiht sich in die Länge und Überraschungsmomente gibt es kaum. Zusätzlich dazu hat man in keiner Minute das Gefühl etwas "Neues" zu hören. Klangkopien angelehnt an expressionistische Kompositionsweise plätschern vor sich hin und erzeugen letztendlich wenig musikalisches Drama. Mann kann dem Stück zwar nicht vorwerfen schlecht zu sein – aber eine erneute Produktion dieser Oper rechtfertigt sich meiner Meinung nicht.

Die Regie von Leo Muscato (welcher in einer Art Prolog zusätzlich dazu das letzte Kapitel des Romans vorliest) legt die Oper in einem bereits zerfallenen Wohnhaus an. Links und Rechts ist Wald für die Rückblenden und ein großer Kamin, in dem eben jene Glut lodert ist das Zentrum der Handlung. (Bühnenbild: Tiziano Santi)

Wohl anzusehen ist die Szene und löst letztlich intelligent die verschiedenen Ebenen der Handlung. Im Mittelpunkt steht Henrik, welcher die komplette Oper auf der Bühne bleibt. Mit den Kostümen von Silvia Aymonino, die sich traditionell designt an der Jahrhundertwende orientieren, ergibt sich so ein szenisches Bild, welches dezent und unaufdringlich klassisch bleibt.

Insgesamt kann hier nur Lob ausgesprochen werden.

Musikalisch leitet der junge Dirigent Francesco Cilluffo sensibel und stringend das Orchester und deckt die Sänger nie zu. Problematisch ist leider in Florenz der Orchestergraben, welcher viel zu viel Distanz zwischen Bühne und Zuschauerraum schafft. Dennoch schafft er es, trotz dieser Gegebenheit immer plastisch und transparent zu bleiben.

Für die beiden alten "Herrschaften" hat man zwei Lieblinge des Hauses engagiert.

Alfonso Antoniozzi als Konrad und Roberto Scandiuzzi als Henrik.

Ersterer präsentiert leider nicht mehr als die Reste einer einst gloriosen Stimme. Mehr als Deklamieren und Pressen gibt das noch vorhandene Material leider nicht mehr her. Dennoch muss angemerkt werden, dass die szenische Darstellung hervorragend war – und sich somit durchaus ein Rollenporträt ergab, welches beeindrucken konnte. Schöner wäre allerdings auch eine klanglich-akzeptable Präsentation gewesen.

Im Kontrast dazu steht Roberto Scandiuzzi, auch nicht mehr der Jüngste und dennoch eine Erinnerung an die alte Generation großer Bässe. Die Stimme hat beinahe nichts eingebüßt an Schmelz und Farbe und sowohl die großen Bögen als auch die deklamatorischen Momente seiner Rolle erfüllt er mit Leichtigkeit. Überraschenderweise schafft er es zusätzlich, die Rolle über hundert Minuten, welche er teilweise komplett alleine im Fokus steht, auch szenisch mit Leben zu füllen und steht somit als Aushängeschild dieser Produktion seinen Mann. Die wohl rundeste und bemerkenswerteste Leistung an diesem Abend.

Angela Nisi singt die Jugendliebe Kristina mit leuchtenden Spitzentönen, großem Engagement und geläufigen Koloraturen. Auch hier ist man froh über eine adrette junge Dame, die szenisch in kurzen Auftritten zu fesseln weiß und gesanglich zusätzlich auf dem Punkt ist.

Der junge Henrik wird vom Bariton Kristian Lindroos gesungen. Dieser verfügt über ein sehr schönes Timbre und singt sicher und rund die ebenfalls kurzen Auftritte seiner Rolle. Szenisch bleibt er hingegen etwas blass und statisch, was man aber in Anbetracht solch einer schönen und sauber geführten Stimme gerne in Kauf nimmt.

Anders sieht es leider beim Tenor Davide Giusti aus. Dieser verkörpert den jungen Konrad zwar mit großer Leidenschaft, klingt gesanglich aber noch nicht vollends gesundet (Zur Premiere war er erkrankt). Insgesamt klang die Stimme leider müde und angeschlage und die Höhen sehr angestrengt.

Das letzte Wort der Oper hat Romina Tomasoni, welche als Haushälterin Nini schlussendlich den Konflikt auflöst. Diese verfügt über einen runden, großen Mezzosopran. Szenisch intensiv und mit großem Engagement singend ist auch sie ein Pluspunkt dieses Abends.

Als Fazit kann man sagen, dass die musikalische Unaufgeregtheit des Stückes an diesem Abend durch die auf der Bühne agierenden Sänger gerettet wurde. So ergibt sich ein Kammerstück, welches von den Protagonisten (allen vorran Scandiuzzi) getragen wird und in einigen Momenten die Möglichkeit für die Sänger bietet, sich gebührend zu entfalten. Hier gilt das Lob deutlich mehr den Darstellern als der Musik an sich. Deswegen kann man den Abend durchaus als "gelungen" bezeichnen.

Thomas Pfeiffer, 19.11.2015

Copyright der Fotos: Simone Donati