Straßburg: „Barkouf, ou un chien au pouvoir“, Jacques Offenbach

Vorstellung am 13. Dezember 2018

Zum Offenbachjahr – worüber im Merker schon ausführlich berichtet – gibt es in Frankreich ein Menü von Raritäten, das dem notorischen Feinschmecker aus Paris sicher gut gemundet hätte. Nach der französischen Erstaufführung der „Rheinnixen“ in Tours, bringt die durch Eva Kleinitz intelligent geführte Opéra du Rhin in Zusammenarbeit mit der Oper Köln die weltweite Erstaufführung einer Oper, die seit ihrer Uraufführung in Paris 1860 nie wieder gespielt wurde und die seit 1887 als verschollen galt. Dem schon öfters zitierten Offenbach-Spezialisten Jean-Christophe Keck ist es nun in mühseligster Kleinstarbeit gelungen die Partitur (so weit wie möglich) zu rekonstruieren, damit sie nun hoffentlich auf vielen Bühnen wieder zum Leben erweckt werden kann. „Barkouf“ war kein unwichtiges Werk für Offenbach, denn es war sein erster Auftrag für die Opéra Comique, das Haus in das er immer hinwollte und in dem für ihn als Komponisten immer wieder etwas schiefging.

Als Offenbach 1859 den Kompositionsauftrag für „Barkouf“ bekam, war er schon ein überaus erfolgreicher Komponist. „Orphée aux Enfers“ war nach der Premiere gleich 227 Mal gespielt worden und Offenbach wurde daraufhin in einem Male die französische Staatsbürgerschaft und gleich dazu auch noch die „Légion d’honneur“ verliehen. Der neue Intendant der Opéra Comique, Alfred Beaumont, ging also kein großes Risiko ein, indem er diesen neuen Erfolgskomponisten an sein ehrwürdiges Haus einlud. Doch da Offenbach in den feineren Kreisen immer noch als anrüchig galt – „Orphée aux Enfers“ würde erst ab 1970 an der Opéra Comique gespielt werden -, bekam er mit dem Auftrag auch gleich ein Libretto des allgemein anerkannten Eugène Scribe, der angeblich immer ein dickes Dutzend Stücke in seiner Werkstatt vorrätig hatte. Eigentlich war „Le Sultan Barkouf“ für den Komponisten Louis Clapisson vorgesehen, doch nun ging es an Offenbach, der gleich beim ersten Lesen monierte, dass die weibliche Hauptrolle viel zu viel zu singen hätte und besser in zwei geteilt werden könne.

Scribe empfand diese Bitte als eine Frechheit, was zu einer Serie von halbherzigen Kompromissen führte. Die Rolle wurde in zwei geteilt, die gerissene Verführerin Maïma wurde ein Sopran und der Unschuldsengel Balkis ein Mezzo – eigentlich wäre es umgekehrt typengerechter gewesen. Die beiden Sängerinnen stritten sich schon in der ersten Probenwoche, doch in einem Punkt waren sie sich einig: den „vulgären“ Offenbach konnten sie beide nicht ausstehen. Die Sängerinnen wurden drei Mal ausgetauscht, doch da all diese Damen über einflussreiche Gönner und gute Kontakte zu Journalisten verfügten, war die Premiere am 24. Dezember 1860 schon ein Misserfolg bevor sie überhaupt stattgefunden hatte. „Barkouf“ wurde schon nach drei Vorstellungen abgesetzt und bekam beißende Kritiken, u.a. von Hector Berlioz. Der Verleger Heugel verzichtete auf eine Ausgabe der Partitur und veröffentlichte nur drei Arien und ein Ensemble und beim großen Brand der Opéra Comique 1887 gingen alle Barkouf-Unterlagen (und die unzähliger anderer Opern) hoffnungslos verloren.

Jean-Christophe Keck hat in einem Schrank voller Partituren der Familie Offenbach, der über ein Jahrhundert lang nicht zugänglich war, eine handgeschriebene Barkouf-Partitur gefunden und in einer amerikanischen Universität eine Orchesterfassung, die dort versehentlich unter einem falschen Namen archiviert worden war. Diese hat er dann mit dem Libretto von Scribe verglichen. Doch Scribe hat in seinen zwölfbändigen „Gesammelten Werken“ das Libretto veröffentlicht so wie er es konzipiert hatte – und nicht wie es unter Offenbachs Anweisungen zur Aufführung kam. So mussten nun mehr als die Hälfte der gesprochenen Dialoge neu geschrieben werden, was Mariame Clément und Jean-Luc Vincent mit gutem Fingerspitzengefühl und humorvollen Anspielungen auf unsere heutige Welt getan haben (als Anhang im Programmheft veröffentlicht). Wir reisten also mit größten Erwartungen nach Straßburg – eine total unbekannte Oper von Offenbach, so etwas erlebt man nicht oft.

Doch leider wurden unsere hohen Erwartungen nicht erfüllt, was zunächst (an dieser Rekonstruktion?) des Werkes liegt. „Barkouf“ ist weder Fisch noch Fleisch, zu aufgeregt für die in Auftrag gegebene „opéra-comique“ und dann doch nicht witzig genug als „opéra-bouffe“ (so wie Offenbach das Werk im Endeffekt titulierte). Es gibt drei bis vier wunderschöne Arien, zwei bildschöne Vorspiele (zum zweiten und dritten Akt), einen großartigen Chor am Ende des zweiten Aktes (gab es da nicht auch Ballette?) und eine witzige Verschwörer-Szene im dritten Akt (eine typische Offenbach-Parodie der „grands-opéras“ von Meyerbeer & Scribe). Der Regisseurin Mariame Clément und der Ausstatterin Julia Hansen ist es leider nicht gelungen all diese verschiedenen Elemente auf einen Nenner zu bringen. Die Handlung spielt in Lahore, wo der Groß-Mogul, um sein Volk zu strafen, das regelmäßig seine Gouverneure aus dem Fenster wirft (bei Anfang der Handlung ist gerade der zehnte in einem Jahr „tödlich verunglückt“), einen Hund als Gouverneur einsetzt. Doch da dieser nur böse knurrt und bellt und niemand verstehen kann, was er will, wird seine frühere Herrin, die Blumenverkäuferin Maïma, als seine Übersetzerin eingesetzt. Und sie versteht aus dem ersten „Wouff“, dass alle Steuern gesenkt werden müssen, aus dem zweiten, dass alle zum-Tode-Verurteilten begnadigt werden und Vieles mehr, was ihr eben so gerade einfällt.

Eigentlich ein wunderbarer Stoff für eine Operette und politisch gar nicht unbrisant – was die Zensurbehörde als erste begriff und viele Änderungen forderte. Doch deshalb ist „Barkouf“ noch lange kein politisches Stück und das Regiekonzept verpufft, in dem es die Handlung vom Operettenorient in eine DDR-artige Diktatur verlegt. Und vor allem vermissen wir den ganzen Abend hindurch die Hauptfigur um die alles dreht. Natürlich findet man nicht so schnell einen guten Theaterhund, der auf Befehl bellt, knurrt und auch noch Regierungsdokumente unterschreibt. Aber die billig-banale Hundehütte, die fast den ganzen Abend mitten auf der Bühne steht, können wir als szenische Lösung nicht akzeptieren. Zumindest nicht von diesen beiden erfahrenen Theaterfrauen, von denen wir schon viele gelungene und witzige Produktionen gesehen haben, in denen sie u.a. gekonnt Videos eingesetzt haben (wäre das nicht eine Lösung gewesen?).

Nichts destotrotz waren die Inszenierung und die musikalische Interpretation auf einem höheren Niveau als bei den „Rheinnixen“ in Tours. Der neue musikalische Direktor des ONR Jacques Lacombe führte die Sänger, sein Orchester und seinen Chor mit sicherer Hand über die vielen Hürden der oft kniffligen Partitur. Pauline Texier beherrschte als Maïma perfekt den Offenbach-Stil und wusste ihre vielen Koloraturen nicht nur zu singen, sondern auch zu spielen. Fleur Barron war neben ihr als Balkis ein ebenso spielfreudiger „Sparring-Partner“. Der aus Congo stammende Tenor Patrick Kabongo hatte als Saëb für uns die schönste Stimme des Abends (und auch zwei der meist melodischen Arien). Ein ganz besonderes Kompliment für den jungen deutschen Sänger Stefan Sbonnik, der eben erst in das Opernstudio der Opéra du Rhin eingetreten ist, und der die rhythmisch schwierige Rolle des Xaïloum ohne einen falschen Einsatz und vor allem ohne jeglichen Accent perfekt gemeistert hat. Nicolas Cavallier haben wir schon besser gehört als jetzt als Grand-Mogol und Rodolphe Briand auch als grand-vizir Bababeck. Für die vierzehn anderen Sänger auf der Bühne und für alle Mitwirkenden ein großes Lob, dass sie unter diesen Bedingungen so gut gespielt und gesungen haben. Denn während wir in der Oper saßen, wurde die Altstadt durch 700 Polizisten umstellt und durchforscht, auf der Suche nach dem Terroristen, der achtundvierzig Stunden zuvor ein unsägliches Attentat verübt hatte und sich seitdem irgendwo versteckt hielt. Während der Vorstellung tauchte er wieder auf, und es kam zu einer Schießerei, bei der er erschossen wurde (wie wir es alle mit Erleichterung während der Pause vernahmen). Das ist alles schon schrecklich genug, nimmt aber noch einmal eine andere Dimension ein, wenn es in quasi unmittelbarer Nähe passiert. „Chapeau“ dass die Vorstellung trotzdem stattgefunden hat und so gut besucht war!

Waldemar Kamer 17.12.2018

Bilder (c) Klara Beck

Wichtiges PS !

In eigener/unserer Angelegenheit: in letzter Zeit braucht man in Frankreich für einen Konzert- oder Opernabend leider öfters gute Nerven. Straßburg war in Angst und Trauer und in Paris blieben bei manchen Gelb-Westen Demonstrationen nicht nur die Opernhäuser und Konzertsäle, sondern auch die großen Museen und sogar der Eiffelturm geschlossen. Zu den verschiedenen Gründen gehörte auch die Angst, dass kein Publikum/Besucher kommen würden. Deswegen erlaube ich es mir, in dieser Situation alle Opernfreunde aufzurufen, Ihre geplanten Besuche in Straßburg und Frankreich bitte nicht zu annullieren. Denn sonst könnten ein paar Gewalttäter nicht nur das Land lahmlegen, sondern auch noch die Kultur zum Schweigen bringen. Und das wollen wir ihnen doch nicht gönnen – oder?

Noch bis zum 8. Januar in Strasbourg und Mulhouse, Info: www.operanationaldurhin.eu

Ab 12. Oktober 2019 in der Oper Köln