Lüttich: „Die lustigen Weiber von Windsor“

Premiere am 30.01.2014

Das Phantom im Ehebett

Auf der Couch des Therapeuten: spannendes neues Regiekonzept – aber ein Ende ohne Überraschung

Was ist von der Vielzahl des deutschen Opernschaffens aus der ersten Hälfte des 19. Jhdts., auf den Spielplänen der deutschen Opernhäusern verblieben? Ob romantische, komische oder Spieloper, ob von Flotow, Marschner, Nicolai, Lortzing, Kreutzer, es ist fast alles verschwunden. Nur Carl Maria von Webers Werk(e) hat der lange Schatten des großen Sachsen („Der letzte der Titanen“) nicht erwischt. (Interessant, dass Wagners Lohengrin und Nicolais Lustige Weiber zur genau gleichen Zeit entstanden.) Mit Lortzings „Der Wildschütz“ und eben Otto Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor“ finden sich gerade noch zwei Opern dieser Generation mit einer gewissen Regelmäßigkeit auf den deutschsprachigen Bühnen wieder. Dass nun gerade zwei Häuser aus der benachbarten Frankophonie die „Lustigen Weiber“ in Koproduktion auf Deutsch herausbrachten, erstaunt daher umso mehr. Die Koproduktion der Oper Lausanne vom Juni 2014 in der Regie von David Hermann hatte nun in Lüttich Premiere.

Falstaff ist ein interessanter, mehrfach vertonter Opernstoff. Antonio Salieri, der irische Komponist Michael William Balfe, Adolphe Adam und Ralph Vaughan Williams haben Falstaff-Opern geschrieben. Salieris Version „Falstaff ossia Le tre burle“ ist in letzter Zeit wieder ausgegraben worden. Aber neben Verdis Dauerrenner Falstaff ist es lediglich die Version von Otto Nicolai, die noch regelmäßig aufgeführt wird. Sicher ist das Textbuch der „Lustigen Weiber“ von Hermann von Mosenthal dem gewaltigen Libretto für Verdis Falstaff nicht ebenbürtig, aber die hochinspirierte schwungvolle und ironisierende Musik des leider so jung verstorbenen Otto Nicolai mit ihrem Schuss Italianità hält das Leben noch am Werk.

Anneke Luyten (Frau Fluth), Sébastien Dutrieux (Therapeut)

Regisseur David Hermann hat die Oper zwar nicht „gegen den Strich gebürstet“, aber ihm doch eine ganz ungewohnte Form verliehen, in der er nicht nur die Handlung in ein saturiertes soziokulturelles Milieu der Gegenwart verlegt, sondern auch die Strukturen ändert, die Dialoge völlig anders gestaltet, Striche durchführt, um die Oper seiner Sicht anzupassen und dabei auch kleinere Eingriffe in die Partitur vornimmt. Dazu fügt er die Rolle des Therapeuten mit zwei Assistentinnen ein. Falstaff ist in seiner Version nämlich gar keine real existierender Rauf- und Trunkenbold oder Weiberheld, sondern nur ein psychologisches Phantom: Bedrohung und Traum zugleich in der kleinen Welt der Fluths und der Reichs. Diese Welt scheint im unweit von Lüttich gelegenen Hohen Venn zu liegen. Rifail Ajdarpasics Bühnenbild zeigt nämlich ein schmuckes Einfamilienhaus mit Carport und Plastik-Pool zwischen sauber geschnittenen haushohen Hecken, wie sie die Landschaft des windigen Venns charakterisieren. Frau Fluth und Frau Reich beginnen in die Oper vor einem Bühnenvorhang, der das das Café „Le Chic“ darstellt, wo sie zusammen einen zwitschern und auf den Ritter zu sprechen kommen.

Die Fluths und die Reichs unterscheiden sich nur wenig in ihrem komplaisanten Leben; sie bewohnen gewissermaßen das gleiche Haus. Die Reichs sind reicher, denn sie haben immerhin ein Kind und noch einen schicken 3er BMW. Herr Reich wendet diesem Auto mehr Aufmerksamkeit zu als seiner Frau. Kein Wunder, dass sich in Frau Reichs Fantasie ebenso wie in der ihrer Nachbarin Fluth eine Vortsllung von einem Ritter Falstaff gebildet hat. Das ist auch dem eifersüchtigen Herrn Fluth nicht verborgen geblieben. Dieser Falstaff stellt für ihn eine imaginäre Bedrohung von bürgerlicher Existenz und Eheleben dar; kann er doch besser saufen und ist vielleicht auch im Bett besser?

vorne: Sabina Willeit (Frau Reich), Laurent Kubla (Herr Reich), Werner van Mechelen (Herr Fluth), Anneke Luyten (Frau Fluth); Chor

Wohl ganz in der Fantasie von Frau Fluth spielt sich der ebenso schnelle wie heftige Beischlaf im verhängten Ehebett ab, wo sie ihn zum ersten Rendez-vous empfängt. Zur Bewältigung der „Falstaff-Ängste und -Hoffnungen“ wird ein Therapeut benötigt, der den Leuten gerne „helfen“ will. Flugs wir ein Bühnenvorhang herunter gelassen, der von oben bis unten mit den Tintenklecksen des Rorschach-Tests bemalt ist, und davor eine Couch aufgestellt. Da müssen nun die Leute drauf, und der Therapeut (Sprechrolle auf Französisch mit deutschen Einsprengseln) diagnostiziert gestelzt und nichtssagend immer just an den Stellen, an denen das Libretto gesprochene Dialoge vorsieht, die heute teilweise etwas antiquiert erscheinen Sehr praktisch ist das für den Zuschauer, denn mit den Analysen des Therapeuten wird ihm gleichzeitig das Inszenierungskonzept der Oper und auch der Fortgang der Handlung erläutert. Auf der Strecke bleiben dabei allerdings einige lieb gewonnene szenisch-komödiantische Zutaten. Für ein Phantom braucht man keinen Wäschekorb, und sein Trinklied singt Falstaff wiederum aus dem verhängten Ehebett der Fluths, vor welchem der eifersüchtige Ehemann verängstigt lauscht. Der Chor kommt aus dem Off. Komödiantischen Witz um die Figuren Spärlich und Cajus entwickelt die Inszenierung nur in recht begrenztem Ausmaß, die der Spieloper zu eigene Situationskomik kommt zu kurz. Die von Fluth mit seinen Nachbarn veranstaltete Hatz auf das Phantom bleibt merkwürdig bewegungsarm. Die Absicht des Regisseurs, sich vom Klamauk in sicherer Ferne zu halten, resultiert insgesamt in gebremstem Schaum. Unter den gestrichenen originalen Dialogen litt der Handlungsfluss; die Oper präsentierte sich in Hermanns Version eher als eine Abfolge von Tableaus, die insgesamt auf nur gut zweieinviertel Stunden Spielzeit gekürzt waren.

Sophie Junker (Jungfer Anna Reich), Davide Giusti (Fenton), Stefan Cifofelli (Junker Spärlich)

Das Fazit der Inszenierung kommt mit dem Schlusstableau. Eine Herne-Eiche gibt es nicht, aber zwischen den windschützenden Hecken wird ein großes Gartenfest veranstaltet. Das Phantom Falstaff erscheint nun tatsächlich mit großen gedrehten Kuhhörnern; Jungfer Anna erhält durch eine List ihren Fenton; der Therapeut hat ausgedient. Die Inszenierung, die die „Lustigen Weiber“ aus ihrem biedermeierlichen Umfeld reißen möchte, bringt sie in ein neues Biedermeier… Starker Punkt der Bebilderung ist das ingeniöse wandlungsfähige Bühnenbild mitseinen vielen Details. Dazu kommen die hübschen Kostüme einer modernen Spaßgesellschaft von Ariane Isabell Unfried.

Der Schwachpunkt an diesem Abend war das Dirigat. In Lausanne hatte das Lausanner Kammerorchester gespielt, aber nicht unter seinem Chefdirigenten Christian Zacharias. Daher mutet es verwunderlich an, dass der Pianist und Symphoniker nun im Lüttich am Opernpult stand und letztlich scheiterte. Dabei war das Dirigat der Potpourri Ouvertüre noch vielversprechend: schön verwoben erklang die romantisierende Musik mit ihrer dichten Partitur in einem großen Bogen. Aber dann kam es vielfach zu laut und insgesamt vom Groben; dazu gelang es Zacharias über weite Strecken nicht, Graben und Bühne genügend zu koordinieren. So gingen Facetten der süffigen und inspirierten Musik verloren. Dem Orchester der Opéra Royal der Wallonie kann man das nicht anlasten. Der von Marcel Seminara einstudierte Opernchor machte indes seine Sache präzise, aber ebenfalls dynamisch nicht recht ausdifferenziert.

Anneke Luyten (Frau Fluth), Sabina Willeit (Frau Reich), Patrick Delcour (Dr. Cajus)

Leider kam auch Franz Hawlata mit der Rolle des Falstaff nicht gut zu recht. Schon szenisch konnte eines der musikalischen Kernstücke „Als Büblein klein“ keine Wirkung erzielen; dazu fehlte Hawlata die Schwärze des Spielbasses. Alle anderen Rollen wussten aber durchaus sängerisch und darstellerisch zu gefallen und konnten mit guter Textverständlichkeit glänzen. Anneke Luyten mit klarem Koloratursopran meisterte die Rolle der Frau Fluth mit schöner Kraftentfaltun und klaren sauberer Stimführung. Als ihre Nachbarin Frau Reich gefiel Sabina Willeit mit geschmeidig-schlankem Mezzo. Werner von Mechelens Bassbariton gab einen stimmgewaltig ausladenden Herrn Fluth. Schlank dagegen der dunkel fokussierte Bass von Laurent Kubla als Herr Reich. Mit Davide Giusti sang ein italienischer Tenor den Fenton und machte seinem Fach mit schönem tenoralem Schmelz und guter Stütze Ehre. Darstellerisch erfreute er als aufmüpfiger Nichtsnutz: besprühte er doch gar den weißen BMW seines Schwiegervaters in spe. Als Jungfer Anna war mit Sophie Junker ein silbrig-klarer Sopran von großer Beweglichkeit, bestechender Diktion und charmanter Bühnenpräsenz besetzt. Stefan Cifolelli setzte für den Junker Spärlich seinen geschmeidigen lyrischen Tenor an machte die Figur nicht als Tenorbuffo lächerlich. Auch Patrick Delcour war als stammelnder Dr. Cajus stimmlich alles andere als lächerlich, sondern verlieh der Figur seinen stimmschönen kultivierten Bariton. Nicht zuletzt konnte Sébastien Dutrieux in der Sprechrolle des Therapeuten mit seinen perfekt vorgetragenen Analysen gefallen und damit, wie er seine beiden affektierten Miezen (Statisten) einsetzte.

Anneke Luyten (Frau Fluth), Franz Hawlata (Falstaff), Sabina Willeit (Frau Reich)

Die Lustigen Weiber von Windsor wurden zum ersten Mal überhaupt an der königlichen Oper der Wallonie gegeben. Das Publikum (wie immer auch aus den deutschsprachigen Kantonen Belgiens, aus der deutschen und holländischen Grenzregion) des ausverkauften Premierenabends nahm die Vorstellung mit sehr freundlichem Beifall, aber ohne Begeisterung auf. Nur fünf Vorstellungen gibt es insgesamt; nun noch am 3., 5. und 7. Februar.

Manfred Langer, 02.02.15
Fotos: Jacky Croisier