Lüttich: „Kát’a Kabanová“, Leoš Janáček

Lieber Opernfreund-Freund,

nach fast 25 Jahren zeigt die Opéra Royal de Wallonie Liège derzeit Leoš Janáčeks Musikdrama Kát’a Kabanová. Dass dabei die Besetzung der Titelrolle nur suboptimal gelungen ist, ist angesichts des ansonsten runden Musiktheaterabends besonders ärgerlich.

© J. Berger/ORWL

Katja Kabanova, wie die Oper im Deutschen geschrieben wird, ist in den Jahren 1919 bis 1921 entstanden und erzählt die Geschichte einer unkonventionellen, sich nach Freiheit und Liebe sehnenden Frau. Sie verkümmert im kleinen Städtchen Kalinow an der Wolga an der Seite ihres Mannes, der noch immer am Rockzipfel seiner herrischen Mutter hängt. Einzige Freundin ist ihre Schwägerin Varvara, die ähnlich freiheitsliebend ist wie Katja, sich aber mit dem Landleben und den Konventionen weitgehend arrangiert hat und sich nur heimlich mit ihrem Geliebten Kudraš trifft. Katja nutzt die Abwesenheit ihres Ehemannes Tichon, schleicht sich aus dem Haus der herrischen Schwiegermutter und trifft sich zum Stelldichein mit Boris, dem Neffen des Kaufmanns Dikój. Nach Tichons Rückkehr beichtet sie ihm öffentlich ihren Fehltritt und sucht, vom nach Sibirien versetzten Boris zurückgelassen, den Freitod in der Wolga.

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Janáček findet für diese Geschichte eine komplexe, rhythmisch höchst anspruchsvolle Tonsprache, die von fast kammermusikalisch-intimen Passagen über volkstümlich angehauchte Lieder bis hin zu höchster klanglicher Wucht reicht. Michael Güttler am Pult gelingt das Jonglieren mit diesen Stilen vorzüglich, und doch ist sein Dirigat wie aus einem Guss und bietet die Grundlage für wunderbares Musiktheater rund um das Schicksal einer leidenschaftlichen Frau. An Leidenschaft fehlt es der Armenierin Anush Hovhannisyan nicht – sie stürzt sich voller Verve in die Interpretation der Titelrolle. Allerdings zeichnete sich ihre Stimme gestern in fast allen Lagen durch eine unschöne, zum Teil fast schrille Schärfe aus. Sie singt wenig gefühlvoll – da ist nichts „Engelsgleiches“, wie es Boris beschreibt – und findet allenfalls in der Schlussszene zu einem Piano. Das ist bei weitem zu wenig für diese vielschichtige Partie und wird im direkten Vergleich mit Jana Kurucová umso deutlicher. Die aus der Slowakei stammende Mezzosopranistin zeigt gekonnt, wie viel Lyrik man in eine Stimme legen kann, um im nächsten Moment so feurig aufzutrumpfen, dass einem der Atem stockt. So gelingt ihr mit ihrer Varvara das farbenreichste Rollenportrait des Abends.

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Anton Rositskiy ist ein vor Virilität strotzender Boris, der vor allem in der Abschiedsszene mit viel Emotion auftrumpft, Magnus Vigilius lehnt sich als Tichon stimmlich gewaltig, aber doch vergeblich gegen die übermächtige Mutter auf. Nino Surguladze ist eine herrlich keifende Kabanicha mit sattem Mezzo und überwältigender Bühnenpräsenz, während Dmitry Cheblykov dem Macho Dikój mit eindrucksvollem Bassbariton und Sexappeal in der Stimme die Herzen zufliegen lässt und sogar die spröde Kabanicha rumkriegt.

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Das Drama findet in Lüttich auf der düsteren Einheitsbühne von Marc Lainé und Stephan Zimmerli statt, links ist ein Steg an der Wolga, im Hintergrund ein Hügel mit Birkenhain angedeutet. Die Protagonistinnen und Protagonisten hat Prunelle Rulens in heutige Alltagskleidung gesteckt, während Videoprojektionen von Vincent Pinckaers im Hintergrund für Stimmung sorgen oder in Close-Ups die Seelenzustände der Handelnden greifbarer macht. Um die geht es Regisseurin Aurore Fattier augenscheinlich in ihrer Erzählung. Denn auch aus heutiger Sicht ist die innere Not der Titelfigur noch immer greif-, die Unterdrückung durch Gesellschaft, Mann und Schwiegermutter spür- und der Drang zur Flucht aus diesen Umständen nachvollziehbar. Die nüchterne Bühne veranschaulicht die Trostlosigkeit der Situation noch und schafft Beklemmung. Dass dann ausgerechnet die Titelfigur ihre Partie so undifferenziert ins Publikum schreit, ist schade.

Ihr
Jochen Rüth

23. Oktober 2024


Kát’a Kabanová
Oper von Leoš Janáček

Opéra Royal de Wallonie Liège

Premiere: 18. Oktober 2024
besuchte Vorstellung: 22. Oktober 2024

Regie: Aurore Fattier
Musikalische Leitung: Michael Güttler
Orchestre d‘Opéra Royal de Wallonie-Liège

weitere Vorstellungen: 24. und 26. Oktober 2024