Die Oper Chemnitz eröffnet nach wichtigen Umbauten mit einer Operngala
Der Technische Direktor der Theater Chemnitz Raj Ullrich ist ein höchst kreativer Mann. Als für das Opernhaus Chemnitz im vergangenen Frühjahr dem Opernhaus ein Reinigungsschrank angeliefert worden war, in dem die empfindlichen Kostüme mittels eines ionisierten Luftstroms gereinigt werden sollten, hatte er eine Rückfrage beim Hersteller des Gerätes. Da zu dieser Zeit bereits absehbar war, dass Corona den Opernbetrieb erheblich einschränken werde, fragte Ullrich den Firmenchef Roland Krüger zunächst im Scherz, ob er nicht einen Schrank im Sortiment habe, in dem die gesamte Oper hineinpasse. Nach dem anfänglichen Gelächter kamen die Gesprächspartner ins Nachdenken. In der Folge entstand ein Konzept, wie man mit der Klimaanlage des Opernhauses negativ geladene Luftmoleküle im Zuschauerraum verteilen kann, die ihrerseits Viren, Bakterien, Gerüche und Feinstaubteilchen binden können. Die größere Masse der Moleküle lässt sie zu Boden sinken. Mit dem überschaubaren Aufwand von 30 000 € wurde die Anlage realisiert, mit der die teil-ionisierte Luft über die Rückenlehnen der 714 Besuchersessel in den Raum geblasen wird. Das führte zu einer deutlichen Verbesserung der Luftqualität auf der Bühne, im Orchestergraben und im Zuschauerraum, so dass sogar Hustenreize bei den Besuchern unterbleiben. Vor allem hofft das Haus, dass die Sars-CoV-2-Konzentration in der Raumluft so niedrig bleibt, dass die Gefahr einer Corona-Ansteckung über Aerosole weitgehend ausgeschlossen ist.
Zunächst erlaubte das Hygienekonzept die Nutzung von 390 der 714 Plätze für die Neueroberung des Saales am 3. Oktober 2020, gleichsam der „vierten Neueröffnung“ des traditionsreichen Opernhauses Chemnitz. Am Beginn des 20. Jahrhunderts hatte die Stadt zu entscheiden, ob man den Wunsch nach einem großen Museum oder nach einem neuen Opernhaus erfüllen wolle. Gebaut wurde in der 200 000 Einwohner-Industriestadt dann beides. Am 1. September 1909 wurde der Opernhaus-Neubau eröffnet. Im Jahre 1912 übernahm ein Anton Richard Tauber zunächst als Pächter und später als Intendant die Städtischen Bühnen. In seiner bis 1930 ausgedehnten Amtszeit ereignete sich eine Fülle bedeutender künstlerischer Ereignisse. Am Beginn seiner Amtszeit gab im Haus sein Sohn Richard sein Debüt als Tamino, bevor er nach einem Engagement an der Semperoper seine Weltkarriere startete. Bereits 1913, einem Jahr vor dem Ablauf der 30-jährigen Schutzfrist des Bühnenweihfestspiels s, inszenierte Anton Richard Tauber Wagners Parzifal, obwohl unsicher war, ob die Schutzfrist noch verlängert werde. Neben Wagner, Strauss, Mozart, Verdi und Bizet war Tauber stets um Neuaufführungen und hochrangige Gastkünstler bemüht. Dazu gehörten mehrfach Richard Strauss, Eugen d’Albert, Siegfried Wagner und Hans Pfitzner. Auch Gret Palucca und Mary Wigman gastierten und hinterließen Schüler, die dem Chemnitzer Ballettschaffen zu überregionalem Ansehen verhalfen. Im August 1944 musste nach der Proklamierung des „totalen Krieges“ das Haus schließen. Der junge Rudolf Kempe, der mit seiner beherrschten Arbeitsweise bekannte war, wirkte bereits als 1. Kapellmeister in Chemnitz.
Die massiven Bombenangriffe im Februar und März 1945 brachten dem Opernhaus schwere Beschädigungen. Vor allem brannte das Haus vollständig aus, so das Opern- und Konzertbetrieb auf fünf Ausweichspielstätten ausweichen mussten. Bereits am 16. Juni 1945 dirigierte der Generalmusikdirektor Kempe in der ersten künstlerischen Veranstaltung nach dem Kriegsende. Frühzeitig sammelten sich Musiker, Sänger, Schauspieler und Tänzer, so dass die Chemnitzer Theater als erste Bühne in der sowjetischen Besatzungszone einen regulären Spielbetrieb aufnehmen konnten.
Im Frühjahr 1946 begannen im Opernhaus Aufräumungsarbeiten. Der Neuausbau der erhaltenen Bausubstanz verbunden mit der Neugestaltung des Zuschauerraumes streckte sich bis zur Wiedereröffnung am 26. Mai 1951.Eine Vielzahl schöpferischer Theater- und Opernschaffende verschafften den Karl-Marx-Städter Bühnen den Ruf einer hervorragenden Kunstlandschaft. Über 30 Jahre prägte der Felsenstein-Schüler Carl Riha den Charakter der Oper Karl-Marx-Stadt. Von 1962 bis 1966 waren als Intendantin Christine Mielitz und als Oberspielleiter Harry Kupfer im Haus tätig.
Nachdem Gutachter erhebliche Mängel in der Statik der Bausubstanz des Gebäudes monierten und der technische Zustand nicht mehr einem modernen Opernhaus gerecht wurde, begannen 1985 die Planungen und 1988 die Auskernarbeiten. Als Interim-Spielstätte wurde der Luxor-Filmpalast mit genügend großem Orchester- und Bühnenraum ausgerüstet. Bis zum zweiten Halbjahr 1992 entstand in der denkmalgeschützten Hülle ein neues den modernen Ansprüchen entsprechendes Opernhaus.
Die „Städtischen Theater Chemnitz“ gGmbH sind weltweit eines der wenigen Fünfsparten- Bühnenunternehmen. Die Oper, die Robert-Schumann-Philharmonie und das Ballett teilen sich das Opernhaus. Die Philharmonie konzertiert auch in der Stadthalle und Schauspiel sowie Figurentheater haben eigene Spielstätten. Der Spielplan der Opernsparte zeichnet sich durch außergewöhnliche Vielfalt und dem Konzept, Neues schaffen und Vergessenes wieder erwecken, aus. Wagnisse werden nicht um ihrer selbst eingegangen und das Publikum des Hauses nicht als Experimentierobjekt missbraucht. In der merkbar angenehmen Atemluft erlebten Opernschaffende und das Chemnitzer Stammpublikum am 3. Oktober 2020 eine mit ihrer Leichtigkeit und Frische begeisternde Operngala. Abgesehen von den ersten beiden Reihen waren alle Zuschauerbereiche besetzt. Natürlich innerhalb der Reihen jeweils zwei freie Sitze zwischen Paaren, Einzelbesuchern und Familien. Bis zu vier Personen ohne Abstand waren auszumachen. Zwischen den Sängern und den je nach Stück 28 bis 35 Musikern des auf der Bühne agierenden Orchesters waren die Abstände diszipliniert eingehalten. Die engagiert spielenden Musiker der Robert-Schumann-Philharmonie wurden abwechselnd vom routinierten Generalmusikdirektor der Theater Chemnitz Guillermo Garcia Calvo und dem noch lernenden, seit April 2020 engagierten Katalanen Diego Martin-Etxebarria dirigiert. Das vom Generalintendanten der Theater Chemnitz hochinformativ und kurzweilig moderierte Programm entsprach den Grundsätzen des Hauses: Populäres und weniger Bekanntes sinnvoll zu mischen ohne zu überfordern. Da war eine Demonstration, über welches Sängerinnen- und Sängerpotential Chemnitz verfügt. Magnus Piontek, seit 2016 im Solisten-Ensemble sang einen repräsentativen Gremin aus Tschaikowskis „Eugen Onegin“ und bestimmte weitgehend das Fidelio-Quartett mit seinem kraftvollen Bass. Mit zwei Kompositionen des Hausgottes Richard Wagner, der „Hallenarie“ aus Tannhäuser und „Wie muss ich doch beklagen“ aus des Meisters Jugendsünde „Die Feen“, erfreute mit ihrer wunderbaren Mittellage Maraike Schröter das Auditorium. Seit 2019 ist die aus Georgien stammende vielseitige russische Sängerin Tatiana Larina im Hausensemble beheimatet. Das „Ebben? Ni andrò Iontana“ aus Alfredo Catalanis Oper „La Wally“ bot sie bewundernswert zart, aber auch hochdramatisch. Aus der Zarzuela, eine spanische Spielart der Opéra comique, „El niño judio“ von Pablo Luna entwickelte Tatiana Larina ihr überschäumendes Temperament mit „ De España vengo“.
Als eine vielseitige Sängerin präsentierte sich die in Dresden ausgebildete und seit 2019 im Ensemble engagierte Marie Hänsel, wenn sie mit dem Haus-Bariton Andreas Beinhauer Mozarts „Reich mir die Hand, mein Leben“, mit Siyabonga Maqungo den Kusswalzer aus Luigi Arditis „Il bacio“ sang und auch beim Fidelio-Quartett ordentlich mithielt. Andreas Beinhauer, der uns mit seiner Schubert-Interpretation in Erinnerung bleiben wird, brillierte mit der Champagner-Arie aus dem Don Giovanni.
Der aus Südafrika stammenden Siyabonga Maqungo war in der Spielzeit 2018/19 zum Ensemble der Oper Chemnitz gekommen. Dem Vernehmen nach, holt ihn aber Daniel Barenboim nach Berlin, nachdem er dort mit dem Fidelio-Jaquino, wie auch in Chemnitz, gefallen hatte. Schiere Bewunderung beim Publikum erzeugte der Ensemble-Neuzugang Thomas Kiechle mit der Perlenfischer-Arie „Je crois entendre encore“ mit seinem hochkultivierten schönen Tenor. Die in Radebeul geborene Marlen Bieber aus dem neugegründeten Opernstudio lockerte die Stimmung mit einer naturalistischen Darbietung des Schwips Liedes aus Johann Strauß’ „Nacht in Venedig“ auf. Als Gast war Stéphanie Müther nach Chemnitz gekommen. Eigentlich hatte sie uns versprochen, in den Oster- und Pfingstzyklen der diesjährigen Ring-Aufführungen jeweils alle vier „Brünnhilden“ zu singen. So konnte sie uns in der Operngala mit der Szene der Elvira aus Guiseppe Verdis Oper „Ernani“ und im abschließendem Fidelio-Quartett ihr hervorragendes Können präsentieren.
Mit Beethovens Komposition wurde die „Wiedereroberung des Opernhaus-Saales“ abgeschlossen. Selbst der außergewöhnlich lange Beifall konnte das Ensemble nicht zu einer Zugabe bewegen.
Mit seiner Operngala hat das Opernhaus Chemnitz seinen Ruf als sichere Stütze im Prozess der erfolgreichen Bewerbung um den Titel Kulturhauptstadt Europas 2025 gefestigt.
Bilder (c) Nasser Hashemi / Dieter Waschanski (Zuschauerraum)
Thomas Thielemann, 6.10.2020