Zürich: „Simon Boccanegra“, Giuseppe Verdi

Einmal mehr stellte sich heraus, dass ein Live-Erlebnis einer Opernaufführung durch keine technisch noch so raffiniert gemachte TV-Übertragung zu ersetzen ist. So auch bei diesem Zürcher Simon Boccanegra, einer Produktion, die zu Corona Zeiten nur dank einer TV-Ausstrahlung einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden konnte. Wie man weiter unten lesen kann, hatte ich die damalige Premiere am TV nicht nur positiv besprochen. Doch nach dem überwältigenden Erlebnis letzten Freitag anlässlich der Wiederaufnahme knapp vier Jahre später, kann ich nur lobende Worte für die Produktion von Andreas Homoki im raffinierten Bühnenbild von Christian Schmidt finden.

© Monika Rittershaus

Wie sich da die Bühnenelemente der Wandteile auf der Drehbühne mit ihren gigantischen Türen immer wieder zu neuen Labyrinthen, bedrohlichen Zimmerfluchten der Ausweglosigkeit und zu symbolträchtigen Seelenräumen formen, das ist schon meisterhaft gemacht. Erinnert auch an die später entstanden Zusammenarbeit der beiden beim Ring, aber hier meines Erachtens weitaus stringenter ausgeführt. Der Sprung von 25 Jahren zwischen dem ersten und dem zweiten Akt wird im Bühnenbild ganz dezent angedeutet: Die Türpaneele sind nun nicht mehr aus gestrichenem Holz, sondern aus milchigem Glas, ein Art Déco Leuchter hängt über der Sitzgruppe im Empfangszimmer des Dogen. Zur stimmigen Ausstattung (Christian Schmidt zeichnete auch für die Kostüme verantwortlich) kommt die genaue Charakterzeichnung der Sänger in der Personenführung von Andreas Homoki, unterstützt durch das Lichtdesign von Franck Evin. Homoki verzichtet auf jegliche Sichten auf Natur (das oft besungene Meer) oder die Stadt Genua. Die Inszenierung ist ganz nach innen, in die seelischen Befindlichkeiten, gerichtet und damit passend zur Musik Verdis, welche bereits in der Einleitung mit den fahl und düster klingenden, tiefen Instrumenten die Stimmung prägnant evoziert. Dass der Chor der Oper Zürich (einstudiert durch Janko Kastelic), der coronabedingt bei der Premiere aus dem Off gesungen hatte, immer noch aus dem Off singt, stört überhaupt nicht, im Gegenteil, er stellt in der Lesart Homokis innere Stimmen der Protagonisten dar, verbunden mit Erinnerungsfetzen. Die Koordination mit dem die Aufführung mit plastisch formender Hand leitenden und der Partitur eine breite Palette an stimmungsvollen Farben entlockenden Paolo Arrivabeni am Pult der wunderbar spielenden Philharmonia Zürich klappt hervorragend.

Sängerisch konnte das Ensemble mit grossen, wunderbar geführten Stimmen auftrumpfen. George Petean, der für den erkrankten Christian Gerhaher eingesprungen war, stellte einen in all seinen Höhen und Tiefen zutiefst berührenden Boccanegra dar. Das war schlicht eine Wucht! Sein mit traumhafter Sicherheit geführter Bariton wurde den enormen Ansprüchen, welche die Titelrolle stellt, weit mehr als nur gerecht, das war eine Sternstunde des intelligenten, ausdrucksstarken Verdi-Gesangs! Jennifer Rowley hatte die Rolle der Amelia bereits vor vier Jahren in der TV-Premiere gesungen. Nachdem sie die Klippen der Auftrittsarie mit zarter Stimmführung (abgesehen von ein paar etwas verwaschenen Phrasen) großartig gemeistert hatte, entwickelte sie sich im Verlauf der Oper dann zu einem stark gestaltenden Dreh- und Angelpunkt der Handlung. Omer Kobiljak ließ seinen wunderbar timbrierten Tenor bereits bei seinem ersten Einsatz im Off strahlen. Er sang einen starken Gabriele Adorno. Es ist ein Glück, diesen Sänger am Haus zu haben.

© Monika Rittershaus

Dank Petean, Rowley und Kobiljak wurden die Einzelszenen, die Terzette und die Duette dieser drei Protagonisten zu unter die Haut gehenden Showstoppern. Christof Fischesser (er war auch vor vier Jahren bereits dabei gewesen) war ein überaus imposanter Fiesco, der seinen herrlich strömenden Bass ab und an mit einer kleinen Prise leicht aufgerauter Tongebung würzte und so den vielschichtigen Charakter Fiescos dem Publikum eindringlich nahebrachte. Den heimtückisch intrigierenden Paolo Albiani sang nun der Bass-Bariton Andrew Moore, für mich DIE Entdeckung des Abends. Ihm gelang ein überaus packendes Porträt dieses schwarzen Charakters. Neben der überragend gestaltenden stimmlichen Leistung beeindruckte er auch mit einer fesselnden Bühnenpräsenz. Brent Michael Smiths klangstarker Bass war schlicht perfekt in der Rolle Pietros, dieses Mannes aus dem Volk, der sich mit Albiani verbündet hatte. Langer und enthusiastischer Applaus des Publikums im ausverkauften Haus, das eine der düstersten Opern Verdis in einer hochklassigen szenischen und musikalischen Interpretation erleben durfte.

Kaspar Sannemann, 2. Oktober 2024


Simon Boccanegra
Giuseppe Verdi

Opernhaus Zürich

27. September 2024

Regie: Andreas Homoki 
Dirigat: Paolo Arrivabeni
Philharmonia Zürich