Berlin: Messiaen | Schostakowitsch

Olivier Messiaen
TROIS LITURGIES DE LA PRÉSENCE DIVINE

Dmitri Schotakowitsch
Sinfonie Nr. 13 in b- Moll Babi Jar

Das ist nur in einer Großstadt mit einem reichhaltigen Orchesterleben denkbar, dass man Schostakowitschs 13. Sinfonie innerhalb von 9 Tagen gleich viermal live erleben kann. Drei Aufführungen waren im Konzerthaus Berlin mit dem Konzerthausorchester zu hören, gestern Abend folgte nun das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin in der Philharmonie mit dieser wichtigen und gewichtigen Sinfonie Schostakowitschs. Während man im Konzerthaus für den ersten Programmteil mit Schuberts relativ harmlosen 3. Sinfonie einen eher historischen Kontrapunkt zu Schostakowitschs groß besetzter Sinfonie gesetzt hatte, schlug das DSO-Berlin einen ganz anderen Weg ein: Man wählte die TROIS LITURGIES DE LA PRÉSENCE DIVINE des zwei Jahre jüngeren Olivier Messiaen. Eine ausgezeichnete und hoch spannende Wahl. Denn Messiaen war nicht bloß Zeitgenosse Schostakowitschs, er schlug auch einen ganz anderen musikalischen Weg als dieser ein. Schostakowitsch blieb in seiner Kompositionsweise stets ziemlich der Tonalität verhaftet, war bissig satirisch, hatte einen Hang ins Groteske, stets (gezwungenermaßen) untergründig politisch in seiner Aussage. Messiaen dagegen experimentierte mit Farben und Klängen, überaus ästhetisch, setzte die Spiritualität seines tiefgläubigen Katholizismus über vordergründige Sinnlichkeit. Und doch erreichte er – gerade auch in den während der Schrecken des zweiten Weltkriegs entstandenen LITURGIES – eine bezwingende Faszination, der man sich kaum entziehen kann. Dazu trugen die geradezu himmlisch sauberen Stimmen des (einstimmig geführten) Frauenchors des von Gijs Leenaars einstudierten Rundfunkchores Berlin ebenso bei, wie die Streicher und Perkussionisten (Bläser sind bei diesem Werk keine vorgesehen) des DSO. Aufhorchen ließ natürlich das von Messiaen in seinen Kompositionen bevorzugte Instrument: Die Ondes Martenot. Das Vorgängerinstrument der elektronischen Musik verleiht auch diesem Werk des Franzosen eine faszinierende Farbe. Nathalie Forget (sie spielte ohne Noten) setzte die Glissandi und unterstützenden Klänge mit subtil empfundener Dynamik ein. Dazu kamen das Vogelstimmen evozierende Spiel des Pianisten Cédric Tiberghien, die celestialen Klänge der Celesta, die zarten Töne des Vibraphons, die hochklassig gespielte Passage der Solovioline der Konzertmeisterin, der manchmal verhalten psalmodierend, dann wieder in seiner Lobpreisung des Herrn jubelnde, überaus agile Frauenchor. Ingo Metzmacher am Pult ließ die Crescendi regelrecht explodieren, stets kontrolliert und mit herrlich austarierter klanglicher Balance. Ein traumhaft schönes Werk Messiaens, in das man regelrecht ergriffen versinken konnte.

Ganz anders dann nach der Pause bei Schostakowitschs Auseinandersetzung mit dem grausamen Gemetzel an den Juden in der Schlucht von Babi Jar: Hier war man nicht ergriffen, sondern regelrecht aufgerüttelt. Die eindringliche, bassgewaltige Stimme und mit beeindruckender Präsenz geführte Stimme von Mikhail Petrenko und die exzellenten Bässe des Rundfunkchores Berlin entwickelten eine konzentrierte Sogwirkung sowohl in den dramatischen Teilen der Sinfonie (Babi Jar, Ängste) als auch im reflektierenden Adagio (Im Laden) und den grotesk-satirischen Sätzen (Der Witz, Karriere). Ingo Metzmacher und das groß besetzte DSO Berlin sorgten für eine packende unerbittlich vorwärtsdrängende Wiedergabe, da gab es nur wenig Innehalten (am ehesten noch im Lamento des dritten Satzes), oft wurde man bis zur Schmerzgrenze (aber nicht darüber hinaus!) mitgerissen in einen schneidenden Strudel der Gefühle (2. Satz). Sowjetische Tristesse wurde in dieser Sinfonie des reifen Schostakowitsch (dieses Werk lag ihm ganz besonders am Herzen) durch Celli und Bässe genauso evoziert, wie die spöttische Leichtigkeit mit der Flöte und den präzisen Pizzicati der Streicher im Finalsatz. Soli der Tuba, der Solovioline, der Bassklarinette, der Einsatz der verschiedenen Glocken und der Celesta sorgten für stimmungsvolle Momente. Nach dem zarten Verklingen (keine orgiastische Apotheose wie z.B. in Schostakowitschs 5.Sinfonie) hielt Ingo Metzmacher die Spannung für einen Moment der Ruhe aufrecht, bevor der enthusiastische Applaus sich Bahn brach.

Kaspar Sannemann 4.2.2019