Essen: Essener Philharmoniker & Rory Macdonald

Susanne Wohlmacher (Flöte)

Igor Strawinsky
Apollon Musagète

Leonard Bernstein
Halil – für Flöte und Kammerorchester

Dmitri Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 15

Der Dirigent Rory Macdonald – bitte merken Sie sich den Namen – ist ein sympathischer Bursche und toller Kapellmeister. Mit seinen 39 Jahren hat er sich bereits einen internationalen Ruf erworben. 2003 war er Assistent von Ivan Fischer und Mark Elder. Dann später Mitglied des Young Artists Programme of Royal Opera House Covent Garden / Antonio Pappano. Er stand am Pult von vielen berühmten Orchestern, wie dem BBC Symphony, Royal Philharmonic, Bergen Philharmonic, Wiener KammerOrchester, Orchestre National du Capitole de Toulouse, Copenhagen Philharmonic, West Australian Symphony, Concertgebouw Orchestra, London Philharmonic u.v.a. MacDonald ist auch ein gefragter Operndirigent. Wer ist prädestinierter also für die fachkundige Einführung, mit der ja in Essen dankenswerter Weise alle Philharmoniekonzerte schon um 19 30 h beginnen…

Dass nur 2/3 der Konzert-Besucher bei diesem Raritätenkonzert diese Möglichkeit wahrnahmen ist betrüblich. Noch betrüblicher, daß zwar um 19 30 die Türen zum Konzertsaal geschlossen werden, aber unter lauten Quietschen doch diese Einführung dauernd von später Kommenden gestört wird. So etwas geht überhaupt nicht! Wer nicht um 19 30 h da ist, hat bis 19 55 h zu warten! So gehört es sich. Ich verstehe überhaupt nicht, daß die Leitung der Philharmonie so etwas zu lässt. Das ist nicht nur unhöflich gegenüber den Künstlern, sondern auch grob rücksichtslos der Mehrheit des interessierten Publikum gegenüber.

Apollon Musagète klingt eigentlich für den Neutöner und Modernisten Strawinsky – vor allem im Vergleich mit seinem Sacre – ungewöhnlich friedlich. Ein im neoklassischen Stil daherkommendes Ballett-Libretto. George Balanchine verfasste 1928 die dazugehörige Choreografie. Von den Essener so harmlos und heimelig gespielt, wie es konzipiert ist, als wärs ein Stück von Mozart. Versatzstücke aus Barock und Vorklassik, gehüllt in einen transparenten Streicherklang erzeugen ein friedfertiges Klang-Bild. Die hohe Qualität des Essener Orchesters und das luftige Dirigat von Macdonald, verhinderte, daß es langweilig wurde.

Das Flötenkonzert Halil ist eine Megararität. Man hört es fast nie im Konzert, obwohl es nur knapp 15 Minuten dauert. Es beschäftigt aber immerhin eine Menge Musiker, darunter 8 Percussionisten, die allerdings im Vergleich zum späteren Schostakowitsch sehr einfühlsam eingesetzt werden. Es ist entstand im Gedenken an den Flötisten Yadin Tanenbaum, der während des Jom-Kippur-Krieges ermordet wurde. Leonard Bernstein prangert hier die Schrecken des Krieges an und setzt den dramatischen Ausbrüchen immer wieder lyrische und tonale Passagen entgegen; ein mehr als hochinteressantes, spannendes Stück, welches die Soloflötistin der Essener, die großartige Susanne Wohlmacher, blendend interpretierte. Großer und verdienter Beifall auch von ihren Kollegen.

Die 15. Sinfonie ist besonders für Musikkenner ein sprudelndes Zitatenhorn. Schostakowitsch zitiert aus Giacchino Rossinis Guillaume Tell sowie aus Richard Wagners Opern, aber auch Themen aus eigenen, früheren Werken. Insgesamt gestaltet er das sinfonische Geschehen sowohl mit heiteren als auch mit traurigen Momenten. Man könnte sagen, daß diese Sinfonie das Resumée seines schwierigen Lebens ist. Der erste Satz zitiert eine gleich die aus der Werbung bekannte Prinzenrollen-Fanfare. Im zweiten Satz stellt der Bläsersatz eine Reminiszenz an einen Trauermarsch dar. Der vierte Satz zeichnet sich vor allem durch polyrhythmische Elemente und perkussive Instrumentation aus, und verarbeitet das Todesverkündungsmotiv aus Die Walküre sowie Zitate aus Tristan und Isolde. Am Ende – nachdem wir vorher die Schrecken der Kriege und der Diktatur Stalins durchlebt haben – erheben sich die Streicher sich zu einem verklärenden A-Dur-Akkord auf. Eine wunderbare Schlußsequenz dieses grandiosen Raritäten-Abends.

Und ein Beweis, wie großartig doch dieses Essener Orchester auch ein ungewöhnliches Programm mit einem tollen Gastdirigenten, den wir gerne noch öfter in Essen hören würden, bewältigt. Mal wieder ein Beweis für hervorragende und verantwortungsvolle Programmplanung bzw. Vielfalt außerhalb des allseits Üblichen Immergleichen. Ganz im Gegensatz zur Oper im Aalto ist die Essener Philharmonie weiterhin jeden Besuch wert.

Peter Bilsing 25.11.2019

Fotos (c) / Philharmonie Essen / Der Opernfrteund