Bayreuth: „Wahnfried-Konzerte 2024“, Liederabend mit Werken von Wagner, Strauss und Schönberg

Schönberg in Wahnfried? Doch doch, das geht – auch wenn man mutmaßen könnte, dass Cosima Wagner, hätte sie die Klavierstücke op. 19 im Jahr ihrer Entstehung, also 1911, gehört, ihrer Verwunderung über derlei „jüdischen Unsinn“ Ausdruck gegeben hätte. Schönberg? Musikalische Moderne? Über so etwas sprach man einfach nicht in Wahnfried (auch wenn Schönberg einmal sagte, dass Siegfried Wagners Kunst besser sei als die manches bekannteren Zeitgenossen), oder man sprach nicht gut darüber, wie der Fall Strauss lehrt.

Wäre Wagner mit den „Gurre-Liedern“ zufrieden gewesen? Vermutlich auch nicht, denn so gut wie alles, was nicht Wagnersches Musikdrama war, wurde bekanntlich von ihm abgelehnt; nur Bach markierte die einzige wirkliche Ausnahme. Schönberg in Wahnfried, geht das also? Ja, denn die „Gurre-Lieder“ können auch als Musikdrama in fünf Akten gedeutet werden. Wenn ein Liederabend im Salon also mit dem ersten Teil des seit 1900 komponierten Großwerks beginnt, darf man sich gern daran erinnern, dass es hier noch reichlich wagnert. Die Liebesgeschichte von Waldemar und Tove ähnelt zu sehr der Geschichte von Tristan und Isolde, als dass man an einen Zufall glauben könnte, die musikalischen Erinnerungen an den „Tristan“ und den „Ring“, auch der dialektische Bezug zum „Rheingold“, das von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang spielt, während die „Gurre-Lieder“ abends anheben und morgens enden – diese Anspielungen sind zu gewichtig, als dass man nicht von einem Werk reden könnte, in dem Schönberg Wagner gefährlich nah kam – doch vor dem Epigonalismus rettete den Neutöner, lange vor der Erfindung der Methode, mit 12 Tönen zu komponieren, sein Instinkt und sein Genie. Trotzdem oder gerade: deswegen ist es reizvoll, im Hause Wagner ein Werk zu hören, das auf sehr eigene Weise in der Wagner-Nachfolge steht: philosophisch durchaus folgend, musikalisch schließlich sich von Wagners Einfluss befreiend. Außerdem ist es schlicht und einfach schön, in einem der sommerlichen Wahnfried-Konzerte einen Komponisten zu hören, der für viele Wagnerianerinnen und Wagnerianer vermutlich immer noch ein rotes Tuch ist – obwohl er doch in seiner Jugend so gefühlssatte und wohlklingende Dinge wie die „Gurre-Lieder“ komponiert hat. In Wahnfried widmen sich Maria Hilmes, Stefan Rügamer und Günther Albers dem Werk: mit der Klaviertranskription Alban Bergs. Hört man zunächst noch die Mechanik des alten Steinway rumpeln, so gewöhnt man sich schnell an das Nebengeräusch, zumal Albers den Klavierpart phänomenal deutlich und emphatisch spielt, auch den impressionistisch flirrenden Eingangssatz auf dem Gerät von 1876 wunderbar hinbekommt. Rügamer ist ein präsenter lyrischer Tenor, Hilmes ein ausdrucksstarker Sopran, bei dem der Ausdruck gelegentlich über die bloße Wortgenauigkeit geht; die von Wagner am ersten Festspieltag des Jahres 1876 seinen Künstlern empfohlene „Deutlichkeit“ wird bei den „Gurre-Liedern“ eher in musikalischer als in strikt wörtlicher Hinsicht eingelöst. Wer sich das Vergnügen machte, Jakobsens Verse mitzulesen, wird, trotz Notenpult und -Blättern, an nicht wenigen Stellen freie Interpretationen des vertonten Texts gehört haben. Wer sich auf die bloße Akustik verließ, ohne die Geschichte aus den Texten heraus philologisch detailgenau verstehen zu wollen, hat, wie gesagt, eine ausdrucksstarke und stimmschöne, im höheren Sopranbereich gelegentlichst reizvoll angeschärfte Deutung des Oratoriums gehört haben.

© Günther Albers, Maria Hilmes

Was voranging, war kurz und, sozusagen, schlagend. Wagners „Elegie“, ein kleines, fast kryptisches Opus aus der Tristan-Zeit, deren fünf letzte Takte er in der Parsifal-Zeit für Cosima Wagner hinzufügte, um dem Fragestück einen versöhnlichen Ausklang zu geben, dieses „schmachtende“ Stück eröffnete den Abend, um fast übergangslos in die ersten Takte der „Gurre-Lieder“ überzugehen: eine Introduktion von eigenem Charakter, so dass ein freundlicher Besucher am Abend noch das Schönberg-Werk für ein Stück Richard Wagners hielt… Was nach der Pause folgte, war gleichermaßen aufeinander bezogen. Nach den sechs kurzen, ungemein konzentriert und schlackenlos interpretierten Klavierstücken op. 19 (jeder Satz eine konkrete musikalische Form) folgte der witzigste Liederzyklus Richard Strauss’. Strauss kannte Schönberg, schätze den jungen Musiker auch so sehr, dass er ihn unterstützte, bevor dessen Dodekaphonien den Komponisten des „Rosenkavalier“ verwirrten. Im „Krämerspiegel“, einer Sammlung von Liedvertonungen nach Texten des Großkritikes und Spötters Alfred Kerr, hat sich Strauss über das Gebaren der damaligen Musikverleger weidlich lustig gemacht; am Abend performen Hilmes und Rügamer die einzelnen Stücke. Die Satire wird nicht allein ohren-, auch augenfällig, wenn eine Wanze zerdrückt und drei Masken am Himmel gesehen werden, die nichts als schrecklich sind – bevor der Komponist ins lustige Walzerlachen ausbricht. Ebenso performativ, dabei textlich und musikalisch genau und komödiantisch deutlich: die Zugabe, also Mahlers „Trost im Unglück“, ein Rausschmeißer ersten Ranges, geschrieben von einem Musiker, der immerhin fünfmal in der Stadt war.

Mahler in Wahnfried? Auch das geht – abgesehen davon, dass fast alles in Wahnfried geht. Der Hausherr ist tot, es lebe der Hausherr. Mit dem Trio wurde ein Team in den Salon geholt, das uns, durchaus nicht nebenbei, drei der allerbedeutendsten und besten Komponisten präsentierte, die alle von Wagner inspiriert worden sind. Und Schönberg, der in Bayreuth leider ein seltener Gast ist, am Hofgarten zu hören: es war, alles in allem, ein Ereignis.

Frank Piontek, 23. August 2024


Liederabend mit Werken von Wagner, Strauss und Schönberg

Haus Wahnfried

22. August 2024