Mannheim: Symphonie Nr. 7, Dmitri Schostakowitsch

SWR-Symphonieorchester & Teodor Currentzis

Höllische Sternstunde

„Ich widme meine Sinfonie unserem Kampf gegen den Faschismus und Leningrad meiner Heimatstadt“. Worte des Komponisten Dmitri Schostakowitsch über seine sog. „Leningrader Symphonie“. Ursprünglich als einsätziges Werk gedacht, so erarbeitete der Komponist dann doch eine viersätzige Symphonie, deren Sätze zunächst mit den Titeln: Krieg, Erinnerung, Weite der Heimat und Sieg überschrieben waren. Doch auch davon wendete Schostakowitsch sich ab. Das Werk erlebte seine Uraufführung unter lebensbedrohlichen Kriegsbedingungen im Jahr 1942. Es folgte die deutsche Erstaufführung mit den Berliner Philharmonikern unter Leitung von Sergiu Celibidache im Jahr 1946.

Der erste Satz beginnt mit idyllischen Farben und Themen. Alles dies ändert sich mit der Einführung des zentralen Themas, das sog. „Invasions-Thema“, das in elf Variationen den Einmarsch der deutschen Feindestruppen charakterisiert. In Form eines Bolero-Rhythmus wird ein bekanntes Motiv der Léhar Operette „Die lustige Witwe“ (Da geh ich zu Maxim…) zitiert. Einer von vielen Subtexten, galt doch die „Witwe“ als eines von Hitlers Lieblingswerken. In gigantischen Fortissimo-Klängen mit gewaltigen Schlagzeug-Eruptionen walzt dieser musikalische Panzer alles nieder. Am Ende tönen ermattet Solo-Fagott und Trompete, bis dann in der Coda der Rhythmus des Invasions-Themas nochmals anklingt.

Der zweite Satz Moderato gleicht einem Scherzo und verarbeitet Idyllisches und Bedrohliches, gipfelnd in einem schrillen Walzertakt.

Ergreifend dann das ausgedehnte Adagio mit seinen choralartigen Anklängen. Breite Unisono-Kantilenen erklingen in den Streichern und werden im Trio durch einen grotesk anmutenden Marsch aufgebrochen.

Im beschließenden letzten Satz verarbeitet Schostakowitsch Motive der Trauer, die am Ende in einen erstarkenden, gewaltigen Triumph-Gesang des gesamten riesigen Orchesters führen. Die Sogwirkung, die von diesem Finale ausgeht, ist derart atemberaubend, dass diese nie ihre überwältigende Wirkung verliert.

Ein ganz besonderes Konzert im Mannheims Rosengarten mit dem SWR Symphonieorchester unter Leitung seines Chef-Dirigenten Teodor Currentzis! Es war eine gute Entscheidung, nur diese so besondere Symphonie auf das Programm zu setzen und ihr damit einen besonderen Fokus zu geben.

Ganz zu Hause und damit voll in seinem Element wirkte Dirigent Teodor Currentzis mit seinem hingebungsvoll musizierenden SWR Symphonieorchester. In riesiger Besetzung trat dieser fantastische Klangkörper im Mannheimer Rosengarten an: 18. erste Violinen, 12 Celli, 10 Kontrabässe, 7 Trompeten, 6 Posaunen u.v.a., sorgten für ein unvergessliches Klangerlebnis der Spitzenklasse.

Interpretatorisch suchte Currentzis die Extreme in seiner Lesart. Dies bedeutete gewaltige und doch auch sehr extreme dynamische Effekte. Leiseste Pianissimi standen ohrenbetäubende Fortissimo Ausbrüchen gegenüber. Nahezu unhörbar ließ er bei größter Exaktheit das „Invasions-Thema“ erklingen, um auf dem dynamischen Höhepunkt die seinerzeitige Kriegshölle zu entfesseln. Unglaublich, mit welcher Vehemenz die vier kleine Trommeln den Bolero-Rhythmus in das Ohr der Zuhörer hämmerten.

Dabei hörte Currentzis sehr genau in die Musik hinein, deckte Verästelungen in den Nebenstimmen auf, gab der melodischen Phrasen-Entwicklung dabei den Vorzug. Was seine Interpretation so außergewöhnlich machte, war das erzählerische Element. Dem Zuhörer wurde die intensiv berührende Geschichte eines grauenvollen Krieges erzählt. Der Spannungsbogen geriet derart intensiv und überzeugend, so dass die vier Sätze dieser Symphonie miteinander verschmolzen.

Die Tempi wirkten gemessen, niemals übersteigert, sondern sehr klar in der gesamten polyphonen Struktur. Currentzis ist ein unermüdlich aktiv agierender Dirigent. Unablässig feuerte er seine ganze Energie, in z.T. auch geradezu tänzerischen Bewegungen in sein Orchester. Jede Note war wichtig und erklang in der Bedeutung einer Lebensaufgabe. Somit gab es keinerlei Beiläufigkeit in seiner Interpretation. Eine großartige Idee war es zudem, einzelne Orchestergruppen oder auch das gesamte Orchester während des Spiels aufstehen zu lassen. Die klanglichen Akzentuierungen gerieten dadurch besonders eindrücklich

Das SWR Symphonieorchester agierte als eingeschworene Gemeinschaft, die mit ihrem Dirigenten alles aus der Musik herausholten. Dabei hatte Currentzis die Streicher z.T. sehr ruppig, erdig intonieren lassen. Im Kontrast dazu erklang die große Streichergruppe perfekt koordiniert in den großen Unisono-Teilen des dritten Satzes, die mit höchster Sensibilität realisiert wurden. Die Blechbläser intonierten unermüdlich und absolut intonationssicher. Sehr gut trafen die Holzbläser das ironisch groteske Farbspektrum oder berührten besonders intensiv (z.B. Soloflöte) in den idyllischen Abschnitten. Dazu überwältigend in der gesamten dynamischen Bandbreite die große Gruppe der Schlagzeuger. Eine Orchesterleistung auf höchstem Niveau, die keinen internationalen Vergleich scheuen muss!

Eine geradezu höllische Sternstunde im Konzertleben erlebten die Zuhörer. Ein außergewöhnliches, unvergessliches Erlebnis! Das Publikum zeigte sich völlig hingerissen und reagierte überwältigt mit lauter Euphorie.

Riesige Begeisterung und stehende Ovationen im ausverkauften Rosengarten!

Dirk Schauß 24.6.2019