Saarbrücken: „Der fliegende Hollländer“

Premiere: 30.11.2014

Zwiespältiger Regieansatz

Zuerst liegt die ganze Bühne im Dunkeln. Zunehmend erhellt sich sie sich und der Raum gewinnt an Profil. Das war ein recht stimmungsvoller Beginn der Saarbrückener Neuproduktion von Wagners „Fliegendem Holländer“, die indes in szenischer Hinsicht einen zwiespältigen Eindruck hinterließ.

Emma Vetter (Senta), Olafur Sigurdarson (Holländer)

Regisseurin Aurelia Eggers geht es nicht darum, eine traditionelle romantische Spukgeschichte zu erzählen. Vielmehr befragt sie das Werk nach seiner Relevanz für die Gegenwart. Dabei wartet sie nicht mit einer vom modernen Geschäfts- und Wirtschaftsleben geprägten Inszenierung auf, die Wagners Oper in letzter Zeit häufig zuteil wurde, sondern setzt bei den vielfältigen Emotionen der Handlungsträger an. Da die Gefühle damals wie heute dieselben sind, hat dieser Ansatzpunkt durchaus seine Berechtigung. Stephan Mannteuffel hat ihr einen kargen, fast leeren Gedankenraum auf die Bühne gestellt, der auf beiden Seiten von einer Vertäfelung begrenzt wird und gleichermaßen den Innen- und den Außenbereich bildet. Die Abgrenzung zwischen drinnen und draußen erfolgt auf recht beeindruckende Weise durch Projektionen. Immer wieder fluten videomäßig auf einen Gaze-Vorhang geworfene Wellen durch den Saal, der von einem Heizungsrohr und zwei riesigen Türen dominiert wird. Manchmal scheint die ganze Spielfläche unter Wasser zu stehen und der wilde Ozean hereinzubrechen. Dieser löst die Konturen eines im Vordergrund befindlichen zweiten, kleineren Raumes allmählich auf. Das zunehmend verzerrte, zerfließende Zimmer hat gegenüber der Macht des Meeres keine Chance.

Olafur Sigurdarson (Holländer), Emma Vetter (Senta)

Trotz der realistischen Aufzeigung ist der Ozean aber dennoch eher symbolisch aufzufassen, und zwar als bildlicher Ausdruck von Gefühlswogen. Letzten Endes ist es Frau Eggers aber nicht um ausgeprägten Realismus zu tun, sondern um eine Wanderung durch die Psyche der Protagonisten, die vielfältige Assoziationsmöglichkeiten eröffnet. Ein über der Szene schwebender riesiger Spiegel, dessen Stellung geändert werden kann, versinnbildlicht den Blick in die Seelen der beteiligten Personen, insbesondere Sentas. In Freud’scher Manier dringt ihr Unterbewusstes an die Oberfläche und gebiert den Wunsch, aus der sie beengenden Welt des von Veronika Lindner sehr elegant eingekleideten Vaters Daland auszubrechen. Von ihm kurzerhand zur Ware degradiert und damit zum bloßen Objekt gemacht, kommt es auch mal zu Handgreiflichkeiten zwischen Vater und Tochter. Und zwar genau in dem Augenblick, als sie sich dazu aufrafft, sich zu wünschen, den Holländer durch ihre Treue erlösen zu können.

Olafur Sigurdarson (Holländer), Emma Vetter (Senta)

Dieses Tschechow’sche Element mag auf manchen Zuschauer im Hinblick auf den Gesamtkontext unlogisch gewirkt haben, ergibt aber durchaus Sinn, wenn man das Folgende als (Wunsch-) Traum Sentas auffasst, in dem sie sich einen zärtlich mir ihr umgehenden Retter herbeisehnt. Bezeichnenderweise liegt sie dabei in ihrem Bett. In der Tat lässt Frau Eggers die beiden Hauptdarsteller liebevoller und inniger miteinander verfahren, als es andere Regisseure oft tun. Diese visionäre Deutung erklärt auch, dass im dritten Aufzug keine Aufteilung des Chores stattfindet und die Norweger bei ihrem ausgelassenen Festlied auch den Part der holländischen Matrosen übernehmen.

Hier geht es nicht um die traditionelle Erlösung des Holländers von einem Fluch, sondern um diejenige von Senta durch die Eröffnung der Möglichkeit zur freien Selbstbestimmung. Diese sieht Aurelia Eggers aber nicht im Freitod des Mädchens, sondern in einer erfüllten Ehe mit dem Holländer. Beide überleben und werden glücklich miteinander – ein dem Kern der Oper zutiefst widersprechender Schluss. Dieses Ende ließ sich indes bereits ganz zu Beginn vorausahnen, als ersichtlich wurde, dass die Regisseurin das Ganze aus der Perspektive einer alten Senta erzählt, die auf den entscheidenden, Freiheit stiftenden Augenblick in ihrem Leben zurückblickt. Oder war das immer noch ein Traum, an den sich die betagte Senta da erinnerte? Die Frage bleibt offen. Hier wäre eine etwas deutlichere Zeichengebung von Frau Eggers tunlich gewesen. Insoweit blieb ihr konzeptioneller Ansatz zwiespältig.

Insgesamt zufrieden sein konnte man mit den Sängern. In der Titelparte begeisterte Olafur Sigurdarson, hinter dessen grandioser vokaler Leistung alle seine Partner in den Hintergrund rückten. Hier haben wir es mit einem Heldenbariton zu tun, der den Holländer nicht nur mit purer Stimmkraft angeht, sondern ihm auch alle Vorzüge eines bestens fundierten, italienisch geschulten Singens zukommen lässt. Bestens das appoggiare la voce und die einfühlsame Linienführung seines klangvollen, ausdrucksintensiven Baritons. Diese Aspekte ergaben zusammen mit einer vorbildlichen Diktion ein hervorragendes Rollenportrait. Wann kann man diesen ausgezeichneten Sänger endlich einmal in Bayreuth erleben? Sein hohes Niveau erreichte Emma Vetter als Senta nicht ganz. Zwar wartete sie mit einem kraftvollen jugendlich-dramatischen Sopran auf, den sie differenziert einzusetzen wusste. Leider gab es gerade bei der Ballade Unebenheiten in der Tongebung, weil Frau Vetter da etwas auf die Stimme drückte. Das kann man wohl der Premierennervosität zuschieben. Es bleibt abzuwarten, wie sie sich bei den Folgevorstellungen entwickeln wird. Gut zu gefallen vermochte Timothy Richards’ Erik, dem die Regie seinen Beruf als Jäger beließ und dessen Szenen mit Senta zu zeitgemäßen, alltäglichen Streitereien unter Pärchen ausarteten. Mit seinem gut fokussierten, höhensicheren Tenor, der auch über eine treffliche Tiefe verfügt, entsprach er seiner Rolle voll und ganz. In nichts nach stand ihm Hiroshi Matsui, der sich mit sonorem, tiefgründigem Bass als gute Besetzung für den Daland erwies. Solide schnitt die Mary von Judith Braun ab. Als absoluter Schwachpunkt des Abends erwies sich János Ocsvai, der den Steuermann nur mit einem Hauch von dünner, kopfiger, nicht eben klangvoller und nur halb ausgebildeter Tenorstimme mehr säuselte als sang. Prächtig präsentierte sich der lustvoll und prägnant intonierende Chor, den Jaume Miranda vorzüglich einstudiert hatte.

Das Saarländische Staatsorchester brauchte bei der Premiere einige Zeit, um warm zu werden. Dass die Konzentration der Musiker zunächst noch nicht sehr ausgeprägt war, belegt das Auseinanderdriften der Instrumente beim ersten Einsatz des Erlösungsmotives während des Vorspiels. Statt des vorgeschriebenen Gemeinschaftsklangs ertönten die Fagotte kurz vor den Hörnern und dem Englischhorn. Im Lauf des Abends bekam man diese Schwierigkeiten aber in den Griff. Nicholas Milton fasste Wagners Partitur nicht als durchgehende Sturmmusik auf, wie es andere Dirigenten oft tun, sondern verlieh dem Ganzen eine etwas bedächtigere Note, wobei er insbesondere die vielfältigen Zwischentöne betonte.

Ludwig Steinbach, 1.12.2014

Die Bilder stammen von Björn Hickmann