Salzburger Festspiele (Nachtrag): „La Clemenza di Tito“, Wolfgang Amadeus Mozart

Keine Hosenrollen mehr…      

Wieder wurde eine Neuinszenierung der Salzburger Pfingstfestspiele, die bereits seit 12 Jahren unter der Leitung der nicht nur in Salzburg äußerst beliebten Römerin Cecilia Bartoli stehen, in die Sommerfestspiele in das Haus für Mozart übernommen. Diesmal war es W. A. Mozarts letzte Oper „La Clemenza di Tito“ in der Regie von Robert Carsen, der bekanntlich auch für eine recht gelungene Neuinszenierung des Hofmannsthalschen „Jedermann“ bei den Sommerfestspielen 2024 verantwortlich zeichnete. Hatte er in dieser Neuproduktion bei aller fast durchgehend sinnvollen Zuhilfenahme moderner stilistischer Ausdrucksmittel auch noch Referenzen an das für den 1911 uraufgeführten „Jedermann“ vorbildhafte spätmittealterliche Mysterienspiel anklingen lassen, verfiel Carsen mit seiner Sicht der „Clemenza di Tito“ in eine zumindest optisch platte, ja nahezu groteske Zerrung des so tiefgründigen Stoffes, zu dem Mozart diese Oper aus Anlass der Krönung Kaiser Leopold II. zum König von Böhmen komponierte.

© Marco Borelli

Schon bei den ersten Takten des Vorspiels, welches eigentlich im Sinne der Komponisten zur musikalischen Einstimmung auf das kommende Geschehen dienen soll und meist auch die wesentlichsten Themen schon anspricht, geht der Vorhang hoch und offenbart hektisch aus einer grauen Bürotür herausströmende Businessmen mit Handies am Ohr und den obligaten Aktentaschen in der Hand. Also wieder einmal hinein in mausgraue Büro-Ästhetik mit Handies, PCs, Tablets, Kaffeemaschinen, den mittlerweile schon in fast jeder regietheatralischen Neuinszenierung obligaten Büro-Drehstühlen und natürlich – ganz wichtig – den Office Badges, die um den Hals aller baumeln, wohl selbst dem des Bürochefs Tito, als seien sie die optisch nachprüfbare Rechtfertigung, überhaupt zu existieren – in einer triüberbürokratisierten Welt. Gerade feierten diese Badges ja wieder fröhliche Urständ in K. Serebrennikovs arg daneben gegangenem „Don Carlo“ an der Wiener Staatsoper. Sie gehören also nun offenbar zum Hauptarsenal solcher Inszenierungen, zumal denen, die auf Kollektive bauen wie Versuchslabors, Parteizentralen et al. In jedem Fall tragen sie zur dramaturgischen Gleichmachung aller Akteure wesentlich bei.

Gleichmachung ist also auch Trumpf bei Carsen in seinem „Tito“. Man sieht die ganze Zeit in einen mausgrauen Büro-Saal von Gideon Davey, mit einer Empore oben drüber für Publikum oder Konferenzteilnehmer und dem Staff in grau-schwarzen Kostümen, die der typischen Business-Kleidung in heutigen Großraumbüros entspricht, ebenfalls von Davey. Italienische Nationalflaggen und EU-Flaggen hängen an den Wänden. Gleichwohl wird mit dem Sturm auf das römische Kapitol auf jenen in Washington D.C. 2021 angespielt, obwohl die Figuren und ihre Intentionen in den USA doch recht wenig gemein mit jenen in Mozarts „Tito“ hatten. Aber es sollte ja alles im Heute sein, und das passte dann halt gerade allzu gut ins Bild. Wie Carsen in einem Gespräch mit Christian Arseni im Programmheft kundtut, sah er keine andere Möglichkeit, als zu einer „Verlegung der Geschichte ins Heute und zu entscheiden, das gesamte Stück auch räumlich im Kontext der Politik anzusiedeln.“ Deshalb gab es also nur Korridore der Macht wie den Senat, das Büro des Staatsoberhauptes Tito oder politische Sitzungssäle zu sehen – de facto aber ein klassisches Einheitsbühnenbild mit wechselnden Stuhlanordnungen.

© Marco Borelli

Ganz und klar unklassich war allerdings Carsens Entschluss, Sesto und Annio nicht als Hosenrollen zu bringen (siehe unseren separaten Kontrapunk!).

Musikalisch gibt es hingegen weitaus Erfreulicheres und Stimmigeres zu berichten. Natürlich setzte Cecilia Bartoli mit ihrem immer noch glut- und charaktervollen Mezzo starke Akzente als Sesto, ganz zu schweigen von ihrem wie immer intensiven darstellerischen Engagement. Durch sie kam doch einiges an Menschlichkeit in die allgemein triste Atmosphäre. Daniel Behle sang den Tito Vespasiano mit einem klangvollen und in allen Lagen perfekt geführten Tenor, der auch inhaltlich alle Facetten der komplexen und durch viele Gefühlsschwankungen gehenden Rolle ausfüllen konnte. Szenisch war er durch das biedere bürokratische Outfit mit Aktentasche und Businessanzug recht benachteiligt, machte aber das Beste daraus. Alexandra Marcellier agierte als eine hintertriebene und mit allen mimischen und vokalen Tricks „ihre“ Sesto an der Nase herumführende Vitellia. Ihr Sopran überzeugte sowohl mit einer kraftvollen Mittellage wie mit guten Spitzentönen. Mélissa Petit als Servilia und Anna Tetruashvili als Annio brachten hervorragende stimmliche Leistungen auch als lesbisch Verliebte und empfahlen sich für höhere Aufgaben im Mozart-Fach.

Ildebrando Arcangelo, den man sonst eher in einem „Don Giovanni“ prominent gewohnt ist, verkörperte die normalerweise recht kleine Rolle des Publio, die Carsen hier aber entscheidend aufwertet. Er lässt Publio vermuten, dass die Gutmütigkeit Titos noch zum Untergang seiner Herrschaft und damit des Systems führen könnte und lässt ihn somit Vitellias Staatsstreich mit einleiten. Denn diese lässt im Finale Tito durch eine Gruppe messerbewaffneter Gefolgsleute oder Rebellen in Kapuze meuchlings erstechen und setzt sich daraufhin genussvoll auf seinen Thron – freilich ein etwas besseres Modell eines Büro-Drehstuhls. Das war’s und damit so ganz und gar nicht im Sinne Mozarts und der Auftraggeber der Oper. Und eigentlich auch nicht in der Realität des von Carsen so bedingungslos angestrebten Heute. Der bilderbuchhaft gutmütige und gut regierende Sultan Qabus von Oman wurde vor nur wenigen Jahren nach einem natürlichen Tod unter großer Trauer seines Volkes zu Grabe getragen, und Mordversuche an Spitzenpolitikern fanden in den USA und Brasilien eher bei solchen statt, deren Überzeugungen sich nicht ganz mit jenen eines Tito Vespasiano deckten, abgesehen vom früheren Ministerpräsidenten und bis 2010 Präsidenten Victor Juschtschenko in der Ukraine, der sich trotz einer ernsthaften Vergiftung retten konnte. Aber das ist nun auch schon wieder 20 Jahre her. Wo also ist der nachweisbare Gegenwartsbezug der „Clemenza di Tito“ à la Robert Carsen?!  

© Marco Borelli

Von dieser Frage ließ sich Gianluca Capuano mit Les Musiciens Du Prince – Monaco und dem exzellenten, von Jacopo Facchini einstudierten Chor Il Canto di Orfeo nicht beeindrucken und sorgte für eine ganzvolle und engagierte musikalische Untermalung des allzu oft nicht zu Mozarts Musik passenden Geschehens auf der Einheitsbühne im Haus für Mozart.                                                                                                                

Klaus Billand, 5. Oktober 2024


La Clemenza di Tito
Wolfgang Amadeus Mozart

Salzburger Festspiele

Besuchte Vorstellung: Premiere 1. August 2024

Musikalische Leitung: Gianluca Capuano
Les Musiciens Du Prince – Monaco