Schwarzenberg: Schubertiade August/September 2019 – Teil 1

Hochkarätig

Der 8. Mai 1976 gilt als Gründungstag der „Schubertiade“, weil an diesem Tag im Rittersaal des Palastes Hohenems ein Liederabend des damaligen künstlerischen Leiters Hermann Prey mit Leonard Hokanson stattfand. Dieses kleine, aber sehr feine, hochkarätige Festival mit Kammermusik- und Liederabenden hält sich also schon seit unglaublichen 43 Jahren. Das ist in erster Linie dem Geschäftsführer und künstlerischen Leiter Gerd Nachbauer zu verdanken, dem es Jahr für Jahr gelingt, Spitzenkräfte aus aller Welt im Frühjahr und Herbst nach Hohenems sowie im Juni und Spätsommer nach Schwarzenberg zu holen. Sie treffen hier auf ein internationales, äußerst fachkundiges Publikum, das neben den musikalischen Glanzpunkten auch die wunderbare Alpenlandschaft im österreichischen Vorarlberg genießen kann.

Für uns begann es in diesem Jahr im ästhetisch ansprechenden und vor allem akustisch hervorragenden Angelika-Kauffmann-Saal in Schwarzenberg am Nachmittag des 24.8. mit ausgezeichnet interpretierter Kammermusik. Das 1996 gegründete Jerusalem Quartet (Alexander Pavlovsky, Sergei Bresler, Ori Kam, Kyril Zlotnikov), inzwischen kontinuierlich zu einem Spitzen-Ensemble gereift, deutete zunächst Schuberts Quartettsatz c-Moll D 703 und Beethovens Streichquartett Es-Dur op. 74 aus, wegen der zahlreichen Pizzikati vor allem im Eingangssatz auch „Harfenquartett“ genannt. In beiden Werken wurde das für das Quartett typische kontrastreiche Spiel deutlich, indem die dramatischen Tremoli starken Drive erhielten, um im Gegensatz dazu dem schönen echt Schubertschen Melos Raum zu geben. Die Neigung zum Herausstellen der Kontraste setzte sich bei Beethoven fort: Nach dem ausgedehnten Eingangssatz mit einigen virtuosen Soli des Primarius strahlte das Adagio schön abgewogene Ruhe aus, als könnte nichts das harmonische, friedliche Musizieren stören, bis sich der Satz dann doch schmerzhaft eintrübte, aber schließlich sanft ausklang. Das Presto mit seinen wilden Triolen-Schlägen und den zerklüfteten Fugati blieb trotz stürmischen Tempos stets gut durchhörbar. Das gilt auch für das Finale, ein abwechslungsreicher Variationssatz, das mit einer furios dargebotenen Coda zu Ende ging.

Nach der Pause kam mit Elisabeth Leonskaja eine der „Grandes Dames“ der Pianistenzunft hinzu, die bereits seit 1985 immer wieder bei der „Schubertiade“ auftrat, nachdem sie 1978 ihre russische Heimat verlassen hatte und seitdem in Wien lebt. Das Klavierquintett A-Dur op. 81 von Antonín Dvorák erfuhr eine nahezu vollendete Wiedergabe, indem man perfektes Zusammenspiel aller und gleichmäßigen Klang bewunderte, durchaus keine Selbstverständlichkeit beim Aufeinandertreffen von Klavier und Streichern. So konnte man die Vorzüge des bedeutenden Klavierquintetts genießen, seien es die weichen Kantilenen in allen Stimmen oder den süffigen Klang im Eingangssatz, den Gegensatz von Melancholie und verhaltener Fröhlichkeit in der volkstümlichen Dumka oder den flotten Furiant. Im Finale gab es choralartige Ruhe vor dem wirbeligen Schlussspurt. Jubelnder Beifall belohnte die Musiker, die sich mit dem langsamen Satz aus Brahms‘ Klavierquintett bedankten – ein verheißungsvoller Start unseres Konzert-Marathons in Schwarzenberg. (GE)

Am Abend erlebte man Ian Bostridge und Julius Drake, die das Schubertiade-Publikum mit einem intelligent zusammengestellten Programm mit Liedern von Franz Schubert, Hans Werner Henze und Gustav Mahler, vorwiegend nach Texten von Friedrich Rückert, begeisterten. Seit 1999 treten beide Künstler regelmäßig mit Liedprogrammen hier auf und sind dementsprechend bestens aufeinander eingespielt. Bostridge, derzeit im Zenit seiner sängerischen Kunst, führt seinen schlanken, vibaratoarmen Tenor gekonnt mit satter Tiefe und sicherer Höhe durch alle Register. Störend an seinem Vortrag ist noch immer eine gewisse körperliche Unruhe, die den Zuhörer durch übertriebene Bewegungen und häufiges Blicken in die Texte auf dem Flügeldeckel ablenkt; das passte gerade zu Beginn bei Schubert nicht.

Dazu litt der differenzierte „Greisengesang“ an Textverständlichkeit, während z.B. „Lachen und Weinen“ allzu gekünstelt rüberkam, ohne ein Augenzwinkern erkennen zu lassen. Sehr interessant waren die zwei Henze-Lieder aus „Sechs Gesänge aus dem Arabischen“, in denen Henze dem Gesangsduo gewidmete weitgehend eigene Gedichte vertont hatte, zu denen er durch Besuche auf der ostafrikanischen Insel Lamu inspiriert worden war. Da war vor allem „Cäsarion“ – ein Gedicht von Henze über den Sohn Kleopatras und möglicherweise Cäsars – auch für den Pianisten mit Höchstschwierigkeiten gespickt, die Julius Drake glänzend meisterte. Bostridge zeigte hier seine hohe technische Kunst bei aberwitzigen Tonsprüngen und trotzte erfolgreich dem sinfonisch aufrauschenden Klavier. Bei „Paradies“ von Hafis, übersetzt von Rückert, überzeugte der Sänger durch elegante kontrastreiche Interpretation.

Im 2. Teil des Abends überraschte Bostridge mich positiv mit eigenwilliger, intensiver Wiedergabe von vier Wunderhorn-Liedern, wobei „Revelge“ der Höhepunkt war; da passte der bewusst plärrige Ton ideal zu „Ach Bruder, jetzt bin ich geschossen…“ wie auch das verzagte „Ach Brüder, Ihr geht ja mir vorüber, als wär’s mit mir vorbei!“. Und alles zu dem unausweichlichen Marschrhythmus, den Drake nach gewaltigem Aufbäumen sehr gut abphrasierte. Die beiden Künstler schlossen mit vier Rückert-Liedern von Mahler, wobei Drake den zarten Gesang von Bostridge in „Ich atmet` einen linden Duft“ locker unterstützte; dieser bewies äußerste Beherrschung seiner Technik mit extrem ruhiger Stimmführung in „Ich bin der Welt abhanden gekommen“, obwohl er noch während der pianistischen Einführung den Text in seinen Noten suchte, also nicht voll auf das Lied konzentriert war.

Mit zwei Zugaben (Mahler/Schubert) bedankten sich die Beiden für den begeisterten Applaus. (ME)


Wie immer bei den Schubertiaden gab es auch diesmal wieder die berühmten Liederkreise von Franz Schubert zu hören. Dabei wird hier gern jüngeren Sängerinnen und Sängern die Chance gegeben, diese Meisterwerke zu interpretieren. Am 25.8. waren es der Südtiroler Sänger Andrè Schuen und sein Begleiter Daniel Heide, die die „Winterreise“ in hinreißender Manier ausdeuteten. Schuen verfügt über einen ausgesprochen farbenreichen Bariton, den er mit bester Diktion und Internationsreinheit sowie verblüffend sicherer Stimmtechnik einzusetzen wusste. Da, wo es nötig ist, hatte die Stimme dramatische Attacke, wie z.B. bei „Ob’s unter deiner Rinde wohl auch so reißend schwillt?“ in „Auf dem Flusse“ oder in „Mut“ („Sind wir selber Götter!“). Eine ganz große Stärke des Baritons sind die vielen lyrischen Passagen, die er mit wunderbaren Legato-Bögen absolvierte und dabei trotz einer gewissen Neigung zu langsamen Tempi durchgehend in Spannung hielt. Die eindringliche Gestaltung der unterschiedlichen Stimmungen der „schauerlichen Lieder“ (Schubert) durch die beiden Künstler war bereits erstaunlich ausgereift. Das führte dazu, dass die Gesamtinterpretation gemeinsam mit dem vorzüglichen, stets mitgestaltenden Pianisten von Beginn an in jeder Phase derart packend war, dass man mit dem zu Tode unglücklichen, durch die Winterlandschaft Wandernden in jeder Phase mitfühlen konnte. Nach längerem Innehalten am Schluss nach dem „Leiermann“ brach lang anhaltender Applaus des enthusiasmierten Publikums aus, der sich zu „Standing Ovations“ steigerte. Wie Daniel Heide erläuterte, gibt es normalerweise nach der „Winterreise“ keine Zugabe; dennoch sei es angebracht, „heute einen Gruß in den Himmel“ zu schicken; so erklang in ergreifender Ausdeutung Schuberts „Im Abendrot“. (GE)

Einen rundum beglückenden Liederabend bescherten Tara Erraught und Malcolm Martineau den Schubertiade-Liebhabern am Nachmittag des 26.8. Die irische Mezzosopranistin mit Sopranhöhen, deren Stammhaus die Bayerische Staatsoper in München ist, zog die Zuhörer vom ersten Ton an mit starker Ausstrahlung und Bühnenpräsenz in ihren Bann. Sie begann mit fünf Mörike-Lieder von Hugo Wolf, dessen „Er ist’s“ in ihrer Interpretation mit farbenreicher Stimme und passender Mimik und Gestik den furiosen Auftakt bildete. Malcolm Martineau bereitete der Sängerin mit seiner reichen Erfahrung gekonnt den Teppich, auf dem sie ihre Lieder ausrollen konnte, ein sehr gutes Duo, das in dieser Kombination debütierte und hoffentlich häufiger zu hören sein wird. Es folgten vier Schubert-Lieder, u.a. „Gretchen am Spinnrade“, wobei sich Pianist und Sängerin durch differenzierte Interpretation wunderbar ergänzten. Besonders gelungen war auch „Nacht und Träume“, dessen lange Spannungsbögen sanft und ruhig im piano geführt wurden.

Ein Highlight war dann „Der Hirt auf dem Felsen“, zu dem sich Jörg Widmann als Dritter gesellte. Da entstand ein herrliches, intensives Zwiegespräch zwischen Stimme und Klarinette über dem tragenden Klaviergrund. Nebenbei bewies Tara Erraught, wie gut sie auch weich laufende Koloraturen und lockere Sopranhöhen beherrscht.

Von Mahlers „Liedern eines fahrenden Gesellen“ gefiel mir die dichte Wiedergabe von „Ich hab‘ ein glühend‘ Messer“ besonders gut; bei bester Textverständlichkeit und Legatokultur der Sängerin wurden die eruptiven Elemente von beiden Künstlern nahezu ideal herausgearbeitet. Zum gelungenen Abschluss des Konzertes präsentierte das Duo die acht „Zigeunerlieder“ von Johannes Brahms mit viel Esprit; offen blieb für mich, warum man sich entschieden hatte, bei „Wißt ihr, wann mein Kindchen“ die zweite vor der ersten Strophe zu singen?

Das Publikum spendete den Künstlern jubelnden Applaus, die sich dafür mit zwei englischsprachigen Zugaben bedankten. (ME)

Seit seiner Gründung 1989 hat sich das Artemis Quartett schnell in die Weltspitze gespielt; diesen Stand hat das Quartett trotz einiger Neubesetzungen immer gehalten. Zu Beginn der Saison 2019/20 steht nun mit dem Ausscheiden des letzten Gründungsmitglieds, des Cellisten Eckart Runge, und der Geigerin Anthea Kreston ein fundamentaler Wechsel an: Neu im Quartett sind die holländische Cellistin Harriet Krijgh und die Geigerin Suyoen Kim, die an die Seite von Vineta Sareika (seit 2012 dabei) tritt, um die Tradition des Quartetts fortzusetzen, dass die Geigerinnen an der ersten Violine alternieren; seit 2007 gehört Bratschist Gregor Sigl dem Quartett an. Am Nachmittag des 27.8. musizierte das verjüngte Quartett zunächst Peter Tschaikowskys selten aufgeführtes Streichquartett F-Dur op. 22. Das mit streicherischen Höchstschwierigkeiten gespickte Quartett erfuhr eine Wiedergabe auf hohem Niveau. Die Musiker waren verblüffender Weise bestens aufeinander eingestellt, als ob sie schon jahrelang zusammen spielen. Die unterschiedlichen Stimmungen des etwas zerklüfteten Quartetts mit teilweise geradezu sinfonischen Klangballungen fanden eine intensive, tiefgehende Ausdeutung. Nach der Pause erklang Schuberts berühmtes Streichquartett d-Moll D 810 „Der Tod und das Mädchen“. Auch hier fiel das ausgezeichnete Zusammenspiel auf. Besonders beeindruckend war der Variationssatz über das „Todesthema“, bei dem die Künstler passend fahle Tongebung fanden, indem sie dieses im piano vibratolos spielten. Wie allgemein üblich ließ das Finale mit irrwitzigem Tempo keine Zweifel am tragischen Ende der Hetzjagd. Das Publikum war begeistert, wofür sich die Künstler mit dem Scherzo aus Schuberts G-Dur-Quartett D 887 bedankten. (GE)

Eine insgesamt etwas unausgewogene Interpretation von Schuberts Liederkreis „Die schöne Müllerin“ ließen am Abend des 27.8. Martin Mitterrutzner und Gerold Huber hören. Das populäre Eingangslied vom „Wandern“ kam recht behäbig mit schweren Schritten in Klavier und Gesang daher, was nur zu den „Steinen, so schwer sie sind“ passte. Bei „Wohin“ war das Klavier teilweise noch zu laut, so dass man den sonst bis auf wenige Vokalverfärbungen (vor allem bei a und ü) gut artikulierten Text des Sängers nicht immer verstehen konnte. Vom dritten Lied an waren dann die beiden Künstler besser aufeinander eingestimmt. Da konnte Mitterrutzner zeigen, wie technisch fundiert und bruchlos er seinen kernigen Tenor führen kann, wenn er auch gelegentlich zu sehr opernhaft auftrumpfte, wie bei „Ungeduld“ oder „Die böse Farbe“. Weit über das geforderte Tempo hinaus gingen auf Kosten der Textverständlichkeit dagegen „Mein!“ mit Gerold Hubers sieghafter Einleitung und mit wildem Vorspiel „Der Jäger“. Besonders eindringlich gestaltet waren u.a. „Am Feierabend“, „Eifersucht und Stolz“ sowie die beiden letzten todtraurigen Lieder „Der Müller und der Bach“ und „Des Baches Wiegenlied“. Insgesamt trug der versierte Pianist, der seit 1999 bei der Schubertiade anzutreffen ist, den jungen Sänger sicher durch die Lieder, so dass es insgesamt doch ein weithin abgerundeter Liederkreis wurde, der vom Publikum sehr positiv aufgenommen wurde. (ME)

Fotos: Schubertiade

Marion und Gerhard Eckels 28. August 2019