Im Rahmen der Reihe der kompletten Kammermusik von Johannes Brahms, die in den verschiedenen Phasen der Schubertiade zwischen März und Oktober 2018 erklingt, waren am 27.6. nachmittags die beiden Streichquintette op. 88 und op. 111 zu hören. Renaud Capucon und Guillaume Chilemme (beide Violine), Adrien La Marca und Gérard Caussé (beide Viola) sowie der Cellist Edgar Moreau fanden mit ihren kostbaren Instrumenten eine Ausdeutung, die das Publikum tief berührte. Nun hätte man ja bei diesen Individualisten, die nicht in einem festen Ensemble spielen, annehmen können, dass es Probleme im Zusammenspiel geben würde – keine Spur! Es wurde eine ausgesprochen gut ausgewogene Klangfülle erzielt, die zu den aufgeführten Werken aufs Beste passte. Im 1882 entstandenen F-Dur-Quintett erzeugten die Musiker im Eingangssatz eine Stimmung, die, um mit Hugo Wolf zu sprechen, „die Natur so geheimnisvoll, so feierlich still, so selig verklärt“ erscheinen ließ. Dem süffigen Grave mit den beiden fast tänzerischen Unterbrechungen folgte das stets gut durchhörbare, energiegeladene Finale, das das Quintett mit einer furios dargebotenen Coda abschloss. Acht Jahre später komponierte Brahms das G-Dur-Quintett, dessen Allegro mit wunderbar präsentierten Bratschen- und Geigen-Duos durchsetzt ist. In den beiden Mittelsätzen, im nachdenkliche Adagio und dem Allegretto anstelle eines Scherzos, gaben die Musiker die eher dunkle Stimmung mit spannungsreicher Ruhe wieder. Am Ende stand das mit blendender Virtuosität dargebotene Vivace, das das Quintett mit einem nun wirklich feurig zu nennenden Csárdás abschloss. Begeisterter Beifall. (GE)
Am Abend stellten Marlis Petersen und Stephan Matthias Lademann das Programm ihrer neuen CD mit dem Titel „Welt“ vor. Da konnte man nun vorwiegend selten zu hörende Kompositionen mehr und weniger bekannter Meister kennenlernen. Wer kennt denn schon „Das Los des Menschen“ von Sigurd von Koch (Text von Hans Bethge), Lieder von Hans Sommer („Herbstabend“, Text: Nora Gräfin von Strachwitz, oder „Gesang des Lebens“, Text: Otto Erich Hartleben), Schuberts „Cora an die Sonne“ (Text: Gabriele von Baumberg) oder Schumanns „Die Hütte“ (Text: Gustav Pfarrius)? Marlis Petersen besitzt einen durch alle Lagen ausgeglichen vollen Sopran, der sich mühelos bis in höchste Höhen schwingt; beeindruckend war daher besonders ihre Interpretation von Beethovens „Abendlied unter gestirntem Himmel“. Aber auch in der tieferen Lage trägt die Stimme gut. Große Intervall-Sprünge absolvierte sie höchst erfolgreich, z.B. in Sommers „Erinnerung“ oder von Kochs „Das Los des Menschen“). Das im Vorjahr so störend laute Atemholen hat sie inzwischen weitgehend abgestellt; geblieben sind allerdings nachlässige Intonationsfehler in der Mittellage und bei kleinen Notenwerten (z.B. Brahms‘ „Dämmerung senkte sich von oben“), das Kleben an den Noten und die körperliche Unruhe, die bei ruhigen Liedern (vor allem bei Schumanns „Mondnacht“ und Brahms‘ „Feldeinsamkeit“) die Spannungsbögen deutlich störte. Besonders gut gelangen u.a. Schuberts „Am See“, Clara Schumanns „Mein Stern“ und Brahms‘ „Serenade“. Insgesamt ließ ihr Gesang jedoch ziemlich kalt; da sprang kein Funke über. Und der versierte Pianist Stephan Matthias Lagemann begleitete unaufdringlich; da fehlten doch manchmal eigene Impulse. Mit Mozarts „Abendempfindung an Laura“ bedankten sich die Künstler für den freundlichen Beifall. (ME)
Es ist schon gute Tradition, dass während einer Schubertiade ein öffentlicher Meisterkurs für Liedgesang stattfindet. Diesmal boten Thomas Hampson und Wolfram Rieger jungen Sängern vom 25. bis 28. Juni die Gelegenheit, sich neben grundsätzlichen Verbesserungsmöglichkeiten Tipps und Schliff für Liederabende zu holen und ihre Fortschritte in einem kleinen Konzert dem Publikum vorzustellen. Da wurde an vier Vormittagen (und wie man hörte auch privat nachmittags weiter) wirklich hart gearbeitet an Körperhaltung, mentaler Einstellung, Aufeinanderhören, Textarbeit und, und, und. Jeder der zehn Teilnehmer (sechs Sänger und Sängerinnen sowie 4 Pianisten und Pianistinnen), die teilweise bereits ein sehr hohes Niveau aufwiesen (zwei sind schon in Festengagements), wurde zunächst mit Fragen konfrontiert wie „Warum habt ihr das Lied gewählt? Was sagt euch schon das Notenbild allein? Warum hat der Dichter dies geschrieben? Was für Vorstellungen habt ihr von dem Lied?“ Da ging es also gleich an handfeste Interpretation, nachdem eine aufrechte, entspannte Haltung und freiere Tongebung durch einfache Übungen erreicht worden waren. „Ihr müsst die Phrasierung vorausdenken, mindestens zwei bis zu acht Takte voraushören, erst dann wird konzentriert mit Spiel oder Gesang begonnen.“ Da waren sich die beiden Meister einig; ebenso war klar, dass sie natürlich in so wenigen Tagen nur Denkanstöße zu technischer Verbesserung oder anderer interpretatorischer Auffassung geben können. Was die einzelnen Teilnehmer dann daraus letztendlich machen, wird sich im Laufe der Zeit zeigen.
Am 29.6. war es dann soweit: Fünf der Sängerriege (ein vielversprechender Bariton musste wegen eines Konzerttermins vorher abreisen) präsentierten die hart erarbeiteten Lieder. Da konnte man gleich bei Isabel Pfefferkorn (Mezzo) und Hanna Bachmann eine Entwicklung innerhalb der wenigen Tage erkennen, bei zwei Schubertliedern, aber vor allem bei Strauss‘ „Epheu“, das deutlich an Aussage und Klang gewonnen hatte. Die Schweizerin Flurina Stucki begeisterte mit ihrem voll timbrierten Sopran, der in zwei „Mignon“-Liedern (Wolf) große Ruhe ausstrahlte und bei „Malven“ (Strauss) große Flexibilität bewies; Alena Sojer begleitete sicher. Die übrigen Sänger wurden alle von dem hoch einzuschätzenden Pianisten Daniel Gerzenberg unterstützt: Der Bassbariton Matthias Hoffmann bestach durch Schuberts „Kriegers Ahnung“ mit großer Steigerung bis zum ruhigen Schluss und den gelungenen großen Spannungsbögen in Mahlers „Urlicht“. Aus Mahlers „Scheiden und Meiden“ und Strauss‘ „Himmelsboten“ machte Susan Zarrabi mit ihrem charakteristischen, farbigen Mezzo jeweils gelungene kleine Geschichten mit passender Mimik und Gestik. Schuberts „Die Nebensonnen“ und „Der Leiermann“ gestaltete der amerikanische Bariton Sean Michael Plumb mit schöner Tongebung intensiv und setzte mit Strauss‘ „Heimliche Aufforderung“ einen gelungenen Schlusspunkt. Das Publikum war zu Recht begeistert.
Als Dank aller Aktiven an das Publikum wegen seiner Ausdauer während der insgesamt fünf Tage gab es, von allen gesungen sowie Rieger und Gerzenberg vierhändig gespielt, Schuberts „Kantate zur Genesung der Irene Kiesewetter“, ein wunderbarer Abschluss des Kurses. (ME)
Fester Bestandteil aller Schubertiaden sind die berühmten Liederkreise von Franz Schubert. So gab es am 30.6. „Die schöne Müllerin“ in einer durchgehend fesselnden Interpretation von Christoph Prégardien und Malcolm Martineau – eine Sternstunde des Liedgesangs. Der seit 1993 regelmäßig bei der Schubertiade auftretende, erfahrene Liedsänger gab die letztlich unendlich traurige Geschichte vom unglücklich verliebten Müllerburschen in allen unterschiedlichen Stimmungslagen mit einer unglaublichen Spannungsdichte wieder. Dazu trugen ganz wesentlich auch die ausgezeichnete Textverständlichkeit und die technisch sichere Führung seines lyrischen Tenors mit den wunderbaren Piani in den Höhen bei. Kleine Gesten und passende Mimik unterstützten den beinahe schon vollendet zu bezeichnenden Vortrag. Im ersten Teil des Liederkreises, wenn Hoffnung und Sehnsucht des Müllerburschen noch das Geschehen bestimmen, erlaubte sich Prégardien einige zusätzliche Verzierungen, die vor allem die vielen variantenreich präsentierten Strophenlieder bereicherten. Dass der Liederabend von so besonderer Güte war, lag auch an der prägenden Mitgestaltung durch den bewährten Liedbegleiter Malcolm Martineau, der mit vollendeter Technik alle Nuancen der Darstellung durch den Sänger nicht nur erfasste, sondern durch eigene Impulse zum das Publikum begeisternden Gesamtergebnis beitrug. Eine inhaltlich passende Zugabe war Schuberts „Der Jüngling und der Tod“. (GE)
Es ist erstaunlich, dass es Intendant Gerd Nachbauer und seinem Team immer wieder gelingt, Weltklasse-Künstler – auch der jüngeren Generation – für die Schubertiade zu gewinnen. So waren es am Vormittag des 1.7. zum Abschluss der von uns besuchten Schubertiade der Pianist Igor Levit, der Geiger Ning Feng und der Cellist Daniel Müller-Schott, die beide Klaviertrios von Franz Schubert ausdeuteten. Von Beginn an wurde schnell deutlich, dass man wirklich Kammermusik vom Feinsten erleben durfte. Es drängte sich kein Instrument nach vorn, vor allem nicht das Klavier – stets eine große Gefahr bei Klaviertrios. Nein, Igor Levit passte sich glänzend an und stellte seine hohe Kunst auf „seinem“ Instrument in den Dienst des Ensembles. Das gilt in gleichem Maße für die ausgezeichneten Streicher, die gemeinsam mit dem Pianisten durch fein abgestimmte Dynamik, sensible Tempo-Übergänge und überhaupt für eine in jeder Phase stimmige Wiedergabe der beiden Trios sorgten. Sie folgten in ihren Deutungen durchaus der Charakterisierung von Robert Schumann, der das Trio Es-Dur D 929 „mehr handelnd, … dramatisch“ und das B-Dur-Trio D 898 „dagegen leidend, … lyrisch“ bezeichnet hat. Da gab es im B-Dur-Trio die charakteristischen sehnsuchtsvollen Aufschwünge im Eingangssatz, „seliges Träumen“ (wieder Schumann) im Andante oder im Es-Dur-Trio Hochdramatisches im variantenreichen Andante con moto, Spritziges im Scherzando mit einem passend schroff servierten Trio sowie der Gestaltung dienende hohe Virtuosität im begeisternden Finale. Beifall, der sich zu Ovationen steigerte. (GE)
Fotos: © Schubertiade
Marion und Gerhard Eckels 2. Juli 2018
Weitere Schubertiaden in Schwarzenberg: 25.8.-1.9.2018
und in Hohenems: 12.-15.7.2018 + 3.-9.10.2018