Ein Markenzeichen der Schubertiade ist auch die Präsentation weithin unbekannter Lieder und vor allem von mehrstimmigen Gesängen, die man anderswo höchst selten hören kann. So gab es am Nachmittag des 21. Juni Quartette und Duette von Franz Schubert, die mit exzellenter Qualität von Brenda Rae, Sophie Rennert, Mauro Peter und David Steffens gesungen wurden, vom versierten Helmut Deutsch am Flügel sicher unterstützt. Besonders in den Quartetten gefiel das ausgezeichnete Miteinander der vier bestens zueinander passenden Stimmen, was den Gesamtklang, aber auch die bei allen vorzügliche Textverständlichkeit betrifft. Hier drängte sich niemand unangemessen in den Vordergrund, sei es in der Hymne an den Unendlichen (Friedrich von Schiller), sei es in den Quartetten An die Sonne, Gott im Ungewitter, Gott der Weltschöpfer (Johann Peter Uz) oder im harmonischen Abschlussgesang Gebet (Friedrich de la Motte Fouqué). Ebenfalls auf anderen Podien kaum zu erleben sind die dialogischen Duette oder dramatisch zugespitzte Gesänge wie die Szene im Dom aus Goethes Faust oder Hektors Abschied von Schiller. Brenda Rae war mit volltimbriertem Sopran das Gretchen, dem der Böse Geist (David Steffens mit sonorem, hier passend dämonisch gefärbtem Bass) wirklich Angst machte; alle sangen zur Beruhigung die lateinischen Chöre. In Hektors Abschied ging es dann wahrhaft opernhaft zu, wenn Andromache (Sophie Rennert mit charaktervollem, in allen Lagen abgerundetem Mezzosopran) Hektor (hochdramatisch aufbegehrend David Steffens) vergeblich davon abbringen will, auf dem Schlachtfeld den Tod zu suchen. Ganz anders kamen Licht und Liebe (Matthäus von Collin) und Goethes Mignon und der Harfner daher: Hier zeigten Brenda Rae und der Tenor Mauro Peter ihr ausgeprägtes Vermögen, ihre charakteristische Stimmen in feiner Lyrik zu führen. Besonders anrührend gelangen die beiden Lieder Der Tod und das Mädchen (Brenda Rae und Sophie Rennert) und Der Jüngling und der Tod (Mauro Peter und David Steffens), bei denen der Tod als Freund erscheint.
Starker Beifall des begeisterten Publikums forderte Zugaben heraus, ein Wunsch, den die Künstler mit Der Tanz und Die Geselligkeit gern erfüllten. (GE)
Für den Nachmittag des 22. Juni hatten Konstantin Krimmel und sein Begleiter am Flügel Ammiel Bushakevitz ein Programm vorbereitet, das ausschließlich Lieder von Franz Schubert umfasste, die dieser selbst zur Veröffentlichung zusammengestellt hatte. Mit den drei Liedern nach Gedichten von Johann Mayrhofer (op.21) ließ Krimmel einen gleichmäßig gut durchgebildeten Bariton erkennen, der auch in der tiefen Lage noch punkten konnte; in Auf der Donau waren die geforderten dramatischen Impulse bestens erkennbar. Die hervorragende überdeutliche Diktion des jungen Sängers erwies sich dagegen bei mehreren Liedern als Hindernis, da er die Texte teilweise sehr salopp behandelte; entweder war die Vorbereitung unzureichend oder er las die sicherheitshalber auf einem Notenständer vorhandenen Texte nicht richtig ab. Beispielsweise wurde einmal das vorgeschriebene „sieh!“ zu „sich“; dies zog sich durch fast alle Lieder, wobei Wie Ulfru fischt, Der Alpenjäger und besonders Die Erscheinung am Stärksten betroffen waren. Aber all das sind Kleinigkeiten, die dem gelungenen Vortrag vieler selten zu hörender Lieder kaum Abbruch taten, denn einer sonst so einschmeichelnd weichen Baritonstimme verzeiht man manches. Ein Höhepunkt war da die lyrische Todesmusik, die er mit den kurzen dramatischen Einschüben in bestem Legato besonnen enden ließ. Ganz stark beeindruckten auch Selige Welt und Schwanengesang aus op.23 in der Gestaltung Krimmels, wie auch die allmähliche Steigerung mit schier endlos langen Atembögen in Ganymed. Als hervorragender Liedbegleiter empfahl sich Ammiel Bushakevitz, der sich bei durchaus eigener Akzentsetzung ganz in den Dienst des Sängers stellte, ihm die Wege bereitete, Strophen elegant verband und die wenigen längeren Nachspiele fein verklingen ließ. Das erfüllte Publikum bedankte sich nach zwei Stunden mit starkem Applaus und ersten Ansätzen zu Standing Ovations bei den Künstlern, die das ihrerseits noch mit Carl Loewes Die Uhr belohnten. (ME)
Am Nachmittag des 25. Juni bescherte uns Sophie Rennert einen traumhaft schönen Liederabend mit sehr viel Unbekanntem, Melancholischem und Schmerzlichem von Franz Schubert. Am Flügel begleitete sie aus der Garde der Altmeister Graham Johnson, der sich als Schubert-Spezialist mit der 36 CDs umfassenden Lieder-Gesamtausgabe bei Hyperion einen Namen gemacht hatte. Mit ihrem vollen, durch alle Lagen bestens abgerundeten Mezzosopran überzeugte die Sängerin durchweg: Da gab es u.a. das intensive Wanderers Nachtlied II, den Nachtgesang mit herrlichen Piani in der Höhe, das Ruhe verströmende Erster Verlust oder das mit langem Spannungsbogen versehene Wehmut. Aber auch dramatische Attacke stand ihr zu Gebot wie z.B. in Auf der Bruck, wo sie das Nachspiel noch bis zum letzte Klavierton mimisch mit durchlebte, oder das sich auf die Zeile „Ewigkeit schwingt über ihnen Kreise“ hin entwickelnde Lied Gruppe aus dem Tartarus. Bei dieser Künstlerin stimmte einfach alles, so dass dieser Auftritt für mich zum Höhepunkt der in diesem Jahr von mir gehörten Liederabende wurde. Graham Johnson bereitete der Sängerin sicheren Boden, was bereits in dem lyrischen Die Sterne mit wunderbar gleichmäßigem Flimmern vom Klavier begann, sich in der Fischerweise mit bestem lautmalerischem „…plätschert…“ fortsetzte bis zum zart rieselnden Der Jüngling an der Quelle. Gelegentlich wurde die Begleitung jedoch ein wenig zu stark wie z.B. anfangs in Rastlose Liebe, bei Der Schmetterling sogar zu grob für das zarte Tier. Besonders gut gelangen Die Berge und auch der Greisengesang mit seine markigen Akkorden am Ende sowie das frische Dithyrambe im tänzerischen Dreier-Takt. Etwas störend war für mich, dass der Pianist oft schon während des letzten Klanges bereits die Noten für das nächste Lied umblätterte und damit einen fast unmittelbaren Anschluss an das jeweils nächste schuf, so dass dem Zuhörer eigentlich keine Minute zur Verinnerlichung des gerade Gehörten zugestanden wurde. Das enthusiasmierte Publikum forderte noch zwei Zugaben heraus: Das Lied der Anne Lyle und Berthas Lied in der Nacht, beide ebenfalls von Schubert. (ME)
Bei unserem letzten Konzert in der Juni-Phase der Schubertiade 2022 gab es am Abend des 25. Juni eine interessante Mischung von Kammermusik und Lied. Mit dem Pianisten Daniel Heide, der Geigerin Franziska Hölscher und dem Cellisten Jens Peter Maintz standen ausgezeichnete Instrumentalisten zur Verfügung, die im ersten Programmteil bei fünf Bearbeitungen britischer Volkslieder für Singstimme und Klaviertrio von Ludwig van Beethoven den erfahrenen Liedsänger Christoph Prégardien begleiteten. Hier hörte man gut aufeinander abgestimmtes Musizieren, so dass der Sänger den schottischen und irischen Text mit wie immer perfekter Diktion in der Originalsprache rüberbringen konnte und dabei seinen charakteristischen Tenor an den passenden Stellen auch zum Glänzen brachte. Schade, dass nur die deutsche Übersetzung und nicht der originale Text im Programmheft abgedruckt war; auch hätte man gern erfahren, wer die Übersetzung gefertigt hatte (Beispiel: Aus „Sally in our alley“ wurde „Das Bäschen aus unserem Sträßchen“ – na ja!). Am Beginn des Abends gab es mit dem Notturno ein empfindsames Adagio, das Franz Schubert in der Zeit komponiert hat, in der auch seinen beiden bekannten Klaviertrios entstanden sind. Arpeggien im Klavier und Pizzikati der Streicher suggerierten Harfenklang, der mit dem energisch akzentuierten Hauptthema abwechselte. Nach den Volksliedern erfreute unbeschwertes Musizieren in dem so genannten Gassenhauer-Trio von Ludwig van Beethoven. Der Name geht zurück auf einen damals wahren Schlager aus einer heute völlig vergessenen Oper, den Beethoven zum Thema des dritten Satzes, einem Variationssatz, gemacht hat (übersetzt: „Eh ich ans Werk geh, will ich ein wenig essen“). In dem frech-fröhlichen Trio konnte nun jeder sein hohes instrumentales Können unter Beweis stellen.
Nach der Pause stand weiter Beethoven auf dem Programm, jetzt mit seiner Cellosonate C-Dur op. 102 Nr. 1. Das zweisätzige, nicht einfach aufzunehmende Spätwerk enthält hinsichtlich der musikalischen Gestaltung und der instrumentalen Technik höchst anspruchsvolle Anforderungen, mit denen die beiden Künstler allerdings keinerlei Probleme hatten. Den Abschluss bildeten sehr bekannte Lieder von Franz Schubert, die teilweise in einer Bearbeitung für Singstimme und Klaviertrio von Wolfgang Renz, einem Spezialisten für Bearbeitung klassischer Werke, erklangen. Die sonst bei der Begleitung der Singstimme nicht beteiligten Streicher verstärkten hier die jeweilige Atmosphäre des Lieds, ohne seinen Charakter zu verfälschen. Bei Prégardien konnte man wieder die durchgehende Textverständlichkeit und die stets überzeugende Gestaltungskraft bewundern. Auch wenn man die bekannten Lieder oft gehört hat, gelang es ihm erneut, große Spannung im Erlkönig aufzubauen, den Musensohn fröhlich durch „Feld und Wald schweifen“ zu lassen oder aus dem Ständchen ein rührendes Liebeslied zu machen. Von besonderer Qualität in gesangstechnischer Hinsicht beeindruckten die ruhigen Lieder wie Die Mutter Erde, Wandrers Nachtlied II und Nacht und Träume.
Für den starken Applaus des begeisterten Publikums bedankten sich die Künstler mit dem Lindenbaum und mit der Wiederholung eines britischen Volkslieds. (GE)
Marion und Gerhard Eckels
Fotos: © Schubertiade
Nächste Schubertiaden in Hohenems 14.-17. Juli und 1.-9. Oktober 2022
Sowie in Schwarzenberg 20.-28. August 2022