Schwarzenberg: Schubertiade Juni 2022 – Teil 1

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Hochkarätig

Die Schubertiade, die in Fachkreisen einen geradezu legendären Ruf hat, findet bereits seit Mai 1976 im österreichischen Bundesland Vorarlberg statt, in Hohenems (im Frühjahr und Herbst) und in Schwarzenberg (im Juni und Spätsommer). Dort in traumhaft schöner Umgebung trifft sich regelmäßig eine eingeschworene Gemeinde, die in fast familiärer Atmosphäre Liederabende, Meisterkurse und Kammermusik vom Feinsten genießt – Schwerpunkt sind die Werke von Franz Schubert. Immer wieder gelingt es dem Leiter der Schubertiade Gerd Nachbauer und seinem Team, international bekannte Sängerinnen und Sänger der Spitzenklasse sowie renommierte Pianisten und Kammer-Ensembles zu gewinnen. Außerdem wird jungen, aufstrebenden Künstlern die Chance gegeben, sich zu beweisen. So konnte man auch jetzt wieder im Juni im akustisch hervorragenden Angelika-Kauffmann-Saal in Schwarzenberg musikalisch Hochkarätiges erleben.

Für uns begann die Schubertiade am Abend des 18. Juni mit dem Schweizer Tenor Mauro Peter, einem der profiliertesten Liedsänger der jüngeren Generation, und dem bereits über 40 Jahre hier wirkenden Altmeister der Liedbegleitung Helmut Deutsch am Flügel. Das Konzert ist, wie alle Liederabende der Schubertiade 2022, Teil der Gesamtaufführung aller derjenigen Lieder, die Franz Schubert selbst für die Drucklegung zusammengestellt hat, etwa ein Drittel seines gesamten Liedschaffens. An diesem Abend standen Goethe-Vertonungen im Mittelpunkt, die mit wenigen thematisch passenden Vertonungen von Schiller, Samuel Friedrich Sauter und Caroline Pichler verbunden wurden.

Die Künstler bescherten mit der wahrhaft Rastlosen Liebe einen tollen Einstieg in das Programm. Schon im nächsten Lied Der Rattenfänger entwickelte Peter enorme Klangfülle, die er aber gut zu bändigen wusste; alle kleinen Verzierungen wurden elegant und deutlich ausgesungen! Allerdings geriet Der Wachtelschlag ein wenig zu opernhaft. Bereits in Schäfers Klagelied zeigte der Tenor, dass er auch genügend Attacke besitzt, was sich besonders bei dem stark deklamierten Der Pilgrim manifestierte. Nach dem intensiven Wanderers Nachtlied I spielte er in Meeres Stille meisterhaft mit klangvollen Konsonanten. Nach der Pause ging es munter mit dem Musensohn weiter. Den unterschiedlichen Charakter der drei Strophen von Auf dem See traf Peter sehr gut, wie auch den selten zu hörenden Geistes-Gruß. Die drei Lieder op.87 gehen auf eine unglückliche Liebe Schuberts zu einer jungen Komtesse Esterházy zurück. Neben Der Unglückliche und Hoffnung ist vor allem Der Jüngling am Bache interessant: Die gefällige, positiv endende Vertonung von 1815 erklang im 1.Programmteil; die von 1819 machte nun mit Moll-Wendungen den Stimmungsumschwung zu Klage und Leid deutlich, beides gelang Mauro Peter ausdrucksstark. Mit dem lyrischen An den Mond, dem humorvoll vorgetragenen Liebhaber in allen Gestalten und dem erdverbundenen Tischlied endete das Programm. Aber was sind Sänger ohne Begleitung? Helmut Deutsch bewies einmal mehr sein unglaubliches Einfühlen in die Musik und die Interpretation des jeweiligen Sängers, wodurch er das Generationen übergreifende positive gemeinsame Erlebnis ermöglichte. Schuberts variantenreiche Strophenlieder wurden von ihm differenziert mitgestaltet; seine sichere Unterstützung ließ auch das Fehlen zweier Strophen von An den Mond (absichtlich oder versehentlich) untergehen. Beide Künstler bedankten sich für den begeisterten Applaus mit der Forelle und dem jodelnden Schweizerlied, das ebenfalls eine Goethe-Vertonung Schuberts ist, wie Mauro Peter zu seinem „Gruß aus der Heimat“ anmerkte. (ME)

In diesem Jahr spielt das Quatuor Modigliani (Amaury Coeytaux, Loic Rio, Laurent Marfaing, Francoix Kieffer) während der verschiedenen Phasen der Schubertiade zwischen April und August in insgesamt fünf Konzerten sämtliche Streichquartette und das Streichquintett von Franz Schubert. Am Vormittag des 19. Juni waren die frühen Quartette D 68 und D 94 sowie das letzte Quartett D 887 an der Reihe. Es begann mit dem D-Dur-Quartett D 94, das Schubert als 14-/15-Jähriger komponiert hat. Bereits bei diesem Jugendwerk erwiesen sich die Vorzüge des noch jungen französischen Quartetts wie technische Perfektion, selbstverständliches Zusammenspiel und eine auffallende Gleichwertigkeit der vier Instrumentalisten. So stellten sie die dramatischen Passagen im Eingangssatz ebenso überzeugend heraus wie die Einfachheit des Andante, die Akzente des Menuetto mit dem hübschen Trio und die schon eigenwillige Rhythmik des Finalsatzes. Vom kompositorisch eher schlichten B-Dur-Quartett D 68 existieren nur zwei 1813 entstandene Sätze, die mit ihren bereits orchestralen Effekten einige Virtuosität forderten, mit der das Quartett natürlich keine Probleme hatte.

Als Reaktion auf Beethovens spätes Quartett op.130, uraufgeführt am 21. März 1826, gilt Schuberts letztes Streichquartett G-Dur D 887, das er in der unglaublich kurzen Zeit von elf Tagen zwischen dem 20. und 30. Juni 1826 komponiert hat. Es hatte in seinem Umfang, in der komplexen, nur schwer zu erschließenden Struktur auf seine Zeitgenossen irritierende und geradezu verstörende Wirkung. Das hat sich gegeben, denn das in jeder Beziehung anspruchsvolle Werk ist inzwischen bei Kritikern und dem Publikum sehr beliebt. Im Eingangssatz verdeutlichte das Quatuor Modigliani mit mehreren Soli jedes Spielers die wunderschönen echt Schubertschen melodischen Passagen und verdeutlichte mit den vielen Tremoli die Nähe zum späten Beethoven. Im Andante kam der Wechsel vom eher naiven Hauptthema (tolles Cello-Solo!) zur dunkel drohenden Dramatik wirkungsvoll zur Geltung. Das flotte Scherzo mit seinem friedlichen Mittelteil (Allegretto) leitete ins Finale über, das in rasantem Tempo präsentiert wurde. Bei aller Anerkennung des streicherischen Könnens und der großen Virtuosität der Musiker war ihnen das doch zu schnell geraten. Denn infolge der Rasanz gingen so manche Einzelheiten verloren, so dass man froh war, zwischendurch die kompositorischen Ruhepunkte genießen zu dürfen. All dies tat der Begeisterung über die insgesamt imposanten Leistungen des Quartetts keinen Abbruch, was sich auch im tosenden Beifall des enthusiasmierten Publikums zeigte. Als Zugabe gab es ein ruhiges Andante, natürlich von Schubert. (GE)

Mit dem Liederabend des 19. Juni gaben sowohl die Schweizer Sopranistin Regula Mühlemann als auch ihre russische Begleiterin am Flügel Tatiana Korsunskaya ihr erfolgreiches Debüt bei der Schubertiade. Die Sängerin, die sich schon länger im Opernbereich als Mozart-Sängerin einen Namen gemacht hat, bewies nun, dass sie auch die kleine Form des intimen Liedes gut beherrscht. Wirkte sie bei den Schubert-Liedern noch nicht durchweg frei und natürlich, so wurden die Schumann-Lieder nach der Pause zum reinen Genuss. Mit Schuberts Im Frühling als Einstieg zeigte Regula Mühlemann gleich, wie ebenmäßig bis in die Höhe die Stimme durchgebildet ist, wie gut sie meist artikulieren kann – was bei einer Sopranistin durchaus nicht selbstverständlich ist – und dass sie über ein sicheres Legato verfügt. Nach der entzückenden Blumensprache war mir der hoffnungsfrohe Frühlingsglaube ohne inneres Pulsieren zu ruhig genommen. In dem lebhafteren Versunken dagegen bestachen die weich und zart in leichte Bögen eingebundenen Spitzentöne. Gestalterische Höhepunkte dieser Gruppe waren Suleika I und II, sowie das selten so intensiv erlebte Gretchen am Spinnrade. Bei den Schumann-Liedern schien die Sängerin noch einmal aufzublühen mit dem aufjubelnden Er ist’s über das stark interpretierte Lied der Suleika und das innige Die Blume der Ergebung bis zu dem charmant präsentierten Singet nicht in Trauertönen. Die ebenfalls in der Schweiz lebende Pianistin und Professorin Tatiana Korsunskaya war der Sängerin mehr als nur eine unterstützende Begleiterin. Sie ging auf alle Nuancen ein, gab aber den Liedern auch eigene Impulse mit. Von ihren guten, auf den Gesang vorbereitenden Einleitungen fiel ganz besonders die zu Suleika I auf, in der sie die Fragestellung der Sängerin wunderbar vorwegnahm; die einzelnen Strophenübergänge waren passend intensiv. Auch das Tempo zu Aufträge war sicher getroffen, so dass das Lied heiter duftig vorüber zog. Beide Künstlerinnen waren offensichtlich mit Lust und Liebe zum Gesang dabei. Begeisterter Applaus des dankbaren Publikums forderte zwei Zugaben heraus: Mendelssohns Blumenstrauß und Schuberts Forelle. (ME)

Ein besonderes, wenn nicht das Highlight der Juni-Schubertiade war für mich das Oktett F-Dur D 803 von Franz Schubert. Es wurde am Nachmittag des 20. Juni vom britischen Elias String Quartet (Sara Bitlloch, Donald Grant, Simone van Giessen, Marie Bitlloch) gemeinsam mit dem Niederländer Lars Wouters van den Oudenweijer (Klarinette), den Engländern Robin O’Neill (Fagott) und Alec Frank-Gemmill (Horn) sowie dem schon seit 1982 bei der Schubertiade auftretenden Wiener Kontrabassisten Alois Posch mit offensichtlicher, überbordender Spielfreude musiziert. Mit den genannten Musikern waren durchweg vorzügliche Könner ihres Instruments am Werk; da das Streichquartett nicht ständig mit dem Bassisten und den drei bei der Schubertiade debütierenden Bläsern zusammen probt, war es höchst erfreulich, wie perfekt das gemeinsame Spiel gelang. Jede und jeder schien ständig auf die anderen zu hören und befestigte das durch Blickkontakte, so dass an diesem Nachmittag ein beglückendes Musizieren entstand. In allen sechs Sätzen gab es meisterhaft gespielte Soli von fast allen, die von den anderen mit ihren Begleitstimmen sozusagen getragen wurden. Als Beispiele für die rundum gelungenen Ausdeutungen seien genannt das in sich ruhende Adagio, das temperamentvoll gespielte Scherzo mit dem lyrisch schwelgenden Trio, das Andante mit seinen abwechslungsreichen sieben Variationen (hier wieder glänzende Soli) und das vielschichtige wirbelige Finale, das nach heftig drohender Einleitung im Andante molto zu dem im Ganzen unbeschwerten Abschluss-Allegro fand.

Das Konzert wurde mit einer gediegenen Darbietung des Streichquartetts a-Moll op. 13 von Felix Mendelssohn Bartholdy eröffnet. Das Elias String Quartet nennt sich nach Mendelssohns Oratorium und ist offenbar für dessen Werke auf besondere Weise prädestiniert. Das war der eindrucksvollen Interpretation anzumerken, wenn ständig eine wunderbar klangintensive Stimmung erzeugt wurde. So gelang im Mittelteil des serenadenhaften Allegretto die Wiedergabe des Spuks wie im Sommernachtstraum, kurz vor dem Quartett komponiert, aufs Beste. Im Schlussatz machten die Künstler deutlich, wie sehr Mendelssohn sich in diesem Quartett mit Beethovens spätem Streichquartett op. 132 auseinandergesetzt hat: Manche der Themen aus den vorangegangenen Sätze werden kunstvoll verarbeitet, bis zum Schluss der rezitativische dramatische Anfang des Quartetts, der an den Beginn von op. 132 gemahnt, wieder auftaucht, so dass das Werk in sich abgerundet schließt. Freundlicher Applaus, der sich nach dem Schubert-Oktett zu Ovationen steigerte, belohnte alle Mitwirkenden. (GE)

Am Abend des 20. Juni debütierte Patrick Grahl mit Schuberts Die schöne Müllerin.

Der junge Tenor präsentierte die letztlich traurig endende Geschichte vom unglücklich verliebten Müllerburschen mit den verschiedenen Stimmungslagen schon erstaunlich reif gestaltend. Mit entscheidend waren dabei seine ausgezeichnete Diktion und die technisch sauber und flexibel geführte lyrische Stimme, deren gestützte Piani bei Echo-Effekten und Höhen besonders positiv auffielen. Das begann schon gleich mit dem Wandern, das Grahl frisch und beherzt anging, und zog sich weiter durch den ganzen Zyklus. Ein besonderes Highlight war für mich der sehr lyrische Neugierige, ein Versprechen für die weitere Entwicklung der Stimme. Im innigen Morgengruß waren die Strophen sehr fein differenziert, im Tränenregen die Stimmung besonders gut eingefangen. Grenzwertig schnell im Tempo war die Deklamation des Jägers, um den Text voll zu erfassen. Dass Grahl über eine große Farbpalette verfügt, wurde speziell in Eifersucht und Stolz deutlich und beim Anschlagen extrem fahler Töne in Die liebe Farbe. Trockene Blumen gewannen in der Darbietung durch leicht wechselnde Tempi und interpretatorische Pausen.

Eindrucksvoll gelang auch das Gespräch Der Müller und der Bach, bevor Grahl mit dem todtraurigen Des Baches Wiegenlied einen weiteren Höhepunkt setzte. Kleinigkeiten wie z.B. wenige zu stark betonte Endsilben, die noch nicht selbstverständlich genug klangen, beeinträchtigten den sehr guten Gesamteindruck kaum.

Der versierte Daniel Heide am Flügel gab dem Sänger durchweg sicheren Halt. Mit Richtung und Tempo weisenden Einleitungen bereitete er den Boden für die nuancenreiche Gestaltung des Sängers, wie z.B. in Feierabend, Ungeduld oder Mein!. In Tränenregen lieferte er glänzende Übergänge zwischen den Strophen; mit dem leisen Murmeln von Wohin? über die Attacke in Mein? bis zum sanften Verklingen im Baches Wiegenlied gab Heide das gleichmäßige Fließen in der Natur variantenreich wieder.

Die lange Pause nach dem letzten verklungenen Ton zeigte, wie stark betroffen das Publikum von dieser eigenständigen Interpretation des Zyklus war: Lange anhaltender Applaus dankte beiden Künstlern für diese erfüllende gute Stunde. (ME)

Marion und Gerhard Eckels, 22. Juni 2022

Fotos: Schubertiade