Dresden, Konzert: „Mahler 2.“, Sächsische Staatskapelle unter Daniele Gatti

Seit langer Zeit wurde das Palmsonntagskonzert der Sächsischen Staatskapelle am 13. April 2025 wieder einmal vom Chefdirigenten des Orchesters geleitet. Der 1827 vom damaligen Hofkapellmeister der italienischen Oper Francesco Morlacchi (1784-1841) gestiftete „Unterstützungsfonds für die Witwen und Waisen ehemaliger Musiker“, der aus dem Ertrag eines am Palmsonntag zu veranstaltenden Konzertes zu finanzieren war, hatte zu dieser Tradition geführt. Ob Morlacchi mit dem Beginn der Karwoche als Termin seines Palmsonntags-Stiftungskonzertes eine Verbindung mit der Auferstehung Jesu gesehen hat, ist nicht nachweisbar. Möglicherweise hatte er vor allem die wirtschaftliche Not in den Familien der ehemaligen Musiker im Hinblick auf das bevorstehende Osterfest mildern wollen.

Dass Gustav Mahler einen derartigen Zusammenhang im Blick hatte, als er seine zweite Symphonie schuf, ist zumindest im Hinblick auf die zeitlich gestreckte Entstehung fraglich. Beim Finalsatz aber wäre die Frage nach einer gedanklichen Verbindung zur Karwoche schon angebracht.

Nachdem Gustav Mahler im Jahre 1886 in Leipzig seine „Symphonische Dichtungen“, die er später zur 1. Symphonie überarbeitete, komponiert hatte, begriff er, dass er auch als Symphoniker der Musikwelt etwas zu sagen habe. Noch bevor Mahler Leipzig im Mai 1888 fluchtartig verlassen musste, hatte er auf Drängen seiner Muse Marion von Weber (1857-1931) neben der Komposition seines ersten der Wunderhornlieder die Skizze für ein symphonisches Werk mit der Überschrift „Todtenfeier“ entworfen. Der Titel, insbesondere die außergewöhnliche Schreibweise, ist entstanden, als sich Mahler von einer Übersetzung des Dramenzykluses „Dziady“ des polnischen Schriftstellers Adam Mickiewicz (1798-1855) besonders beeindrucken ließ. Die Zeit, vom Rausschmiss in Leipzig bis zum Antritt seiner Operndirektorenstelle in Budapest nutzte Gustav Mahler in der Stadt seiner Kindheit und Jugend Jihlava (Iglau), betreut und getröstet von Teilen der Familie, den Liebesschmerz in die komplexen musikalischen Strukturen der Komposition zu transformieren. Zunächst hatte er die „Todtenfeier“ als ein eigenständiges Werk der Musikwelt vorstellen wollen, aber ein Versuch im Jahre 1891 in Lübeck, hatte selbst bei seinen Mentor Hans von Bülow (1830-1894) nur Ablehnung zur Folge gehabt. Die Arbeiten als Opernchef in Budapest mit ihren politisch-künstlerischen Auseinandersetzungen und Machtkämpfen ließen Mahler kaum Zeit zu einer Überarbeitung. Denn erst im Sommer 1893, da war Mahler bereits als Erster Kapellmeister an das Stadttheater Hamburg gewechselt, entschied er, die „Todtenfeier“ als Kopfsatz „Allegro maestoso“ einer zweiten Symphonie zu nutzen. Während seines Ferienaufenthaltes in Steinbach am Attersee arbeite er umgehend an einem zweiten, dem Andante-Satz. Eine zwischendurch entstandene Klavier-Vertonung des Wunderhorn-Liedes von des Antonius Fischpredigt erweiterte Mahler in der Folge zu einem großen „Scherzo“, dem späteren dritten Satz. Möglicherweise wollte er mit diesem Stoff das Publikum seiner Zeit ob dessen Zurückhaltung auch provozieren.

Den Sommeraufenthalt des Jahres 1894 nutzte Mahler zunächst für die Ausarbeitung des vierten Satzes, indem er mit der Wunderlied-Vertonung des „Urlicht-Liedes“ die menschliche Stimme dem symphonischen Apparat hinzufügte und einen Choral für eine Altstimme gestaltete.

Aber irgendetwas fehlte, selbst wenn er die Sätze Hin und Her tauschte. Da erinnerte sich Mahler, dass ihm bei der Totenfeier Bülows im März 1894 ein von großem Chor vorgetragenen Gesang besonders beeindruckt hatte. Der Text des einfachen Kirchenliedes war von Friedrich Gottlieb Klopstock (1729-1803). Der Dichter und „Hauptvertreters der Empfindsamkeit“ hatte im Text des Liedes vor allem auch seiner eigenen Auferstehung nach dem Tode Hoffnung verliehen. Diesen Gedanken nahm Mahler im Urlaubsort für sich auf und fügte, um sicher verstanden zu werden, den Versen Klopstocks einige eigene Zeilen zu. Statt des schlichten Liedes komponierte Mahler sein grandioses „Auferstehungs-Finale“ indem er sich gegen Ende von einer Sopranistin, einer Altistin und dem Chor seiner Auferstehung nach dem Tode Gewissheit verschaffen ließ.

Nun war die Sache zumindest für Gustav Mahler rund: der dramatische Faden führte von der Liebesschmerz-„Todtenfeier“ über das transzendierende „Urlicht“ bis zur letztendlichen Hoffnung auf „Auferstehung“. Somit konnte er das Konglomerat als seine Nummer zwei in das Repertoire der Konzertsäle der Welt entlassen.

Mit dem Erlebnis des 9. Symphoniekonzertes der Staatskapelle und Gustav Mahlers zweiter Symphonie fühlte man sich als Besucher von den Unmöglichkeiten unserer derzeitigen Welt regelrecht befreit. Man spürte, dass zwischen Mahlers Gedankenwelt und der Gattis eine große Übereinstimmung existierte. Der Dirigent sich aber auch der Inkonsistenz des Werkes bewusst war. Mit seiner Konzentration auf das Innere des raffiniert gestalteten musikalischen Prozesses hatte doch Daniele Gatti die Risiken, die der Komponist bezüglich seines differenzierten Spannungsaufbaus eingegangen war, perfekt umgesetzt.

Bereits mit dem spannungsgeladenen Tremolando zwischen den Celli und den Bässen am Beginn des ersten Satzes trieb uns Gatti in die Pracht der Klänge von Mahlers musikalischen Höhenflügen und zur „Todten-Feier“.

Dem „Allegro maestoso“ folgte ein tänzerisch-pastorales „Andante moderato“ mit wundervoll warmem Orchesterspiel und wenigen exzellenten Soli. Das von den Trompeten der Staatskapelle instrumental interpretierte Wunderhorn-Lied des „Antonio von Padua“ war mit der richtigen Energie geboten.

Die beiden letzten Sätze waren diejenigen, die Mahlers Musik in einen eigenen Olymp hoben und der Gesang den Abend zu seinem Höhepunkt lenkte. Als das Urlicht begann zu flackern, verbreitete sich die Magie von Mahlers Werk. Der gefühlvoll wohltemperierte und vollmundige Mezzo-Sopran der Christa Mayer hob den Abend im Zusammenklang mit der Solo-Oboe der Céline Moinet auf eine höhere emotionale Ebene. Die eigentümlich schwebende Atmosphäre vom „Urlicht“ könnte kaum stimmungsvoller eingefangen werden.

Lodernd-feurig ging es dank des einpeitschenden Dirigats im abschließenden Satz weiter. Dabei erwies der Staatsopernchor wieder einmal sein außerordentliches Können. Abgerundet wurde der Chor vom verklärenden Doppelgesang r Christa Mayers mit dem glockenhellen Sopran der spanischen Sopranistin Rosalia Cid.

Das Finale erfüllte das Versprechen von himmlischer Erlösung, als der Chor nach der Weltuntergangs-Fuge erst leise einsetzte, um sich dann bis zum erschütterten Lobgesang zu steigern, fanden sich prachtvoller Gesang mit dem von Klanggipfel zu Klanggipfel forcierendem Orchesterverband zusammen.

Kein Wunder, dass der Saal enthusiastisch reagierte und das Publikum sich mit langanhaltendem Beifall bedankte.

Thomas Thielemann 14. April 2025


Gustav Mahler: Symphonie Nr. 2 c-Moll „Auferstehungssymphonie“

Palmsonntagskonzert der Sächsischen Staatskapelle
13. April 2025 in der Semperoper Dresden

Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Daniele Gatti, Dirigent
Sächsische Staatskapelle Dresden