Dresden: „Norma“

Die Priesterin verlässt das Büro

Aufführung 23.10.21

Mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen will Norma ihre Schuld sühnen. Als Priesterin hat sie ihr Keuschheitsgelübde gebrochen und aus der illegalen Verbindung mit dem Römer Pollione zwei Kinder geboren. In Peter Konwitschnys Neuinszenierung von Bellinis Melodramma an der Semperoper ist sie in der Finalszene die Direktorin eines Konzerns im grauen Hosenanzug, ordnet ihren Schreibtisch und packt Akten, persönliche Dinge und einen Blumentopf in einen Pappkarton vom NORMA-Großmarkt, mit dem sie, Adalgisa an der Hand, die gläserne Halle verlässt. Einmal mehr sieht man hier eine Inszenierung, welche die Handlung in lächerlicher Manier profaniert. Das beginnt schon in der Eingangsszene im Hain der Druiden, wo zwischen mächtigen kahlen Baumstämmen gelbbezopfte Männer mit Stöcken gegeneinander kämpfen und dabei als eine tölpelhaft beschränkte Meute verzeichnet sind (Ausstattung: Johannes Leiacker). Ihr Oberhaupt Oroveso, den Liang Li mit körnigem, voluminösem Bass singt, ist gleichfalls zur lächerlichen Karikatur verkommen. Ein groteskes Erscheinungsbild gibt auch Norma ab, die mit ihren blonden Zöpfen wie aus Hänsel und Gretel ausgeborgt scheint. Für ihre Auftrittskavatine wird sie in einem Korb von oben herabgelassen – bei erleuchtetem Saal (ein sattsam strapaziertes Stilmittel des Regisseurs) lässt Yolanda Auyanet in ihrem für die Partie zu hellen Sopran Charakter und Gewicht vermissen. Die spanische Sopranistin verstört zudem mit einer schmerzend grellen Höhe und zeigt sich überfordert bei der Cabaletta mit deren Tessitura und virtuosem Anspruch. In den lyrischen Teilen der Titelfigur, ihren wehmütigen Erinnerungen an das Glück mit Pollione, ist der stimmliche Eindruck günstiger. Die Duette mit Adalgisa zählen zu den gelungenen Momenten der Aufführung am 23. 10. 2021, denn Stepanka Pucalkova ist eine Idealbesetzung mit ihrem kultivierten, jugendlichen Mezzo, der sich perfekt mit dem Sopran der Titelheldin verblendet. Normas Behausung fährt als niedriger Raum mit Sofa und Wickeltisch aus der Unterbühne herauf. Das erste Duett der beiden Frauen, „Ah! si, fa core“, wird szenisch illustriert vom Windeln der Babys, das zweite, „„Mira o Norma“, ist in der gläsernen Halle des Konzerns eine alberne Orgie, wenn die beiden Frauen sich betrinken und herum torkeln, im Überschwang der Gefühle auf dem Boden wälzen und den Kinderwagen hin und her rollen lassen.

Da auch Adalgisa blonde, im 2. Akt überraschend rote Zöpfe trägt, nimmt sich Pollione mit natürlichem Haar erstaunlich normal aus. Marcelo Puente bleibt ihm allerdings darstellerisch ein markantes Profil schuldig. Der argentinische Tenor imponiert mit metallisch glänzenden Spitzentönen. In der Mittellage klingt die Stimme mehrfach belegt und gequält. Mit Adalgisa muss er sich ein lächerliches Versteckspiel hinter Baumstämmen liefern, mit Norma die entscheidende Auseinandersetzung („In mia man“) als lapidare Konversation am Büroschreibtisch abhandeln. Auyanet bleibt in dieser zentralen Szene stimmlich harmlos, ihr Ton entbehrt der Bedrohlichkeit. Der Sächsische Staatsopernchor Dresden (Einstudierung: André Kellinghaus) kann dagegen als geklonte Masse mit gelben Haaren im „Guerra, guerra!“-Chor an der Rampe fulminant auftrumpfen. Die Besetzung komplettieren zuverlässig Roxana Incontrera als Clotilde und Jürgen Müller als Flavio. Gaetano d’Espinosa sorgt mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden für einen farbenreichen Orchesterklang. In der Sinfonia setzt er auf einen dramatisch-stürmischen Impetus, der gelegentlich sogar verhetzt wirkt, aber er legt auch Wert auf die langen elegischen Bögen, auf Bellinis „melodie lunghe“.

Bernd Hoppe, 27.10.21

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