CD: „Vier letzte Lieder“, Richard Strauss

Die aktuell international nachgefragte Sopranistin Rachel Willis-Sørensen hat sich mit ihrer aktuellen CD-Neuveröffentlichung dem Werk von Richard Strauss gewidmet. Damit begibt sich in das Terrain größter Interpretinnen. Von daher stellt sich die Frage nach der Daseinsberechtigung für ein solches Dokument. Die vier letzten Lieder sind die letzten Vokalwerke von Richard Strauss. Sie geben der von ihm so geliebten Sopranstimme beste Gelegenheit, sich stimmlich optimal zu entfalten und den herrlichen Worten der Texte von Eichendorff und Hesse tiefe Bedeutung zu geben. 

Rachel Willis-Sørensenversteht dieses späte Werk als „Parabel für das Leben“. Ein eher ungewöhnliches Verständnis, da doch die Texte eher auf Abschied und Tod hinweisen. Wie dem auch sei, mit dieser Auffassung singt die Sopranistin diese vier vokalen Edelsteine. Rachel Willis-Sørensen bietet eine kraftvolle, abgedunkelte Sopranstimme, die gut textverständlich die Lieder intoniert und sich dabei vorwiegend auf schöne, imposante Töne konzentriert. Allerdings ist damit auch bereits ein Fazit gezogen. Es ist bedauerlich, dass ihr Vortrag dynamisch derart eindimensional angelegt ist. Stimmtechnik und korrekte Intonation stehen bei ihr im Vordergrund. Leider bleiben Textgestaltung und dynamische Abschattierungen jenseits des reichen Forte-Gebrauchs komplett ausgespart. Die aufgeworfenen Fragen und Naturbeschreibungen wirken lediglich reproduziert. Eine aus dem Textgehalt abgeleitete Sinnhaftigkeit im stimmlichen Erlebensklang gibt es hier nicht.

Rachel Willis-Sørensen hat eine eindrucksvolle Stimme und alles, was sie dazu prädestiniert, einen besonderen Vortrag zu gestalten. Auf dieser CD bleibt es beim Versprechen. Schöne Töne im üppigen Stimmklang. Wer mehr hören möchte, vor allem, was hinter den Noten steht, der muss sich an Sängerinnen der Vergangenheit orientieren.

Der Dirigent Andris Nelsons hätte hier genauer mit ihr arbeiten müssen. Aber auch von ihm gehen keinerlei Impulse aus. Im Gegenteil. Sehr gebremst und häufig bleiern kommen seine Tempi daher. So wählt er für „Beim Schlafengehen“ ein derart verschlepptes Tempo, dass der Aufgang der Stimme einer Bergbesteigung ähnelt. Zudem bleibt auch sein Dirigat viel zu sehr an der Oberfläche, gestaltet zu wenig und reduziert das Orchesterspiel des warm tönenden Gewandhausorchesters Leipzig auf reine Begleitfunktion, dass es schmerzt. Zum Vergleich sei an die legendäre Einspielung mit Jessye Norman und Kurt Masur erinnert. Sowohl vom Ausdrucksgehalt als auch vom Dirigat mit dem Gewandhausorchester liegen Welten zwischen den beiden Einspielungen.

Rachel Willis-Sørensen ist in erster Linie Bühnensängerin. Dies wird in den Auszügen aus dem „Capriccio“ von Richard Strauss deutlich. Hier wirkt ihr Vortrag differenzierter und farbiger. Hier und da schleichen sich jedoch Härten in den Stimmklang ein, weil mitunter die Dynamik forciert wurde. Andris Nelsons begnügt sich auch hier allzu deutlich mit der Rolle des orchestralen Stichwortgebers, was viel zu wenig ist. Das Gewandhausorchester Leipzig spielt tadellos, ertönt aber interpretatorisch unterfordert.

Die Aufnahmetechnik meint es mit der akustischen Dominanz der Sängerin zu gut und erreicht das damit das Gegenteil. Die Stimme wirkt in der Raumakustik zu isoliert und zu wenig in den Orchesterklang eingebunden. Dies wirkt unvorteilhaft für die Sängerin und ebenso für das erstaunlich mager klingende Orchester. Als Zuhörer wähnt man sich gelegentlich in der Mundhöhle der Sängerin zu sitzen, was nicht angenehm ist. Und das Orchester wirkt klanglich viel zu entfernt.

Leider enttäuschend.

Dirk Schauß, 22. März 2023


Richard Strauss

Vier letzte Lieder

Capriccio – Mondscheinmusik und Finale

Rachel Willis-Sørensen, Sopran

Gewandhausorchester Leipzig

Andris Nelsons, Leitung

Sony Classical, 194 399 217 22