Münster: Peter Gülke dirigierte Werke von Rudi Stephan, Beethoven und Schumann

Jung Beum Sohn (Klavier)

Am 4. März 1983 besuchte der Verfasser eine Aufführung des Fidelio in der Hamburgischen Staatsoper, wie sie damals noch hieß. Die musikalische Leitung hatte der ihm bisher nicht bekannte Peter Gülke. Am nächsten Morgen las man im Hamburger Abendblatt, der Chefdirigent der Weimarer Oper, Peter Gülke, sei nicht in die DDR zurückgekehrt. Im Westen machte er als Dirigent (u.a. GMD in Wuppertal) und Musikwissenschaftler (u.a. in Bochum) Karriere und war zugleich als Schriftsteller erfolgreich. Heute lebt er wieder in Weimar und ist Chefdirigent der Brandenburger Symphoniker. Jetzt kam er nach Münster, um als Gastdirigent mit dem Sinfonieorchester Münster zu musizieren.

Zu Beginn spielten sie ein für den regelmässigen Konzertbesucher besonders interessantes weil selten gespieltes Stück, die Musik für Orchester in einem Satz aus dem Jahre 1912 des hochbegabten mit 28 Jahren im ersten Weltkrieg gefallenen Rudi Stephan. Unter für Orchesterversteht der Komponist auch, daß es sich um ein im Sinne der Spätromantik grosses Orchester mit u.a. etwa Kontrabaß-Tuba, Baßklarinette, aber auch grossem Schlagwerk handelt. Ganz grüblerisch etwa Richard Wagner entfernt nachempfunden begann es langsam und gedehnt mit Celli und Kontrabässen und einem Bläsermotiv, das später wiederkehren sollte. Es folgte dann lebhaft ein sehr punktiert gespieltes erst absteigendes dann wieder aufsteigendes Motiv, das auch später weiter entwickelt wurde. So blieb es ohne symphonische Durchführung im traditionellen Sinne beim Wechsel von gemäß Tempoangaben langsamen und lebhaften Abschnitten. Unter der Bezeichnung breit gab es eine choralartige Steigerung, auf die nach einem gewaltigen Beckenschlag wieder unter lebhaft ein Fugato der Bläser etwa im neoklassizistischen Sinne folgte. Immer wieder wurde gemäß den Anweisungen des Komponisten mit größtem Ausdruck gespielt. Für die vielen Solo-stellen seien stellvertretend die Violin-Soli von Mihai Ionescu gelobt. Das kurze Werk schloß mit einem hymnischen Marsch – bezeichnet als sehr breit, sodaß das Publikum auf das weitgehend unbekannte Werk mit kurzem intensiven Applaus reagierte.

Es folgte dann ein umso bekannteres Werk von Ludwig van Beethoven – in diesem Jahr konzerttägliches Muß – nämlich dessen viertes Konzert für Klavier und Orchester in G-Dur op. 58. Den Solo-Part spielte der koreanische in München und Münster ausgebildete erfolgreiche Nachwuchspianist Jeung Beum Sohn, der bereits als erster Preisträger des ARD-Musikwettbewerbs 2017 bekannt wurde. Beim einleitenden lyrischen Solo klang das Klavier wie auch später an sensiblen Stellen etwas knallig, das mag aber auch an der Akustik der dritten vorderen Reihe gelegen haben, in der der Verfasser das Konzert verfolgte. Danach glänzte der Pianist mit expressiven Melodiebögen, schillernden Trillern und perfekten chromatischen Läufen. Dies galt zusätzlich für lyrische Abschnitte mit passenden Ritardandi in der längeren der beiden von Beethoven stammenden Kadenzen, die der Pianist ausgesucht hatte. Großartig gelang im kurzen umso eindrucksvolleren zweiten Satz der Kontrast zwischen dem markanten punktierten Motiv der Streicher – sehr entschieden vorgetragen – und dem lyrischen Thema das Klaviers, das hier auch sehr kantabel und gar nicht mehr knallig klang. Angeblich soll es ja akustisch darstellen, wie Orpheus mit seinem Gesang die Furien der Unterwelt zähmt. Im abschliessenden Rondo vivace konnte der Pianist dann vor allem seine virtuosen Fähigkeiten hören lassen. Bei den nicht zu hastigen Tempi begleiteten Dirigent und Orchester zuverlässig, ausdrucksvoll in den lyrischen Passagen rhythmisch pointiert besonders im letzten Satz, der mit kraftvollem Schluß endete. Da gab es reichlich Applaus, für den sich der Pianist ohne Ankündigung mit der Etüde op. 25 Nr. 1 von Frédéric Chopin als Zugabe bedankte.

Unter dem Titel Glück und Elend der Romantik hat Peter Gülke ein Buch über Robert Schumann verfaßt. Dies gilt auch für dessen zweite, chronologisch eigentlich dritte, Sinfonie in C-Dur op. 61, mit der das Konzert endete. Bewundernswert wurde hier die langsame Einleitung des ersten Satzes mit dem Fanfarenmotiv und die Überleitung zum schnelleren Allegro gestaltet. Auch dank der exakten Zeichengebung des Dirigenten traf das Orchester die häufigen trotzigen sforzati auf unbetonten Taktteilen , um dann con fuoco den ersten Satz zu beenden.

Im folgenden Scherzo glänzten die Streicher, insbesondere die ersten Geigen, mit schnellen immer wiederholten Sechzehntel-Motiven. Diese rahmten in der fünfteiligen Struktur des Satzes zwei etwas ruhigere Trios ein, in denen insbesondere die Holzbläser ausdrucksvolles Spiel hören liessen. Als einen Höhepunkt gestalteten Dirigent und Orchester den langsamen dritten Satz Adagio espressivo, dessen ausdrucksvolles kantables Hauptthema wohl J.S. Bach´s Musikalisches Opferzitiert. Zitiert wird auch im kraftvollen Finale. Neben dem Fanfarenmotiv aus dem ersten Satz und dem gesangvollen Motiv des langsamen Satzes war – wiederum passend zum Jubiläum – deutlich ein Motiv Beethoven´s in den Holzbläsern zu hören, das dieser zum Text „Nimm sie denn hin meine Lieder“ verwandte. Die Sinfonie wurde dann vom gesamten Orchester aber vor allem durch die Pauke zum prächtigen C-Dur-Abschluß gebracht.

Da reagierte das Publikum im vollbesetzten Theater mit langem Applaus für Orchester und den Gastdirigenten.

Sigi Brockmann 12. Februar 2020

Fotos Sigi Brockmann