In der berühmtesten und letzten seiner Sinfonien hat Camille Saint-Saëns den Einsatz der Orgel effektvoll hinausgezögert: Erst nach 350 Takten legt sie ein sattes, aber fein gewobenes Klangfundament für das Adagio aus, bevor sie dann im zweiten Teil mit wuchtigen Akkorden das Maestoso einleitet und das Tutti ins überwältigende Finale dieser Ausnahmesinfonie führt. Die Organistin Mirjam Wagner und das fantastisch disponierte Akademische Orchester Zürich unter der magistralen Leitung von Lukas Meister blieben diesem gewaltigen Werk von Saint-Saëns nichts an differenziert ausgestalteter Wirkung schuldig, das war schlicht hinreißend musiziert. Von der langsamen, von Oboe und Flöte wunderschön ausgestalteten Introduktion über den an Schumanns „Rheinische“ gemahnenden, jubelnden Allegro moderato Teil, mit den plastisch herausgearbeiteten diversen musikalischen Motiven, die klar artikuliert und nie zu lärmig oder zu massig gespielt wurden, spannte sich der Bogen zum beseelten Adagio mit dem erwähnten Einsatz der Orgel, mit den sich über das Orgelfundament celestial erhebenden Violinen, führte weiter zum hervorragend akzentuierten, diabolischen Scherzo und mündete schließlich ins majestätisch-grandiose Finale, mit einer sich hochschraubenden klanglichen Ekstase. Der verdiente Jubel des Publikums kannte kaum Grenzen, das Orchester und die Organistin bedankten sich (und beschenkten das Publikum) mit einer unglaublichen Zugabe: Saint-Saëns‘ überwältigende Komposition Cypres et Lauriers (zur Feier des Endes des Ersten Weltkriegs 1919 komponiert und am 11. Juli 1919 in Ostende uraufgeführt). Daraus spielten das Akademische Orchester Zürich und Mirjam Wagner an der Orgel den zweiten Teil, LAURIERS (der erste Teil CYPRÈS wäre für Orgel solo). Dieses mit Triolen-Fanfaren der Trompeten und berauschenden, choralartigen Orgelklängen gespickte Werk mit der virtuosen Orchestrierungskunst von Saint-Saëns gewürzt, bildete einen erhebenden und begeisternden Abschluss eines grandiosen Konzerterlebnisses.
Das klug zusammengestellte Programm aus Werken der Spätromantik, die innerhalb von drei Jahrzehnten entstanden waren, begann mit der flirrenden Komposition der viel zu früh verstorbenen Lili Boulanger. Quasi auf ihrem Sterbebett komponiert, evoziert das Scherzo artige Nocturne mit seiner glanzvollen Orchestration einen leicht melancholisch-impressionistisch angehauchten Tanz, mit federndem Duktus und bestechender klanglicher Transparenz dargeboten vom Akademischen Orchester unter der Leitung von Lukas Meister, der den leicht verschatteten, tänzerischen Charakter des kurzen Stücks mit wunderbarer Transparenz klar herauszuarbeiten vermochte.
Quasi zur gleichen Zeit wie Lili Boulanger ihre Komposition orchestrierte, war Edward Elgar mit seinem Cellokonzert beschäftigt. Elgar befand sich nach seinen riesigen Erfolgen mit den Enigma-Variationen, den Pomp an Circumstance Märschen, den beiden Sinfonien, den Tondichtungen und anderen populären Werken nach dem Ersten Weltkrieg in eher verhaltener, düsterer Stimmung. Dies merkt man seinem Cello-Konzert an. Nur selten, dafür umso stärker einfahrend, blüht der schwelgerisch-spätromantische „Elgar-Klang“ auf. Mancherorts wirkt das Konzert suchend um um Entfaltung des thematischen Materials ringend. Die junge Westschweizer Cellistin Camille Thévoz (sie wird ab September Mitglied der Cello-Gruppe der Philharmonia Zürich – dann wieder Orchester der Oper Zürich genannt – und des Orchestra La Scintilla der Oper Zürich) gestaltete mit wunderschöner und überaus warmer Tongebung dieses Ringen ums thematische Material, liess ihr Instrument mit einnehmendem Klang und herausragendem Piano-Spiel singen. Das berühmt gewordene Hauptthema des ersten Satzes, welches zuerst von den zweiten Violinen angestimmt und von der Cello-Gruppe weitergetragen wird, kommt erst dann zum Solo-Cello und erst nachdem die ersten Violinen das Thema sanft und tröstend aufgenommen haben, erklingt es herrlich aufschwingend im Orchestertutti. Diese grandiose Emphase wird vom Orchester mit direkt zu Herzen gehender Sensibilität intoniert, ohne je sentimental überladen zu werden. Dafür sorgt allein schon der zerklüftete Charakter des Endes des Kopfsatzes. Dieses Suchende setzt sich im zweiten Satz fort, wo Camille Thévoz mit brillant gespielten Läufen den Beistand des Orchesters sucht – und schließlich findet. Im romanzenartigen Adagio schimmert viel Wärme, aber auch tief empfundene Trauer auf, welche das Orchester mit einer einer wilden Introduktion des Themas des vierten Satzes zu vertreiben versucht. Aber das Solocello mahnt stets zur Reflexion. Erst nach einer kurzen, virtuos gespielten Kadenz bricht kurz mal eine Jubelstimmung durch. Aber auch sie ist von kurzer Dauer; Abschiedsschmerz scheint zu überwiegen, Motive der vorangegangenen Sätze werden brüchig miteinander verwoben, bevor das eindringliche Konzert mit dem weiterhin nach Erfüllung suchenden, klagenden Cello und drei Akkordschlägen des Orchesters abrupt schließt.

Dem Akademischen Orchester Zürich mit seinen jungen, mit Elan und Enthusiasmus und fantastischer Musikalität spielenden Musikern, der Cellistin Camille Thévoz und dem Dirigenten Lukas Meister ist eine tief empfundene Interpretation diese beim ersten Anhören etwas sperrig daherkommenden Cellokonzerts aus Elgars Feder gelungen! Doch je öfter man sich in diese Musik vertieft, desto lieber gewinnt man sie.
Kaspar Sannemann, 1. Juni 2025
Lili Boulanger: D’un matin de printemps
Edward Elgar: Konzert für Violoncello und Orchester in e-Moll
Camille Saint-Saëns: Sinfonie Nr. 3 in c-Moll
Zürich, Konzert
Tonhalle Zürich
29. Mai 2025
Mirjam Wagner, Orgel
Camille Thévoz, Cello
Akademisches Orchester Zürich
Leitung: Lukas Meister