Wenig Respekt vor Mozarts Musik – Klamauk statt Erhabenheit
Bereits nach wenigen Takten der vom Philharmonischen Staatsorchester Hamburg unter der sensiblen Leitung von Leo Hussain so weihevoll intonierten Ouvertüre entstand Unruhe in der ersten Parkettreihe. Ein älterer Mann erlitt vermutlich einen Herzanfall; er wurde von Rettungssanitätern auf einer Bahre heraus- und auf die Bühne getragen. Spätestens als er dann mit geschwächter Stimme Taminos Auftrittsphrase „Zu Hilfe, zu Hilfe, sonst bin ich verloren“ zu singen begann, wusste man, dass hier das Werk als Rückblick eines greisen Mannes auf sein bewegtes Leben erzählt wurde. Man hätte auch einen Blick auf die Anzeige der Übertitelungsanlage werfen können, denn dort stand: „Achtung, kein Notfall! Szenische Aktion in der ersten Reihe.“
Das wäre ok gewesen, zeigte jedoch meines Erachtens wenig Respekt vor Mozarts Musik. Denn durch diese Aktion verpuffte die Erhabenheit der Ouvertüre im Klamauk. So ging es dann über weite Strecken weiter: Die Drei Damen waren Nonnen (später auch Zen-Meisterinnen und dann kämpferische Amazonen in schwarzen Overalls), die Tamino wohl aus der Babyklappe gerettet hatten, ihn mit Kinderfahrrad und Fußballspiel liebevoll-verwöhnt aufzogen, ihm einen Kumpel zur Seite stellten (Papageno). Das alles war regietechnisch hervorragend gelöst und ging durch die weitgehenden Striche der gesprochenen Dialoge oder deren Neufassung auch inhaltlich einigermaßen gut auf. Die Bühne bestand aus mehreren hintereinander gelegten Pixelvorhängen, deren Leuchtdioden eine kosmische Stimmung verbreiteten. Man bewunderte die ausgefeilte Technik! So erschien Pamina als verpixelte Mädchenfigur. Papageno ließ gleich die Hose runter und begann zu masturbieren. Daraufhin wurden ihm von den Nonnen die Arme mit Klebeband an den Oberkörper gebunden und auf die Unterhosen wurde ihm ein Kreuz aus Klebstreifen gesetzt. Das war recht lustig.
Auch im weiteren Verlauf der Pubertät der beiden Jungs und während der Adoleszenz ergaben sich witzige Situationen. Geleitet wurden die beiden (und auch Pamina) von roten, tragbaren Leuchtpfeilen (für den stets pubertär agierenden Papageno waren die natürlich Penis-Symbole). Manipuliert wurden sie auch von zwei gegensätzlichen Mächten: Der Königin der Nacht und Sarastro. Die beiden traten allerdings erst ganz am Ende leibhaftig auf der Bühne auf und entschwebten gleichberechtigt auf ihren eigenen Planeten ins All. Ihre großen Arien zuvor sangen sie aus dem etwas hochgefahrenen Orchestergraben heraus. Dabei wurden sie gefilmt und ihre Gesichter erschienen wie riesenhafte Fratzen violett oder gelb verpixelt auf den Vorhängen der Bühne. Eindrücklich! Auch die Prüfungen, welche Tamino und Pamina durchlaufen müssen, führten nicht durch Wasser, Eis und Feuer, sondern auf eine Expedition zum Andromeda Nebel. Ständig flogen Sternschnuppen und Kometen über die Pixelvorhänge, das Spiel fand vorwiegend im Dunkeln oder im Halbdunkeln statt, wenn nicht gerade ein Stroboskop-Gewitter tobte oder starke Scheinwerfer das Publikum blendeten.
Eine Nähe zum Publikum entstand durch den Laufsteg rund um den Orchestergraben, den vor allem Papageno zur Interaktion mit uns Zuschauern nutzte. Auch seine Papagena fand er in der ersten Reihe des Parketts. Einige seiner neu gefassten Dialoge sprach er allerdings zu schnell, da ging manch witzige Pointe verloren. Bei „Klinget Glöckchen, klinget“ versuchte er, das Publikum zum Mitsingen zu animieren, Monostatos suchte das zu verhindern, ziemlich erfolgreich, denn am Ende der Szene konstatierte Monostatos zu Recht: “Das war erbärmlich!”
Gar nicht erbärmlich sangen allerdings die Profis auf der Bühne. Alexander Roslavets vermochte als Sarastro mit seinen bassgewaltigen Tiefen ebenso zu überzeugen wie Aleksandra Olczyk mit ihren durchdringenden Staccati-Koloraturen in der höchsten Lage. Ganz wunderbare Kantilenen strömten aus der Kehle von Adriana González als Pamina. Sehr gepflegt (ein bisschen zu leise für mein Empfinden) sang Aaron Godfrey-Mayes die Partie des Tamino. Der pubertär agierende Papageno fand in Benjamin Appl einen exzellenten Sängerdarsteller. Als sich sein warmer Bariton dann zusammen mit der wunderbar klingenden Papagena von Yeonjoo Katharina Jang im Kinderlein-Duett vereinigte, nahm er als Zeichen der Reife auch seine lächerliche Männerdutt-Perücke vom Kopf und zeigte seine normale Kurzhaarfrisur. Der Monostatos wurde als eine Art Conferencier von Peter Galliard mit weiß geschminktem Gesicht gegeben. Rassistische Wörter wie „Mohr“ wurden aus dem Text getilgt; misogyne Aussagen des Sprechers (Astronaut im All: David Minseok Kang) wie „Ein Weib taugt wenig, plaudert viel“ hingegen blieben bestehen. Die drei Damen klangen für mich etwas zu uneinheitlich, ebenso habe ich die drei Knaben schon als souveräner singend empfunden.
Jette Steckels Inszenierungskonzept hatte optisch dank Bühnenbild (Florian Lösche), Licht (Paulus Vogt) und verblüffender Technik (Video EINS[23] TV, Alexander Bunge) also durchaus faszinierende und amüsante Aspekte und war schon ein echter Hingucker. Wie schön und interessant eig1entlich die Kostüme (Pauline Hümers) für den exzellenten Chor der Staatsoper Hamburg waren, sah man erst beim Schlussapplaus. Der alte Tamino hat seinen Platz in der ersten Parkettreihe wieder eingenommen. Der Applaus mündete schnell in einen lautstarken, anhaltenden Jubel für sämtliche Beteiligten des – zu einem Großteil jungen – Publikums im ausverkauften Haus – was den alten weißen Mann nun ehrfurchtsvoll verstummen lässt!
Kaspar Sannemann, 25. Dezember 2024
Die Zauberflöte
Wolfgang Amadeus Mozart
Staatsoper Hamburg
Besuchte Vorstellung: 21. Dezember 2024
Premiere am 23. Novemer 2016
Inszenierung: Jette Steckel
Musikalische Leitung: Leo Hussain
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg