besuchte Aufführung am 10.08.2018
Spannend und bewegend
Der Untergang der „Titanic“, bei dem rund 1500 Menschen ums Leben kamen, liegt schon über hundert Jahre zurück, ist aber bis heute ein besonderer Mythos geblieben. Unzählige Filme und Bücher hat es dazu gegeben – und auch das Musical „Titanic“ von Maruy Yeston. Es wurde 1997 in New York uraufgeführt und ist seitdem erfolgreich in aller Welt gespielt worden, auch 2002 in Hamburg in der Neuen Flora.
Die Sommerpause der Hamburgischen Staatsoper wird nun mit einem Gastspiel der Londoner Neuinszenierung von 2016 überbrückt. Aber diese Produktion ist alles andere als ein Pausenfüller. Regisseur Thom Southerland sorgt mit knappen, aber präzisen Mitteln für einen spannenden und bewegenden Abend. Das Bühnenbild mit Stahlwänden an den Seiten und einer Kommandobrücke im Mittelpunkt ist effektvoll und gibt der Phantasie freien Raum. Die Szenerie lässt sich nahtlos in den Speisesaal, die Funkerkabine, den Heizerraum oder die „Katakomben“ der 3. Klasse verwandeln. Im ersten Teil geht es darum, die Charaktere des Schiffspersonals und der Passagiere einzuführen. Da gibt es Bruce Ismay (gespielt von Simon Green), den skrupellosen Direktor der „White Star Line“, der alle Warnungen des Konstrukteurs Thomas Andrews (Gregory Castiglioni) ignoriert, immer höhere Geschwindigkeiten anordnet und einen nördlicheren Kurs einschlagen lässt.
Der Kapitän (Philip Rham) fügt sich, erkennt aber später seine Schuld und erschießt sich. Eindrucksvoll sind der Auftritt und das Lied des Heizers (Niall Sheehy).
Unter den Passagieren finden sich Lady Caroline (Claire Marlowe) und ihr unstandesgemäßer Verlobter Charles (Stephen Webb), die zusammen durchbrennen wollen. Für anrührende Momente sorgt das alte Ehepaar (Dudley Rogers und Judith Street), das sich verliebt wie am ersten Tag zeigt und einen letzten Walzer tanzt. Ansonsten gibt es nur eine Tanzszene (Ragtime) in diesem Musical. Die aber gelingt rasant und schwungvoll. Die Unterschiede zwischen der 1. und besonders der 3. Klasse werden gut herausgearbeitet. Die Hoffnungen auf ein besseres Leben in Amerika, die in einer grandiosen Ensembleszene ausgebreitet werden, zerplatzen allerdings nach dem Zusammenstoß mit dem Eisberg wie Seifenblasen.
Auch die Euphorie beim Ablegen des Schiffes, gepaart mit Überheblichkeit und fester Technikgläubigkeit, wird sinnfällig verdeutlicht. Am Ende stehen die Überlebenden aufgereiht und ziehen bittere Bilanz. Diese eindrucksvolle Szene mutet an wie ein Requiem.
Die Musik von Maury Yeston ist abwechslungsreich und melodiös. Das Herzstück sind die zahlreichen Chorszenen, die sich in prachtvollem Klang entfalten. Die Stille („No moon“) vor dem Crash, in die sich die immer bedrohlicheren, dunklen Orchesterfarben drängen, ist an suggestiver Wirkung kaum zu übertreffen. Der musikalische Leiter Mark Aspinall sorgt besonders hier für Gänsehaut. Das Ensemble überzeugt mit einer ausgefeilten Leistung. Viele Stimmen sind ausdrucksvoll und markant, einige allerdings eher nicht. Gleichwohl ist „Titanic“ unbedingt sehenswert.
Wolfgang Denker, 11.08.2018
Fotos: Scott Rylander