Stuttgart: „Der Freischütz“, Carl Maria von Weber

Mit einer absoluten Kult-Produktion startete die Stuttgarter Staatsoper in die neue Spielzeit: Auf dem Programm stand die bereits 44 Jahre alte Inszenierung von Webers Freischütz in der Regie von Achim Freyer. Und wieder einmal vermochte sie nachhaltig zu begeistern. In den über vier Jahrzehnten ihres Bestehens hat sie nichts von ihrer Originalität und Frische eingebüßt. Freyers gelungene Regiearbeit wirkte noch so frisch wie am ersten Tag.

© Martin Sigmund

Freyer deutet das Geschehen als Abbild einer Welt, die sich im Chaos der Unvereinbarkeiten, des Dunkeln, des Fremden und des Unbewältigten ihre eigenen Schutzwände in Form einer `Guten Stube` errichtet hat (vgl. Programmheft).  Diese Gute Stube stellt das Einheitsbühnenbild dar, das Freyer ebenfalls entworfen hat und das ständigen Variationen unterworfen ist. Auf den Wänden sind zahlreiche Motive der Votiv-Malerei abgebildet, die dem Regisseur klar ersichtlich besonders am Herzen liegen. Auf diese Weise nimmt der Bühnenraum einen ausgesprochen ästhetischen und farbenfrohen Charakter an. In diese Richtung gehen auch die Protagonisten, für deren gelungenen Kostüme ebenfalls Freyer verantwortlich zeichnet. Manchmal erwecken die Sänger den Eindruck, als wären sie Puppen. Dazu kommen noch eine ausgesprochen stilisierte Bewegungssprache sowie gleichartige Gesten. Im ersten Akt wartet der Regisseur darüber hinaus noch mit ein wenig Kasperletheater auf, in dem ein Puppenengel und ein Puppenteufel spielerisch miteinander agieren. Während seines Trinkliedes darf Kaspar das Kasperletheater auch mal betreten.

Im Gegensatz zu den meisten sonstigen Freischütz-Produktionen hat Freyer dem Ganzen die von Weber nicht vertonte, von seinem Librettisten Kind indes vehement verteidigte Dialogszene zwischen dem Eremiten und Agathe vorangestellt. Das war ein trefflicher Einfall, denn dadurch wird der alte Einsiedler zum Schluss doch nicht zu einer Art Deus ex Machina, was ein dramaturgischer Fehlgriff wäre. Im Hintergrund befindet sich das allsehende Auge Gottes, was bereits zu Beginn den guten Ausgang des Stückes erahnen lässt. Ganz so in Jubel, Trubel, Heiterkeit endet das Werk bei Freyer dann aber doch nicht. Dem Happy End scheint er gehörig zu misstrauen. Agathe, Ännchen und Max stehen der Idee eines Probejahres, das auf den Vorschlag des Eremiten in Zukunft an die Stelle des Probeschusses treten soll, klar ersichtlich ablehnend gegenüber.

© Martin Sigmund

Heitere Aspekte weist Freyers ansprechende Regiearbeit ebenfalls auf. Insbesondere der Jägerchor mit seinem ungemein komischen Dirigenten und der zu Beginn des dritten Aktes im Gefolge der Jagdgesellschaft über die Bühne laufende Hund waren recht vergnüglich anzusehen. Zum Schmunzeln verleitete auch das zu Beginn desselben Aktes auf dem Vorhang befestigte Papp-Füchslein, das von Kaspar mit der sechsten Freikugel so ganz nebenbei erschossen wurde. Schauerlich wirkte das gespenstisch in Szene gesetzte Bild der Wolfsschlucht mit seinen zahlreich erscheinenden unheimlichen Tieren und Gestalten sowie den vier Feuerrädern, die beim Gießen der Freikugeln über die Bühne rollten. Trotz seines ursprünglich modernen Ansatzes hielt Freyer sich dabei stets nah am Libretto. Heute wirkt seine bei der Premiere 1980 von großen Teilen des Publikums und der Presse abgelehnte Inszenierung eher konventionell. Sie macht aber immer noch einen sehr intensiven Eindruck, was sich nicht zuletzt der stringenten Personenführung verdankt.

Eine gute Leistung erbrachte GMD Cornelius Meister am Pult. Unter seiner versierten musikalischen Leitung wartete das trefflich disponierte Staatsorchester Stuttgart mit einem geradlinigen, differenzierten und von einer vorbildlichen Transparenz geprägten Spiel auf. Der von Dirigent und Musikern erzeugte Klangteppich war zudem durchweg intensiv und farbenreich.

© Martin Sigmund

Auf hohem Niveau bewegten sich die sängerischen Leistungen. Kai Kluge sang mit großer lyrischer Emphase einen eindringlichen Max. Mit ebenmäßig dahinfliessendem und gut gestütztem jugendlich-dramatischem Sopran stattete Mandy Fredrich die Agathe aus. Einen hellen, markant klingenden Bass brachte David Steffens in die Partie des Kaspar ein. Ein darstellerisch frisches, recht imposantes Ännchen, das auch vokal mit ihrem vorbildlich sitzenden, flexiblen Sopran voll zu überzeugen wusste, war Natasha Te Rupe Wilson. Eine absolute Glanzleistung erbrachte der über phantastisches, sonores und hervorragend italienisch geschultes Bass-Material verfügende Michael Nagl als Eremit. Den Fürsten Ottokar gab mit tadellosem, kraftvoll klingendem lyrischem Bariton Johannes Kammler. Über imposantes Bass-Material verfügte der Kuno von Franz Hawlata. Ein robust singender Kilian war Jasper Leever. Nicht viel Gutes vernahm man von den Brautjungfern  von Alissa Kruglyakova, Zoe Kübler, Imogen Thirlwall, Nora Liebhäuser, Laura Corrales, Pia Liebhäuser und Gudrun Wilming. Das Lied vom Jungfernkranz dominierte – bis auf eine solide im Körper sitzende Stimme – ein total dünner Stimmklang. Einen ansprechenden schwarzen Jäger Samiel gab Kristian Metzner. Mächtig legte sich der von Bernhard Moncado einstudierte Staatsopernchor Stuttgart ins Zeug. Moncado bereite auch den gefälligen Kinderchor vor.

Fazit: Ein insgesamt gelungener Opernabend, der die Fahrt nach Stuttgart einmal mehr voll gelohnt hat. Freyers Inszenierung ist immer einen Besuch wert!

Ludwig Steinbach, 19. September 2024


Der Freischütz
Carl Maria von Weber

Staatsoper Stuttgart

Premiere: 12. Oktober 1980
Besuchte Aufführung: 18. September 2024

Inszenierung: Achim Freyer
Musikalische Leitung: GMD Cornelius Meister
Staatsorchester Stuttgart