Stuttgart: „Il Trovatore“, Giuseppe Verdi

© Matthias Baus

Zu einer beachtlichen Angelegenheit geriet die Neuproduktion von Verdis Il Trovatore an der Staatsoper Stuttgart. Hier stimmte einfach alles. Inszenierung, musikalische und gesangliche Leistungen gingen eine ideale Verbindung miteinander ein. Das Regieteam um Paul-Georg Dittrich (Inszenierung), Christoph Hetzer (Bühnenbild) und Mona Ulrich (Kostüme) begreift Verdis Oper nicht als protzigen Mittelalterschinken, sondern hat das Ganze behutsam modernisiert und in einem mehr abstrakten Rahmen angesiedelt. Das Ganze spielt sich in einem sich nach hinten verjüngenden, dunkel ausgeleuchteten Kasten ab. Die Personen wirken wie auf einem Gemälde. Hier findet der Regisseur überzeugende neue Wege und setzt treffliche Kontraste. Der Entstehung von Phantasien sind hier Tor und Tür geöffnet.

Immer wieder senkt sich der Vorhang herab und schneidet die einzelnen Bilder voneinander ab – und das auch an Stellen, wo Verdi das gar nicht vorgesehen hat. Der Regisseur sieht die dramatische Handlung als surrealistischen Bilderreigen. Dabei bedient er sich der Mittel des Films und huldigt mit der von ihm an den Tag gelegten Ästhetik nachhaltig  Quentin Tarantino. Momentaufnahmen sowie Schnitte führt er häufig ins Feld. Das Ganze mutiert gleichsam zu einem groß angelegten Episodenfilm im Mantel der Schauerromantik, dessen einzelne Segmente durchweg fatal enden. Zudem werden nach den einzelnen Szenen stets aufs Neue Zwischentitel aus der Oper in deutscher Übersetzung auf den Hintergrund projiziert. Zudem wartet eine Anzahl von Sprechstimmen mit Texten von Heiner Müller auf. Diese Klangcollagen zwischen den Bildern hat Christopher Scheuer mit den Stimmen von Camille Dombrowsky, Gabriele Hintermaier, Karl Leven Schroeder und Felix Strobel erstellt. Bilder einer Ausstellung mit filmischen Mitteln: Dieser Ansatzpunkt geht voll auf.

© Matthias Baus

Die Impressionen sind recht unterschiedlicher Natur. Sie beginnen auf einem etwas heruntergekommenen Kinderspielplatz, in denen ein Kinderchor teilweise die Gesänge des Männerchores übernimmt. Es folgt eine Westernszene. Auch ein verwüstetes Feld wird sichtbar. Später geht es zudem recht märchenhaft zu. Die lädierten, zombiehaften Soldaten bewegen sich durch unterschiedliche Epochen. Dabei werden Erinnerungen an Edgar Allan  Poe wach. In der Tat sind Horrorimpressionen ein wesentlicher Teil der Produktion. Ferrando wirkt im ersten Bild, als er den Kindern die Geschichte vom verlorengegangenen Sohn des alten Grafen erzählt, noch rüstig, kann sich später aber kaum noch fortbewegen. Beachtlich sind ferner die Schattenspiele, mit denen der Regisseur aufwartet. Diese Schatten sind Manrico und Leonore, die in dieser grotesken Form Luna oftmals bedrängen. Deutlich wird, dass sie seinem Kopf, gleichsam seiner Phantasie entsprungen sind. Gelungen ist auch Dittrichs Beleuchtung der Zwillingsthematik. Bereits ganz zu Beginn werden Manrico und Luna als Kinder sichtbar. Nach Dittrichs Auffassung haben die beiden Zwillingsbrüder einige Jahre zusammengelebt, bis Manrico von Azucena entführt wurde. Dies hat bei dem jungen Grafen Luna zu einem Trauma geführt, das dieser in der Folge nicht so richtig verarbeiten konnte.

Aus der Sicht Lunas erzählt der Regisseur dann auch die ganze Geschichte. Graf Luna ist in Dittrichs Interpretation die eigentliche Hauptfigur und zudem auch kein Bösewicht. Zu Beginn steht er am Ende seines Lebens und blickt reflektierend auf die damaligen Ereignisse zurück. Die Geister der Vergangenheit lassen sich nicht abschütteln und lösen bei ihm Traumen und Alpträume sowie Flashbacks aus. Die Erzählungen der Protagonisten erzeugen in ihm unterschiedliche Erinnerungen und Emotionen. Luna ist der einzige der beteiligten Personen, der aus dem Inneren des Kastens nach außen treten kann. Dort versucht er, die Vergangenheit zu ändern, was ihm indes nicht gelingt. Gnadenlos wird er erneut in das Innere des Kastens zurückgezogen. Er ist seinem Schicksal gnadenlos ausgeliefert. Gelungen ist das Ende: Die Balken des Bühnenbildes verschieben sich und die anderen Handlungsträger erscheinen alle in Lunas Kostüm. Sie alle sind Graf Luna. Nacheinander verlassen sie die Bühne, nur Luna bleibt. Ihm geht auf, dass er ganz allein ist und das Ganze ein einziger großer Monolog war. Der vor den Augen des Publikums abgelaufene Bilderreigen war die ganze Zeit über lediglich eine Imagination Lunas. Sigmund Freud lässt grüßen. Mit diesem Konzept des Regisseurs lässt es sich leben. Das war durchaus spannend und auch flüssig auf die Bühne gebracht.

Eine gute Leistung erbrachte Antonello Manacorda am Pult. Mit sicherer Hand wies er dem versiert aufspielenden Staatsorchester Stuttgart den Weg durch Verdis Partitur, wobei er ein gutes Gespür für schöne Italianita zeigte. Zusammen mit den Musikern erzeugte er einen breiten, emotional angehauchten und flüssigen Klangteppich, der sich zudem durch große Durchsichtigkeit auszeichnete.

© Matthias Baus

Ebenfalls auf hohem Niveau bewegten sich die sängerischen Leistungen. Mit großem Elan stürzte sich Ernesto Petti in die Rolle des Grafen Luna, der er in jeder Beziehung voll entsprach. Schon darstellerisch war er mit intensivem Spiel sehr überzeugend. Und stimmlich blieben bei seinem trefflich fundierten, voluminösen und differenzierungsfähigen Bariton keine Wünsche offen. Neben ihm vermochte insbesondere Kristina Stanek zu begeistern, die als Azucena ihren voll und rund, dabei profund und sehr gefühlvoll klingenden Mezzosopran enorm feurig lodern ließ. Mit einer vorbildlichen Italienischen Gesangstechnik und ausgezeichneten Spitzentönen stattete Atalla Ayan den Manrico aus. Selene Zanetti war eine kraftvoll und mit viel lyrischem Schmelz singende Leonore. Wunderbares italienisch fokussiertes und sehr sonores Bass-Material brachte Michael Nagl in die Partie des Ferrando ein. Gefällig gab Itzeli Jáuregui die Inez. Lediglich durchschnittlich wirkte der Ruiz von Piotr Gryniewicki. Sasa Vrabac (Alter Mann) und Hee-Tae Kim (Bote) rundeten das Ensemble ab. Famos entledigten sich der von Manuel Pujol einstudierte Staatsopernchor Stuttgart sowie der unter der Ägide von Bernhard Moncado stehende Kinderchor der Staatsoper Stuttgart ihrer Aufgabe.

Fazit: Wieder einmal eine Stuttgarter Aufführung, die den Besuch wert war!

Ludwig Steinbach, 26. Juni 2024


Il Trovatore
Giuseppe Verdi

Staatsoper Stuttgart

Premiere: 9. Juni 2024
Besuchte Aufführung: 23. Juni 2024

Inszenierung: Paul-Georg Dittrich
Musikalische Leitung: Antonello Manacorda
Staatsorchester Stuttgart

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