Berlin: „Der Rosenkavalier“, Richard Strauss

Schmuckstück im Repertoire

Ja, es gibt sie noch, die Opernabende, die den Theaterbesucher beglückt, nachdenklich, schmunzelnd und durch und durch davon überzeugt, bereichert, ermuntert und bewegt worden zu sein, in die Berliner Abendluft entlassen. Und es muss nicht einmal eine Alt- oder gar Uraltproduktion sein, unberührt von eitlem Regisseursbestreben, sich selbst und nicht das Werk darzustellen. Die Berliner Staatsoper hat mit Der Rosenkavalier in der Regie von André Heller ein solches Juwel im Spielplan, und es ist nicht nur im Premierendurchlauf im Jahre 2020 hochkarätig besetzt, sondern auch in der Wiederaufnahme, von der es die letzte Vorstellung noch am heutigen Sonnabend geben wird.

© Ruth Walz

Am 27. April waren von den vier großen Partien drei abweichend von der Premiere besetzt. Im Mittelpunkt aber stand wieder die Marschallin von Camilla Nylund, die den Regisseur so sehr begeistert hatte, dass er inzwischen mit ihr ein Projekt mit dem Titel The Great American Songbook verwirklicht hat, dass so „American“ gar nicht ist, da auch bereits in Deutschland entstandene Chansons wie „Ich bin vom Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, aber auch Kurt Weill erklingen. Davon gibt es bei Naxos eine Blu-ray. In ihrer nun 16. Vorstellung Unter den Linden wiederholte sie das Portrait einer Marschallin, die wie die Gesellschaft, in der sie lebt (das Wien des Jahres 1917 nennt der fiktive Programmzettel von einer Wohltätigkeitsveranstaltung für Kriegswaisen) an einer Wende in ihrem Leben steht, so wie die österreichisch-ungarische Gesellschaft insgesamt. Nur dass diese in einen Abgrund taumeln wird, während Marie-Theres in ihren wieder wunderbar textverständlich vorgetragenen Solostücken im ersten Akt Einsicht und die Bereitschaft zeigt, die neue Phase ihres Lebens und alle weiteren anzunehmen. So majestätisch wie sensibel, so sich dem Fluss der Musik hingebend wie dem Text größte Aufmerksamkeit schenkend, einfach ideal für die Gestaltung der Figur, ist Camilla Nylund die pure Erfüllung auch an diesem Abend.

© Ruth Walz

Ihr zur Seite steht mit dem österreichischen Bass David Steffens ein neuer Ochs, der eigentlich optisch zu jung, zu attraktiv und zu wenig eklig-aufdringlich ist, als dass man der Erzählung von seinen üblen me-too-verdächtigen Eroberungen so recht Glauben schenken mag. Vokal hat der die sonore Tiefe für seine Partie, den weanerischen Touch und klingt nur stellenweise und besonders im ersten Akt zu dröhnend. Eine alte Bekannte von der Deutschen Oper ist Siobhan Stagg als liebreizende Sophie mit gar nicht soubrettenverdächtigem, sondern feinem lyrischem Sopran und auch optisch eine ideale Besetzung. Nicht ganz der zarte Rokoko-Rosenkavalier ist Ema Nikolovska, die optisch eher als resches Mariandl durchgehen kann, die aber mit einer ebenmäßigen, satten, angemessen androgyn klingenden Mezzostimme entzücken kann, die im Beisl-Akt zum Schreien komisch den Weltschmerz der angeblichen Kammerjungfer erklingen lässt.

© Ruth Walz

Aus dem Ensemble der Staatsoper wiederholten Anna Samuil als Leitmetzerin, Katharina Kammerloher als Annina und Karl-Michael Ebner als Valzacchi ihre Erfolge. Wie man mit viel Stimmkultur auch einer älter gewordenen Stimme eine hochachtbare Leistung abtrotzen kann, bewies einmal mehr Roman Trekel als Faninal. Mehr durch Stimmpotenz als Stilempfinden imponierte Andrés Moreno Garcia, und als drei adlige Weisen stimmten Olga Vilenskaia, Anna Woldt und Verena Allertz eine hübsch anzuhörende Klage an. Natürlich versorgt ein personenreiches Stück wie der Rosenkavalier auch die Mitglieder des Opernstudios mit angemessenen Partien, in denen Benjamin Chamandy als schmucker Polizeikommissar, Johan Krogius als besorgter Haushofmeister bei Faninal, Carles Pachon als nicht einzuschüchternder Notar und Magnus Dietrich als Wirt, der seinen Auftritt zu nutzen wusste, Bühnenerfahrung sammeln konnten. Die vom Ochs beschworene Ähnlichkeit mit seinem Vorzugsdiener Leopold konnte man allerdings an diesem Abend nicht feststellen. Aber wenn es sonst nichts auszusetzen gibt, kann man nur hoch zufrieden sein, zumal sich auch bei diesem zweiten Besuch der Produktion der Zauber der von Xenia Hausner gestalteten Bühne und der von Arthur Arbesser entworfenen Kostüme voll entfaltete.

© Ruth Walz

2020 hatte Zubin Mehta im Orchestergraben gestanden, nun dirigierte Alexander Soddy eine hörbar inspirierte Staatskapelle, mit etwas strafferen Tempi, etwas kontrastreicher und natürlich vom Vorteil der Routine, die inzwischen eingekehrt sein mag, profitierend.

Man konnte trotz der fast fünfstündigen Vorstellung das Haus verlassend nur singen: „Mit euch keine Nacht mir zu lang.“

Ingrid Wanja, 28. April 2023


Der Rosenkavalier

Hugo von Hofmannsthal/Richard Strauss

Staatsoper Unter den Linden

16. Vorstellung am 27. April 2023

Inszenierung  André Heller

Bühne  Xenia Hausner

Kostüme  Arthur Arbesser

Musikalische Leitung  Alexander Soddy

Staatskapelle Berlin